Geschichten:Zunge wie ein Säbel - Von Kadi zu Kadi

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Spätsommer 1046 BF, im Grenzgebiet zwischen Perricum und Aranien, nahe Morganabad

Durch etwas Glück hatte Erena erfahren, dass die Kadi, ihre ehemalige Mentorin, gerade nicht auf dem Gut Marech al'suruh weilte, sondern in einer Angelegenheit als Rechtsbeistand sehr nahe der Grenze zu Perricum aufhielt. So war sie nicht unnötigerweise weiter gereist als sie es hätte müssen.

So betrat sie am Rande eines kleinen aranischen Dorfes das üppige Zelt Arianas, die man hier nur noch Kadi Al'Kadi nannte. Auch von innen war das Zelt gut ausgestattet und größtenteils in den Farben Rot und Gelb gehalten, es sangen ein paar Singvögel und es roch nach frischem Tee. Die temporäre Behausung war geschickt durch Stellwände und Tücher in einen Privat- und einen Arbeitsbereich aufgeteilt, in dessen Mitte ein flacher Teetisch als Vermittler aufgebaut war. Im Arbeitsbereich konnte Erena einige handliche Bücher, Schriftstücke und Schreibwerkzeug erkennen. Weiter hatte sie keine Zeit sich umzusehen, da die Kadi, angetan in edle baburische Kleider in hellen Tönen hinter einem Vorhang hervortrat.

"Ah, Erena, meine Stua'libal'taran (etwa Liebling-Studentin/Schülerin). Wobei das natürlich schon längst nicht mehr angemessen ist, verzeih meine Sentimentalität. Natürlich weiß ich, dass du aufstrebst in Perricum. Dein eigenes Gut, deine Unterstützung am Markgrafenhof und natürlich dein Dienst an der Gattin meines...Bruders.", begann die Kadi auf einer Mischung aus aranischem und nebachotischen Tulamidya, im letzten Teil schwang dabei etwas mit, dass Erena nicht ganz zu deuten wusste.

"Es sei Euch verziehen, Us Me'nora (etwa Mentorin)...", die ehemalige Schülerin lächelte freundlich, "...ich freue mich Euch zu sehen und hege eine ganz ähnliche Sentimentalität. Beinahe wäre ich ganz bis Marech al'suruh gereist um Euch zu treffen. Was führt Euch hier her?"

"Die Aufgaben einer Kadi, beste Erena, einer Kadi in Zeiten eines schwierigen Umbruchs und vieler rechtlicher und diplomatischer Fragen. Konkret geht es hier um alte vermeintlich falsche Abgaben und Zölle und vorallem Weideland, dass nun nicht mehr ohne weiteres genutzt werden kann. Die Hirten dieses Dorfes klagen darüber, dass sie die Weiden nördlich des Dorfes, die ihnen nach Gewohnheitsrecht zugänglich waren, ihnen nun versagt werden. Alltag nach Morganabad. Früher war da teilweise mehr Kullanz, aufgrund der Anspruchslage. Nur ein Beispiel von vielen. Aber das kennst du sicherlich." Etwas lauerte in der Stimme Arianas der Kadi Al'Kadi. "Und was verschlägt dich hier her meine liebe, gescheite Erena?"

Erena wurde etwas verunsichert, wie es nur eine Schülerin vor ihrer alten Lehrerin werden konnte. Dennoch, riss sie sich zusammen, immerhin war sie mittlerweile auch Rechtsgelehrte. Um etwas Ruhe in ihre Stimme zu bekommen, begann sie zunächst sich auf den Aufenthalt hier vor Ort zu beziehen: "Ich sehe, eine knifflige Angelegenheit und ich denke ich verstehe jetzt auch das Zelt als neutralen Grund, außerhalb des Dorfes, Ihr ward schon immer eine große Diplomatin. Aber ich bin nicht hier um Euch zu schmeicheln, ich bin hier wegen eines Falles, der derzeit die Baronin von Haselhain, Eure Schwägerin, mehr oder minder, umtreibt und..."

"...und ich soll ihr einen verwandtschaftlichen Dienst tun, weil die Angelgenheit knifflig ist und eine Kadi von meinem Rang Einfluss auf solche Fälle nehmen kann, bzw. vllt sogar unabdingbar für eine Lösung ist, weil es sich um einen grenzübergreifenden Konflikt handelt, der sich nicht einfach mit 'Morganabad' abwiegeln lässt."

"Ihr wisst worum es geht?"

"Ich habe davon gehört. Und ich habe auch gehört, dass der Seneschall unpässlich und die Landrichterin abgängig und vertreten ist. Und das dies vielerlei Begehrlichkeiten geweckt hat."

"Natürlich, habt Ihr das gehört. Ihr seid die 'Praiola' (Praiosgrüßer-Vogel), verzeiht mir meine Naivität."

"Da gibt es nichts zu verzeihen, Eure Erkenntnis soll Euch Verzeihung genug sein. Dann kennt Ihr meine Antwort auch. Wahrscheinlich habt ihr sie bereits gewusst als Ihr aufgebrochen seid."

Erena neigte sanft das Haupt, in Anerkennung ihrer Überführung. "..., Ihr werdet so entscheiden wie es Recht und Gesetz verlangen, ihr seid eine Kadi beider Seiten und werdet nicht einfach zu Gunsten einer Seite entscheiden...gerade jetzt nach Morganabad 42", Erena hielt kurz inne, "...vorallem nicht, wenn es die eigene Familie betrifft, bei der man Euch Voreingenommenheit unterstellen könnte, was Eure Stellung und Eure Ehre als Kadi untergraben würde..."

"Das ist wahr. Ihr hattet eine gute Lehrmeisterin.", antwortete die Oberste Kadi witzelnd.

Zwischen stolz und enttäuscht nicht mehr erreicht zu haben, lächelte Erena ihre gar nicht so viel ältere Mentorin an, diese war ein Wunderkind gewesen, schon immer. Die über die Turbulenzen ihres Lebens in Perricum hinweggekommen war und mit den Jahren in Aranien sich zu einer gefestigten Person und Größe entwickelt hatte. Erena wusste, dass es richtig war was Ariana die Kadi Al'Kadi hier tat, auch wenn das der Baronin nicht gänzlich gefallen würde. Es blieb noch die Möglichkeit, dass die Kadi dennoch zu Gunsten Fatimes entscheiden würde, aber nur zu ihren Bedingungen.

"Dann sehen wir uns also bald wieder, Us Me'nora ?"

"Dann sehen wir uns bald wieder, Kadi Erena. Ich werde nach dieser Angelegenheit ins Perricumsche reisen und mich dem annehmen. Trinken wir aber vorher noch einen Tee, auf die alten Zeiten."

Erena lächelte.