Geschichten:Hülle & Fülle – Wirre Worte einer Seherin?
Schloß Reichgarten, Landjunkertum Reichsgard, Baronie Herdentor, Peraine 1045 BF
Da saßen wir nun, auf verschiedenen Seiten des langen, flachen und reich gedeckten Tisches, hinter unseren Namensschildchen, höflich irritiert und nichts ahnend:
Deidre von Salicum - eine stolz lächelnde, dunkelblonde Ritterin, leicht gerüstet nach Perricumer Art, ein Wappenrock in rot und weiß mit goldenen Applikationen, das Wappen der Salicums. Teil einer alten Familie Perricums, die auf ihren Aufstieg wartet. Genau das spricht aus ihrem Gesicht.
Holmreich von Kressenrück - ein Mann mit ernstem Blick und wallender, schwarzer Mähne, schief hängender Schulter, 5Tagebart und eiserner Brünne. Reiher und untergehende Sonne zieren sein schwarzes Wappen. Ein Mann, dessen Aussehen von Rauheit und Treue spricht.
Melandra von Palmyr-Donas - eine überaus präsente, aufwendig geschminkte Frau mit stolzem Blick und in raulscher Kleidung, mit aranischem, auffälligem Schmuck modifiziert. Dazu, als wären es ebenso schmückende Accessoires, ein Notizbuch und eine Feder, die an einen Palmwedel erinnert.
Orelian Barûn-Bari – schulterlange, dunkelbraune Locken, adrett gekleidet. Gibt sich jovial und übertrieben charmant. Seefahrer und Händler, der mit einer schier endlosen Fülle an Geschichten über fremde Lande aufwarten kann. War laut eigener Aussage bereits in Uthuria.
Seniia Rosenik von Dreitempelhof - in grün und hellgelb gekleidet mit weißen akzentuierten Stickereien - kranichartige Störche, die Ähren und Kräuter in den Schnäbeln halten. Die Geweihte ist kräftig und hat von Arbeit gezeichnete Hände, aber ein gütiges Gesicht.
Roban von Rauleu: Ein athletisch gebauter Mann, am Ende seiner 30er. Das lockige schwarze Haar, sowie sein fein gestutzter Bart verpassten ihm ein jüngeres und abenteuerlustiges Aussehen. Der Blick hatte etwas verträumtes und zu gleich stechendes. Wenn er zu Serima blickte, sieht man tiefe Zuneigung.
Magierin Sarana Feqzaïl: Vollendete Entschwörerin, alterslos aussehend, weibliche Rundungen, die ihr Aussehen, Frisur, Haarfarbe immer wieder mit kleinen Zauberstückchen verändert.
Ashina von Turatal: Eine recht ernst wirkende, sehnige Frau mittleren Alters. Ins Auge sticht ihre ungewöhnliche Frisur: Sie trägt ihre langen schwarzen Haare nur am Hinterkopf und an der linken Schläfe, rechts hingegen raspelkurz geschnitten. Die Adlige trägt einen blauen Wappenrock mit silbernem Saum und dem Wappen derer von Turatal auf der Brust. Doch gilt sie in der Familie wohl als eine Art Schwarzes Schaf, weshalb sie wohl hier weilt.
Nazir von Waraqis - ein kleiner, rundlicher Mann mit affektiertem Gehabe und einem etwas zu protzig aufgeladenen Aussehen und ordentlichem Zwirbelbart. Doch Mimik und Gestik zeichnen ihn auch als Edelmann und vollendete Händlerseele aus.
Und ich, Manja Zercis, angetan in einem feinen perricumschen Städterinnengewand und einem, einer Rohalskappe ähnelndem, Karfez, an dem eine dezente Pfauenfeder in silbrigem Gold nicht fehlen darf. Aber auch das Symbol unserer Familie am Kragen, in Form eines kleinen Ansteckers, ein sechszackiger Stern, zwei Spitzen oben, zwei unten, jeweils eine links und rechts, in dessen Mitte ein stilisiertes, geflügeltes Seewesen, dessen Herz das alchimististische Zeichen für Gold trägt. Gerade noch nicht Wappen genug, um den Adel nicht zu verstören und doch von gewissem (neu)bürgerlichem und -reichem Stolz.
Während wir so dasitzen und uns in kurzweiligem und irrelevantem Plausch ergehen, um zu verdecken, dass uns die Situation einerseits mit Stolz erfüllt, andererseits mit unserer Unsicherheit spielt, beäugen uns die Matriarchinnen von ihren Diwanen ganz genau, augenscheinlich zufrieden mit dem was sie sehen, flüstern sie sich Worte zu.
Die Stimmung wird immer gespannter, die uns vorangegangenen Gäste, die nicht am Tisch sitzen tauschen sich ebenso flüsternd mit unseren Herrinnen aus. Bis diese uns, einem Höhepunkt gleich, aus unserer Spannung erlösen und einige huldvolle Worte zur Begrüßung sprechen, denen allerdings nicht etwa weiteres Geplauder folgt. Nein, sie weihen uns ein in ihre Beweggründe, dabei mag ich kaum zu sagen, welche dieser Herrscherinnen sich mehr hervortut durch Charme und Grandess. Ich bin froh, dass die Gesellschaft diese Aufnahmeprüfung für mich erwählt hat, es scheint wahrlich von Belang zu sein.
Denn wir sind nicht aus lauter Kurzweyl hier. Nein, die Matriarchinnen drückt der Jahresbeginn, bei dem der Seneschall (erneut) die Gunst der Stunde für sich nutzte, als er dem nach Garetien abrückenden, markgräflich-perricumschen Heer bzw. dem Markgrafen eine alte Standarte übergab, eine Insignie Perricums, hatte er es genannt. Unsere Gastgeberinnen waren es leid, solch eitel Schauspiel zuzusehen, verrieten sie uns. Zumal der alte Rabicum mittlerweile meinte Schalten und Walten zu können wie es ihm gefiel, früher war er dort geschickter, weniger offensiv. Doch dies bezeichneten die hochedlen Damen als erstes Indiz für seine aufkommende Schwäche. So dass es jetzt an der Zeit war sich selbst in Stellung zu bringen, für den unweigerlichen Fall des Seneschalls. Doch noch viel mehr als nur die neuerliche, selbstgefällige Stümperei des Rabicum, hatte sie veranlasst uns zu rufen.
„Die kleine, sehende Alxertis-Hexe soll am Tage als die Standarte präsentiert wurde, wieder gesprochen haben.“, berichteten die beiden Grandessas uns und zitierten sogleich, dass was „Boten“ ihnen angetragen hatten von Tsalayas Worten:
„Gefunden ist er, des alten Banners ur-eingesessner Herr
auf das - er die Gemüter hoch zu Kochen bringt
Wie da einst die Fluten des Darpat brodelnd traten vor
Wo die drei Schwestern beteten am blutgen Fels
[ ] – dessen wir alle Zeuge warn
In Aufruhr - so geraten die Lande an seinen Ufern
welch nun in rascher Schnelle sich zu ‚nander verdrehen
So wird eine neye Meisterin der Landes Fülle gefund‘ sein
Deren Horn alsnächst lieblich Verkündung aus der Gattin-Süden heisst
welche mitgetragen ist von den salzgen Lüften der Hänge aus dem Norden
Doch da steht es schon – ein Vieh vorm Berge, windumtost
bereit des alten Flügel-Leuen Kopfe Zier zu präsentieren
Auf das die Herzen endgültig entflammen und streiten
Doch…doch…es ruft schon lang
Von den Gipfeln des Landes Bergen
Der Kenner der Giganten will zurück nach Haus
Der alten Helden golden-krumme Klinge
Sie kommt Heim, vereint mit dem Rest
Kleine Oden werden gesungen
Perricum, Götter, Land, deine Geschichte wird Zukunft sein
Und eine neue Zeit bricht an“