Geschichten:Die Faust des Grafen - Die Finte des Dachses

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Burg Orbetreu, 23. Peraine 1031 BF


„Kavallerie von hinten! Joß, stell Dein Banner da drüben auf! Vier Glieder tief!“ Boraccios Stimme war trotz des Tumultes deutlich zu hören. „Wollt Ihr Euch wohl beeilen, Ihr faulen Hunde! Ihr werdet hier nicht fürs Rumstehen bezahlt! Ihr habt gehört, was der Capitan gesagt hat! Und ich will eine grade Linie sehen!“ Die Stimme des Sergeanten übertönte sogar noch die des Hauptmanns. Innerhalb von wenigen Augenblicken bildete sich eine lange Reihe von Menschen, die dicht an dicht und vier Mann tief standen, wie befohlen. Ein Wald von Spießen und Hellebarden ragte über die Köpfe hinweg. „Die Wehr – zum Angriff!“ Die erste Reihe kniete sich hin und hielt die tödlichen Spitzen ihrer langen Waffen in Richtung der Reiter, die bereits deutlich auszumachen waren. Über ihre Köpfe hinweg ragten bedrohlich weitere Spieße. Eine Wand aus Leibern, eine tödliche Hecke mit stählernen Dornen stand nun dort, wo kurz zuvor noch nichts die angaloppierenden Reiter daran gehindert hatte, erneut über der Lager hinweg zu fegen.

„Eine Gruppe an die linke Flanke zwischen die Bäume, eine weitere an die Rechte! Sorgt dafür, dass sie uns nicht umgehen! Schützen bereit machen!“ Zufrieden schaute Boraccio auf die Formation. Die Garethyas würden Augen machen, wenn sie mal echten Soldaten gegenüberstanden anstatt halbverhungerter Bauern. Nur noch wenige Meter. „Achtung Schützen! Und LOS!“ Pfeile und Bolzen flogen den Reitern und Pferden entgegen. Der blutige Tanz hatte begonnen.

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Brinian leitete seine Reiter in einem Bogen rechts von der Pikenformation weg, Borstefred tat es ihm auf der linken Seite gleich. Insgeheim hoffte der Allinger, dass die Finte Hadrumirs Erfolg haben würde. Schnell setzten sich die Reiter von der feindlichen Formation ab.

„Hauptmann?“ Voltan stand ungerührt am Tor und schaute den Korporal mit stoischer Ruhe an. „Bericht!“ befahl er. „Alle Soldaten haben die Burg geräumt.“ „Was ist mit Hadrumir?“ „Ist ebenfalls durch den Geheimgang auf dem Weg nach draußen.“ Voltan nickte anerkennend. „Zieht alle Soldaten von den Mauern ab! Wir werden uns in die Kapelle zurückziehen und den Feind dort erwarten.“ „Und dann?“ „Ich hoffe, dass diese almadanischen Pferdeschänder einen Funken Ehre besitzen und die wehrlosen Bauern abziehen lassen, wenn wir die Waffen strecken.“ „Wir geben auf?“ „Es ist unsere Pflicht die Wehrlosen zu schützen!“ „Zu Befehl!“

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Stirnrunzelnd starrte Boraccio den abdrehenden Reitern hinterher. „Soso, ihr wolltet uns also nur beschäftigen, wie? Was hat der Dachs da drüben in seinem Bau vor?“ Er eilte zu der Abteilung, die noch das Tor bewachte. „Tut sich irgendwas da drüben?“ „Nein, keine Menschenseele zu sehen, Capitan ... gar keine! Als ob der Laden ausgestorben wäre.“ Angestrengt musterte der Aracener die Burgzinnen. „Das werden wir rausfinden. Alle Mann an die Leitern und den Rammbock! Joß, Dein Banner hält uns den Rücken frei, falls dieses traurige Abbild einer Reiterei sich noch einmal blicken läßt!“

Das bereits malträtierte Tor zur Vorburg hatte nicht lange Stand gehalten, niemand hatte sich den Angreifern in den Weg gestellt. Das Tor zur Hauptburg war zwar versperrt, aber es gelang einem Trupp mittels der Sturmleitern über die Mauer zu klettern und das Tor von innen zu öffnen. Den wenigen Widerstand auf den Mauern hatte man schnell niedergemacht. Die Söldner strömten in einen verlassenden Burghof. Boraccio betrat mit der Hauptmacht die Burg und inspizierte mit einem schnellen Blick die Verteidigungsanlagen. „Merkwürdig, die hätten sich hier noch eine ganze Weile halten und uns das Leben schwer machen können. Hatten anscheinend keine Lust sich noch länger belagern zu lassen.“ Neben ihm sprach Ulmenbert ruhig: „Einstweilen hat der Schwingenfelser wohl den Kopf aus der Schlinge gezogen. Der Graf wird ihm aber auch in seiner neuen Zuflucht keine Ruhe lassen, so es die Umstände erlauben.“ Wenigstens konnten sie Kunrats Körper bergen, wenn schon die Schwingenfelser entwischt waren. Eine weitere traurige Heimkehr stand ihm bevor. Nachdenklich rieb sich Boraccio den Bart. „Also gut, alles herhören!“ befahl er. „Die Burg ist nicht zum Plündern frei gegeben, also lasst alles stehen!“ Natürlich würde trotzdem so einiges verschwinden und bald bei den Krämern in der Umgegend wieder auftauchen, aber damit musste dieser Ludorand wohl leben. „Durchkämmt die Burg und treibt jeden, den ihr findet, hier in den Burghof. Wer sich wehrt wird niedergemacht!“ „Capitan, anscheinend haben sich ein paar von den Garetiern in der Kapelle verschanzt!“ „Kappelle, wie?“ knurrte der Condottiere. Hoffentlich lies sich die Angelegenheit ohne Kampf regeln, ein Gotteshaus niederzubrennen sorgte für einen üblen Ruf und würde ihm sicher eine ordentliche Standpauke von seinem Onkel und seiner Schwester einbringen, mindestens. „He, Ihr da drin! Legt Eure Waffen nieder und kommt heraus!“ Hoffentlich waren sie vernünftig.

Ludorand von Schwingenfels eilte durch die Gänge des Hauptgebäudes. Die Gänge waren leer. Auch die Räume waren ausgeräumt. In ihm bildete sich langsam die Erkenntnis, dass Hadrumir von langer Hand seinen Abgang geplant hatte. Dies war die einzige mögliche Erklärung dafür, dass alles wie ausgestorben war. Er hatte das Arbeitszimmer erreicht. Alle Dokumente waren aus den Schränken geräumt. Einsam lag ein Anderthalbhänder auf dem Schreibtisch. Es war das Schwert Hadrumirs. Ludorand schaute gedankenverloren auf den Tisch.

Voltan von Schwingenfels trat in den Eingang. Die Tore der Kapelle waren nur einen Spalt breit geöffnet. „Wir werden die Waffen nicht eher niederlegen, bis Ihr allen Anwesenden in der Kapelle freien Abzug gewährt!“ rief er dem Almadaner zu.

„Die Bauern können nach Hause gehen auf ihre Felder, über deren weiteres Schicksal mag der Graf bestimmen. Alle Bewaffneten sollen die Waffen abgeben, über die Höhe der Auslösung wird später noch zu verhandeln sein.“ entgegnete der Condottiere. „Und wem es hier im Norden zu kalt und trostlos ist, kann sich uns meinetwe-gen anschließen. Bei uns gibt es Sonne, Wein und schöne Frauen im Überfluss.“ Die Almadaner quittierten den letzen Satz ihres Anführers mit lautem Gejohle. „Wenn Ihr es so haben wollt, kommt her und holt uns!“ rief Voltan und er stieß die Tore zu. Grimmig lächelte er seinen Begleitern zu. „Mal sehen, wie viel Eier dieser Almadaner in der Hose hat.“

Der Condottiere zuckte mit den Schultern. „Wollen doch mal sehen, wann ihnen vor Durst die Zunge am Gaumen klebt. Schießt jeden wie einen räudigen Hund über den Haufen, der seine Nase vor die Tür steckt! Ach ja, und schafft schon mal ein paar Bündel nasses Holz und Zweige herbei, mir ist heute nach Räucherschinken.“ Schon wieder ein junger Heißsporn, der nicht kapierte, wann das Spiel verloren ist, und den ehrenvollen Tod suchte. Manche Dinge änderten sich eben nie. Er seufzte und wandte sich dann ab, um weiter die Burg zu inspizieren. Vielleicht würde der Jungspund ja noch zur Vernunft kommen, für heute war eigentlich genug Blut vergossen worden.

Einige Zeit war vergangen, als ein lauter Tumult im Hof Boraccios Aufmerksamkeit erregte. Nichts Gutes ahnend eilte er nach draußen, um ein Unglück zu verhindern. Dort fand er neben seinen Soldaten eine junge Frau, ihrer Kleidung nach eine Priesterin der Göttin Peraine, vor, die mit einem Korb voller Brot und einem Eimer Wasser in der Hand vor dem sichtlich ratlosen Joß stand, der versuchte sie davon abzuhalten in die Kapalle zu gehen.

„Was ist hier los?“ mischte sich Boraccio in den Disput ein. „Nun, äh, wißt Ihr, Capitan, ihre Gnaden hier möchte in die Kapelle gehen ...“ antworte der Sergeant.

„Ich fürchte, das kann ich Euch nicht gestatten, Euer Gnaden“, wandte sich der Condottiere nun direkt an die Geweihte. Heidelinde stockte und begann den Mut zu verlieren. Bei dem Söldnerführer handelte es sich immerhin um einen Adligen des Reiches und es stand ihr nicht zu in weltlichen Dingen zu widersprechen. Aber tief in ihrem Inneren spürte sie die Kraft ihrer Göttin, die diese Not nicht duldete und so schob sie schließlich trotzig ihr Kinn vor. „Ihr wollte Euch doch nicht an den Zwölfgöttern versündigen, Euer Wohlgeboren, in dem ihr Dutzende Unschuldige in einem Ihrer Tempel kläglich verhungern laßt?!“ „Nun ...“ setzte Boraccio an, wußte aber nicht weiter. Der hilflose Blick seines Sergeanten verriet ihm, daß dieser auch keine überzeugende Entgegnung hatte. „Auf ein Wort, Euer Gnaden!“ Boraccio faßte die Priesterin sanft am Arm und zog sie etwas weg in eine ruhigere Ecke. „Also gut.“ brummte er. „Meinetwegen geht da rein. Die ganze Angelegenheit ist sowieso überflüssig. Bestellt dem Hitzkopf, der da drin das Kommando hat, daß die Bauern wie versprochen abziehen können und ich ihm und seine Leuten eine ehrenvolle Kapitulation anbiete. Nach den üblichen Verhandlungen können sie dann zurückkehren zu ihrem Hauptmann. Richtet ihm aus, dass ich unter vier Augen mit ihm sprechen möchte, wo uns nicht Hunderte von Ohren zuhören und wir freier reden können. Er bekommt selbstverständlich freies Geleit. Euer Gnaden, wenn Ihr helfen wollt ein unnötiges Blutvergießen zu verhindern, dann helft uns dabei zu verhandeln.“ Eine Mischung aus Erleichterung, daß ihrer Mission nun keine Steine mehr im Weg lagen und Anspan-nung, daß der weitere Ausgang nun von ihr abhing, durchströmte Heidelinde, so daß sie kein Wort herausbrachte und nur eifrig nickte.

Die Söldner, die Kapelle umstellt hatten zogen sich auf Anweisung ihres Hauptmanns ein Stück weit zurück. „Holla, Ihr da in der Kapelle! Schwester Heidelinde hier möchte zu Euch rein kommen. Im Namen der gütigen Peraine, laßt sie ein!“ Langsam trat Heidelinde auf den freien Platz vor dem Eingang und näherte sich vorsichtig Schritt für Schritt. Schneller hätte sie auch nicht gehen können, die Knie zitterten ihr, so daß sie kaum noch gehen konnte. „Was machen wir, wenn diese Bastarde auf sie schießen?“ flüsterte Joß. „Dann, beim Praios, schleife ich diesen Frevler eigenhändig vor das nächste Inquisitionsgericht.“ knurrte Boraccio.

Quälend langsam verging die Zeit, während man vor der Kapelle wartete. Ludorand war zu den almdaner Söldnern gestoßen und hatte sich über die Lage berichten. Endlich öffnete sich wieder das Tor zur Kapelle und Schwester Heidelinde trat in den Hof. Ihr ernster Gesichtsausdruck lies nichts Gutes erahnen. Ungeduldig wartete Boraccio, bis die Geweihte bei ihm ankam.

„Und? Konntet Ihr den Wirrkopf dort drin überzeugen, Euer Gnaden?“
Mit versteinerter Miene schüttelte sie den Kopf. „Er sagt, daß entweder alle gehen oder keiner.“
„Bitte, ganz wie er möchte, wir haben Zeit und Vorräte.“ Der grimmige Gesichtsausdruck des Araceners deutete an, daß er bereit war die Belagerung weiter fortzusetzen.
„Aber Euer Wohlgeboren, Ihr wollt doch die unschuldigen Menschen dort verhungern lassen?“ protestierte Heidelinde.
„Die Unschuldigen Menschen können meinetwegen gehen, ich hindere sie jedenfalls nicht daran!“ entgegnete der Condottiere trotzig.
„Euer Gnaden, sagt ihnen bitte, daß ich allen freien Abzug gewähre.“ erklärte plötzlich Ludorand, der dem Disput bislang schweigend gefolgt war.
„Wie ... Ihr wünscht, Euer Wohlgeboren“, antwortete die verdutzte Geweihte.
„Was ... Seid Ihr von Sinnen, Dom Ludorand?“ fuhr der Almadaner den gräflichen Zeugmeister an. „Ihr könnt den Kerl da nicht einfach hier rausspazieren lassen wie einen stolzen Gockel.“
„Mit Verlaub, das hier ist meine Burg und ich führe hier das Kommando. Und ich sage, daß sie freien Abzug bekommen.“
„Wenn Ihr unbedingt wollt. Dann kümmert Ihr Euch um die Angelegenheit und erklärt nachher alles dem Grafen.“ grummelte der Söldnerführer.
„Das laßt mal meine Sorge sein. Euer Gnaden, wenn ich Euch noch einmal als Botschafterin in Beschlag nehmen dürfte?“