Geschichten:Vom Regen in die Traufe - Teil 5
Burg Luringen, 4. Efferd, spät am Abend
Nachdem die Verhandlungen mit Danos am gestrigen Tage keine brauchbaren Ergebnisse geliefert hatten, hatte er sich vorgenommen am heutigen Abend mit Ederlinde unter vier Augen zu sprechen. Schließlich war er begierig darauf zu erfahren, was der eigentliche Grund für ihre Einladung war.
Von einer Dienstmagd ließ er sich zu ihrem Gemach führen, nachdem er sich versichert hatte, dass ihre Tochter Irnfrede bereits zu Bett gegangen war. Die Magd klopfte an die Türe von Ederlindes Gemach: „Um Vergebung, seine Hochgeboren von Hirschfurten ist hier und wünscht Euch zu sprechen.“ Von drinnen waren ein paar Geräusche zu hören, dann erklang ihre Stimme: „Nur zu, er kann eintreten.“ Die Magd öffnete die Tür und ließ Nimmgalf eintreten, dann entfernte sie sich. Nimmgalf fand Ederlinde an ihrem Tisch sitzend vor. Er trat ein und gab ihr einen dezenten Handkuss.
„Sei gegrüßt, Nimmgalf. Setz dich doch. Ich bin sicher, dass Du einige Fragen hast.“
Nimmgalf nahm Platz. Offensichtlich war Ederlinde daran gelegen gleich zu Beginn eine vertraute Atmosphäre aufzubauen. „In der Tat, teuerste Ederlinde, ich bin begierig darauf zu erfahren, warum Du mich hierher gebeten hast. Sicherlich interessieren dich meine Ideen zur Verstärkung der Reichsforster Liga nicht so sehr, wie Du dir gestern zumindest eine zeitlang Mühe gegeben hast vorzutäuschen. Ederlinde begegnete dieser kleinen Spitze mit einem abschätzigen Zucken des Mundwinkels. „Nein, dies war nicht der eigentliche Grund, aber dieser wirkt sich in nicht unerheblichem Maße auf deine künftigen Pläne aus, Nimmgalf. Ich spreche von meinem Bruder Drego. Wie du weißt, hält er sich derzeit in seiner Stadtvilla in Neu-Gareth auf und verprasst ein kleines Vermögen von mühsam eingetriebenen Steuergeldern – auch die aus Hirschfurten versteht sich.“ Nimmgalf schlug die Beine übereinander. Mit einem fragenden Blick, welcher von ihr bestätigt wurde, griff er nach einer auf dem Tisch bereitstehenden Flasche Wein und goss sich einen guten Schuss in einen Becher. Mit einem „Nur zu – fahr fort, ich bin ganz Ohr“, trank er einen Schluck.
„Dregos Ausgaben verschlingen einen erheblichen Teil der Grafschaftserträge. Allein schon der Neubau seines Hauses nach der Katastrophe von Gareth hat Unsummen verschlungen und dann noch seine ständigen Spielschulden und Festgelage... es ist einfach eine Last mit ihm. Mir könnte es prinzipiell ja egal sein, nur aus eigener Tasche zahlt er gar nichts. Wozu auch, schließlich ist er ja der Sohn des reichen Grafen Danos und der zahlt ja alles.“ Ederlinde konnte kaum ihren Verdruss über ihren Bruder verbergen, während Nimmgalf interessiert weiter zuhörte.
„Dass Vater deine Pläne für die Neuanwerbungen gestern so brüsk blockiert hat, ist nicht zuletzt auf Drego zurückzuführen. Er hat momentan einfach nicht die Mittel, um dir die volle Unterstützung zukommen zu lassen, auch wenn er es so nie zugeben würde. Wenn du willst, zeige ich dir die Rechnungen, die fast schon im Wochentakt aus Gareth hier eintreffen – du wirst schockiert sein.“
Nimmgalf war ob dieser neuen Fakten doch ein wenig erstaunt. Er hätte nicht gedacht, dass ein einzelner Mensch solche Unsummen verschlingen könnte, um eine Grafschaft in Verlegenheit zu bringen, aber offenbar war es doch möglich.
„Und was stellst du dir vor soll ich dagegen tun?“
„Rede mit Vater, Nimmgalf! Du bist der, auf den er noch am ehesten hört. Mach ihm die Dringlichkeit der Lage bewusst. Er muss einschneidende Schritte wagen, um Drego zur Vernunft zu bringen. Mache ihm den Vorschlag, Drego zur Besinnung zu bringen, indem dass er ihm mit Enterbung droht. Wenn Drego dann immer noch nicht hört und weiterhin Vaters Geld verprasst, wäre die Änderung der Erbreihenfolge der einzige konsequente Schritt zur Rettung der Grafschaft. Denn wenn Drego erst einmal Graf ist, wird es nicht lange dauern bis Reichsforst finanziell ruiniert ist.“
Nimmgalf nahm noch einen weiteren Schluck Wein. „Und Gräfin Ederlinde wird dann künftig die Geschicke Reichsforsts in eine goldene Zukunft lenken?“ fragte er spitz.
Ederlinde blickte ihn erst leicht gekränkt, dann selbstbewusst an und führte seinen Satz fort: „und an der Seite ihres Neuen Gemahls, des Barons von Hirschfurten, dem sie die Führung aller Grafschaftstruppen unterstellt, für das Wohl aller Reichsforster sorgen.“
Nimmgalf atmete ein paar mal tief ein. Im Prinzip lag es in seinem ureigensten Interesse, dass Reichsforst wirtschaftlich stark und militärisch wehrhaft war, da er sich nur so Chancen auf den Sieg gegen Simiona ausrechnete, nachdem sich seine Pläne mit Answin von Rabenmund zerschlagen hatten. Und so sehr er auch Ederlinde misstraute, in ihren Schilderungen lag ein wahrer und nicht zu leugnender Kern: wenn Drego einst Graf sein würde, wäre das der Ruin und das Ende seiner hochtrabenden Pläne, denn von ihm könnte er gewiss keine Unterstützung erwarten, erst recht nicht bei der Rückeroberung Leihenbutts. Dies galt es um jeden Preis zu verhindern.
„Wohlan, so soll es sein. Ich werde sehen, was ich tun kann, um deinen Vater umzustimmen. Mein Wort darauf!“ Er erhob sich von seinem Stuhl. „Du entschuldigst mich?“
Ederlinde lächelte. Mit ein wenig Geschick, würde sich bald alles so fügen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Nimmgalf machte sich bereit zu gehen.
„Wirst Du mein Angebot annehmen, Nimmgalf?“ fragte sie ihn.
Nimmgalf drehte sich noch einmal zu ihr herum und blickte ihr in die Augen. „Eigentlich hatte ich mir vorgenommen nie wieder zu heiraten, nachdem meine erste Ehe dermaßen schlecht verlaufen ist. Doch in diesem Fall liegen für mich andere Beweggründe im Vordergrund.“ Er seufzte noch einmal auf und hoffte inständig, nicht den gleichen Fehler zu wiederholen, auch wenn er ein mulmiges Gefühl dabei hatte.
„Solange wir die Sache auf das Politische beschränken, bin ich einverstanden!“
„Großartig! Dann darfst du bei meinem Vater um meine Hand anhalten. Ich bin mir sicher, dass er keine Einwände hat.“ „Nein, sicher nicht…“, sagte Nimmgalf mehr zu sich selbst. „Gute Nacht, Nimmgalf!“ „Borongesegnete Nachtruhe, Ederlinde!“ Er verbeugte sich noch kurz, deutete einen Handkuss an und verließ dann den Raum.
Ederlinde lächelte. Sie wusste, dass Nimmgalf keine andere Wahl hatte, als ihr Angebot anzunehmen. Sie hätte ihm sonst übel mitgespielt und noch eine Gegnerin konnte er sich derzeit nicht leisten.
Und was das Beschränken aufs Politische anging, so würde er seine Meinung sicher noch ändern – es war nur eine Frage der Zeit. Hocherfreut über diesen Teilerfolg begab sich Ederlinde zur Ruhe.
ENDE