Geschichten:Der Liebe wegen – Vertraute
Peraine-Tempel zu Rallingen, 23. Ingerimm 1044 BF
Lange sah mich Perainidane schweigend an, dann nahm sie einen Schluck Wein aus ihrem Becher, straffte sich und erklärte: „Sie ist für mich da.“
Ich nickte.
„Erst mein Oheim, dann meine Schwester, nun meine Vater“, sie zuckte hilflos mit den Schultern, „Das ist nicht leicht zu verstehen.“ Sie wirkte plötzlich seltsam erschöpft und tief traurige „Nachts kann ich oft keinen Schlaf finden. Besonders schlimm ist es seit dem Tod meines Va...“ Ihre Stimme brach, sie wischte sich die nahenden Tränen aus den Augen.
„Es tut mir wirklich sehr leid“, erwiderte ich ihr mitfühlend, „Ich verstehe, dass dich das alles sehr mit nimmt und ich habe mir so sehr gewünscht, dass ich an deiner Seite hätte sein können. Aber ich konnte nicht.“ Mir schnürte es die Kehle zu.
„Minna war für mich da“, erklärte sie nickend, „Dir was es ja nicht möglich.“ Die Anklage in ihrer Stimme war überdeutlich. „Minna war es, die nachts an meinem Bett wachte, die meine Tränen trocknete, die mich hielt. Sie ist immer da. Bei Tag und bei Nacht. Wir teilen viel miteinander.“
„Viel?“, hakte ich mit trockener Kehle nach, „Oder alles?“
Sie sah mich lange an, dann nickte sie und antwortete: „Alles.“
Einen Moment herrschte schweigen zwischen uns. Ich dachte über die richtigen Worte nach. Wie konnte ich das zu enge Verhältnis von ihr zu ihrer Novizin kritisieren ohne ihr zu Nahe zu treten? Und als ich gerade anheben wollte, da kam sie mir zuvor: „Spar’ dir deine Moralpredigt, Lindegard. Ich weiß, was Du sagen willst. Ich weiß es ganz genau. Aber auch wir Geweihte leben nicht vom Dienst an unserer Herrin allein. Auch wir sind Menschen. Auch wir brauchen Zuwendung.“
„Und die anderen Brüder und Schwestern hier?“
Sie schüttelte den Kopf: „Ich bin ihnen verpflichtet.“
„Das bist Du Minna doch auch“, konnte ich da nur kopfschüttelnd entgegnen.
„Ja, aber... aber sie versteht mich. Sie hat ihre Eltern verloren. Sie weiß, wie sich diese Leere in einem anfühlt. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit. Und sie ist nur wenig jünger als ich. Wir mögen uns.“ Nun zucke sie mit den Schultern. „In größter Not schickten mir die Götter eine Vertraute. Eine, die mich um meiner Selbst Willen lieb. Sie stellt keine Bedingungen. Sie ist einfach da. Verlangt oder erwartet nichts. Wie käme ich dazu sie abzuweisen?“
„Du solltest trotzdem aufpassen“, meinte ich daraufhin da nur, „Nicht nur, dass die Leute reden...“
„Die Leute zerreißen sich ohnehin das Maul über meine Familie und damit auch über mich. Was kümmert es mich also?“
„Noch ist sie Novizin. Deine Novizin“, betonte ich, „Verstehst Du?“
„Noch“, erwiderte sie versonnen und nippte an ihrem Becher, „Noch, Lindegard, noch.“