Geschichten:Otwins Reise in die Nordmarken — Briefspielreihe

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Baronie Greifenhorst, Markgrafschaft Greifenfurt, Greifenfurt:Otwin von Greifenhorst-Schwarzberg, Greifenfurt:Karina von Greifenhorst-Schwarzberg

Reise des Barons Otwin von Greifenhorst und seiner Gemahlin in die Nordmarken - Besuch auf Gut Drachenstieg / Baronie Witzichenberg, Teil III

Baronie Greifenhorst, Mitte Phex 1044

Baronie Witzichenberg, Gut Drachenstieg

Mitte Peraine 1044 BF

Inzwischen waren Otwin und Karina auf Gut Drachenstieg eingetroffen. Man hatte das Wiedersehen gefeiert, Geschenke überreicht und sich nächtelang bis in die frühen Morgenstunden unterhalten.

Nun zeigte Nyah ihren Gästen das Gut, ihr Kontor und die nähere Umgebung. Auch ein Besuch in Kefberg mit einer Besichtigung des Tempels des Lichts stand auf dem Programm. Sie waren beeindruckt von dem vor noch nicht langer Zeit wieder errichteten Praiostempel, der beim Brand Kefbergs schwer beschädigt worden war. Seine prächtigen Mosaike beeindruckten die Besucher fast so sehr, wie die Reliquien, die ihnen Seine Hochwürden Ardan von Siebenstein persönlich präsentierte.

Karina und Otwin wurde eine bunte Schuppe gezeigt, die man dem Hohen Drachen Darador zuschrieb und eine Feder, die von dem Greifen Garafan stammen solle. Ardan von Siebenstein bewirtete seine Gäste äußerst traviagefällig, hegte er doch die Hoffnung, das Baronspaar für eine Spende zu gewinnen, und so berichtete er sehr wortgewandt von seinen Plänen, dem Alveraniar Darador ein prächtiges Mosaik zu widmen und legte auch eine Entwurfszeichnung vor. Das Baronspaar tätigte dann auch eine Spende, doch die Höhe trieb Ardan fast die Tränen in die Augen - er hatte mit einer großzügigeren Gabe gerechnet.

Nyah und ihre Gäste aus Greifenfurt waren während ihres Besuchs in Kefberg bei Galan von Siebenstein zu Gast. Der Vogt von Kefberg war ein älterer Mann, Bonvivant und Charmeur. Besonders seine weiblichen Gäste hofierte er, aber auch Otwin konnte sich über fehlende Gastfreundschaft oder Aufmerksamkeit nicht beklagen. ‚Ein Mann, der es zu leben und zu genießen versteht‘, urteilte Otwin wohlwollend.

Zurück auf Gut Drachenstieg erwartete sie eine Einladung der Baronin Melinde, die Nyah, Reto, Karina und Otwin nach Burg Tannwirk einlud. Man traf dort die Familie Eberwulf von Tannwirk zu einem geselligen Abendessen. Auch hier wurden Geschenke überreicht. Reto hatte eine neue Art Branntwein, einen Schlehenbrand, mitgebracht, der von allen Anwesenden gerne probiert wurde, denn die Schnäpse aus der Destille auf Gut Drachenstieg hatten in Witzichenberg einen guten Ruf. Da Schlehen nur wild wuchsen, hatte Reto nur eine kleine Menge dieser Geschmacksrichtung brennen können. Das mitgebrachte Kochbuch von Laxolla mit den Suppenrezepten sorgte für Gelächter, aber erweckte auch reges Interesse, besonders bei Liliane, der Ziehmutter der Baronin und Edlen zu Kreuzweiher.

Zu Gast auf Burg Tannwirk war auch eine junge Frau, Yacoba Chiesa di Corte, eine Künstlerin, die auf Empfehlung von Nyahs Eltern aus Havena zuerst nach Gut Drachenstieg gekommen war und jetzt auf der Burg weilte. Karina war sich nicht sicher, was sie von der jungen, etwas überkandidelten Frau halten sollte. ‚Sie wirkt so, als würde sie Dinge sehen, die wir nicht sehen können‘, dachte Karina bei sich. Nach dem Essen schauten sie sich einige der Gemälde Yacobas an, die oft die Wirklichkeit verfremdeten. Karina fand mehr gefallen an den von der Künstlerin geschaffen Glasbildern, deren tsagefällige Farben bunte Lichtpunkte an die Wände warfen. ‚Vielleicht kann ich Otwin überreden, eines davon zu erwerben‘ überlegte Karina, als sie plötzlich bemerkte, dass die Künstlerin sie beobachtete. „Euer Hochgeboren“, setzte Yacoba an, „Darf ich Euch dieses Glas verehren? Es lässt Eure Aura strahlen!“. Karina war einen Moment sprachlos. „Das ist ein zu kostbares Geschenk, das kann ich unmöglich annehmen!“ Die junge Frau lächelte. „Doch, Euer Hochgeboren, es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr es annehmen würdet. Ich glaube, das Glas gehört zu Euch, das kann ich fühlen.“ Karina war verwirrt. „Nun, wenn Ihr meint… Bitte vergebt mir, ich meine - sehr gerne! Von Herzen Danke!“ Yacoba lachte hell auf, sie war es gewohnt, dass die Leute über ihre Art wahrzunehmen, irritiert waren. Karina drückte Yacobas Hand.

Am nächsten Morgen führte Liliane die Gäste durch die Burg. Der Burggarten war noch recht kahl, aber sehr bemerkenswert war der liebevoll geschmückte Zwölfgötterschrein, den Liliane am Vortag selbst geschmückt hatte. Als sie nach dem Rundgang wieder in den Palas zurückkehrten, trat Melinde zu ihnen. Sie wandte sich an Otwin und Karina: „Werte Gäste, es ist mir eine Ehre und wirkliche Freude, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben! Wie ich unserem Gespräch gestern Abend entnommen habe, werdet Ihr noch eine ganze Zeit in Witzichenberg verweilen. Dies möchte ich zum Anlass nehmen, Euch zu meinem Bankett zu laden, welches ich am 15. Ingerimm anlässlich meiner Belehnung, die erst vor kurzem erfolgte, geben werde. Viele Gratenfelser Nachbarn werden anwesend sein und es wird uns allen hier eine Freude sein, wenn Ihr uns mit Eurer Anwesenheit beehrt!“ Freudig willigte Karina ein, bevor Otwin etwas anderes sagen konnte. Allerdings freute sich auch Otwin über die Einladung und hatte gar nicht vorgehabt, die Einladung auszuschlagen. Allerdings befürchtete er, dass seine teure Gattin nun vielleicht ein weiteres Gewand, dem Anlass entsprechend, würde anschaffen wollen.

In der Tat stellte Karina nach der Rückkehr nach Drachenstieg fest, dass sie überhaupt nichts anzuziehen hatte, und da Nyah das gleiche Problem hatte, reisten die beiden Damen nach Kefberg, um den Schneidermeister Kittelböck aufzusuchen. Reto hielt sich auf dem Gut für unabkömmlich, immerhin war doch die Zeit der Aussaat, also blieben er und Otwin auf Drachenstieg zurück, denn Otwin sollte Reto Gesellschaft leisten, während die Damen abwesend waren. In den Abendstunden weilten die beiden Männer in der Destille, wo Reto seinen Gast seine neuesten Kreationen probieren ließ.

Am Nachmittag des übernächsten Tages kehrten Nyah und ihr Gast aus Kefberg zurück. Natürlich war es nicht nur bei der Bestellung eines Kleides geblieben, sie hatten noch weitere Einkäufe getätigt. Unter anderem hatte Karina einen Fächer für Yacoba erstanden, um sich für das Glasfenster zu bedanken. Um das empfindliche Kunstwerk für die Heimreise zu sichern, gab Karina eine Kiste in Auftrag, in der es vor Stößen gut geschützt sein würde. Nyah hatte für die Kinder noch Spielsachen und ein Buch über Sagen und Legenden erstanden. Nach dem Abendmahl setzte man sich im Garten auf den ein oder anderen Becher Wein oder Bier zusammen und die Frauen berichteten von ihrem Aufenthalt in Kefberg. „Natürlich müssen wir in einigen Tagen nochmal zur Anprobe hin“, berichtete Nyah erfreut. Karina nickte zustimmend. „Und gerne möchte ich den Perainetempel in Kreuzweiher besuchen. Nyah hat mir von ihm und seinen heißen Quellen berichtet.“ Otwin war einverstanden und so setzte Nyah am nächsten Vormittag ein Schreiben an die Tempelvorsteherin Elfriede Gumbeltritt auf, in welchem sie anfragte, ob ein Besuch in drei Tagen genehm sei.

Der Bote kehrte mit einem positiven Bescheid zurück und so trat man zwei Tage später den Weg nach Kreuzweiher an. Am späten Nachmittag erreichten sie Kreuzweiher. Der Tempel lag in einem großen, ummauerten Garten. Sie fuhren durch das Tor, auf der rechten Seite lag ein Hain von Obstbäumen, dem sich ein Garten mit Rosen, Lavendel und anderen blühenden Kräutern anschloss. Auf der linken Seite lagen Gemüsebeete, deren Rabatten mit blühenden Stauden bepflanzt waren, in der Mauerecke lud ein Pavillon zum Verweilen ein. Die Stauden und Büsche waren im Wechsel mit Kräutern aller Art gesetzt worden, so dass die Beete nicht nur hübsch aussahen, sondern auch viele Heilkräuter geerntet werden konnten, die zu allerlei Tränken, Salben und Aufgüssen verarbeitet wurden. Der geschwungene Weg führte vor den rotundenförmigen Tempel. Rechts und links des Baus schlossen sich zwei Flügel an, wo die Wohnräume der Geweihten und des Gesindes, die Gästezimmer sowie ein Krankensaal und ein Schlafsaal für Pilger lagen. Der Wagen hielt vor dem Tempel, wo Elfriede aus der Türe trat, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Nyah wies Otwins Kutscher an, dem Weg zu folgen und die Durchfahrt unter dem linken Flügel zu nehmen, hinter dem die Stallungen lagen.

„Willkommen in Kreuzweiher!“, begrüßte die Geweihte die Ankömmlinge.

Hinter der Tempelvorsteherin erschien die zweite Geweihte des Tempels, Helgolind Behrenfreit. Man begrüßte sich und stellte einander vor. Dann führte Elfriede die Gäste durch den Tempel. Mit besonderem Stolz führt sie Karina, Otwin und Nyah zu dem Altar, den die Holzschnitzerin Tillandsia Gürtelschneider geschaffen hatte. Das genaue Alter des Altars war nicht bekannt. Tillandsia Gürtelschneider wirkte vor rund 150 Götterläufen. Den Altar von Kreuzweiher schuf sie aus Föhrenholz, die Peraine-Statue in der Mitte jedoch aus dem weicheren Lindenholz.

Die Altarflügel trugen je zwei Bildtafeln, links und rechts unten jeweils ein Mosaik mit fruchttragenden Apfelbäumen. Die roten Äpfel wurden aus emaillierten, gewölbten Scheiben gefertigt und wirkten durch ihre Wölbung sehr plastisch. Links oben war ein Glasmosaik zu sehen, das eine Traube mit roten Weinbeeren darstellte. Das durch das dahinter liegende Fenster fallende Licht beleuchtete das Glasbildnis und ließ es erstrahlen. Die Tafel auf der rechten oberen Seite zeigte das Sternbild des Storches. Das Mosaik wurde aus Lapislazuli (Hintergrund), Silber (Verbindungslinien) und Adamanten (Sterne) geschaffen. Diese wertvollen Materialien wurden von dankbaren Pilgern und geheilten Patienten des Tempels gespendet. Die drei Bildtafeln im Fuß des Altars zeigten einen Storch, St. Therias wundertätigen Honigtopf und Getreideähren.

In der Altarmitte, vor der Statue der Peraine, standen zwei getrocknete Getreidegarben, in deren Mitte eine Vase mit frischen Blumen, die im Winter durch getrocknete Strohblumen ersetzt wurden. Das obere Ende des Altars wurde von einer hohen Spitze geschmückt. Karina bewunderte die Peraine-gefälligen Mosaike, besonders das des Sternenbildes des Storches, welches aus Lapislazuli und Adamanten gefertigt war.

Nach dem Rundgang durch den Tempel führte Elfriede sie in den hinteren Garten, in dem auch die warmen Quellen und das Badehaus lagen. Auch hier lud ein gewundener Weg zum Lustwandeln ein, auch wenn noch nicht alle Stauden blühten. Bänke und Pavillons waren überall im Garten verteilt und boten Möglichkeiten zum Verweilen. Im hinteren Bereich des ummauerten Gartens, zwischen einem Teich und dem Badehaus war eine kleine Baustelle. Elfriede führte ihre Gäste dorthin: „Hier ist eine Wasserleitung undicht, die das Wasser von einer der Quellen zum Badehaus leitet. Wir sind dabei sie auszutauschen.“

Interessiert traten die Damen und der Herr an das aufgegrabene Stück Erde heran, wo zwei Knechte zu Gange waren. Tönerne Rohre lagen bereit, eingesetzt zu werden. Einer der beiden Männer zog das beschädigte Rohr aus dem Erdreich und reichte es dem anderen. Dann blickte er nach unten und fing an, mit den Fingern Erde beiseite zu wischen. „Hier ist etwas!“, rief er. „Was ist es denn, Lantfried?“, erkundigte sich die Tempelvorsteherin. „Ein Lederbeutel.“ Er räumte weiter Erde beiseite. „Da ist etwas drin!“ Behutsam holte er den Fund aus der Erde und reichte ihm dem anderen Knecht. Dieser, Monulf lautete sein Name, trat zu Elfriede und wollte den Fund auspacken. „Gehen wir lieber zuerst zu dem Tisch dort drüben“, schlug die Geweihte vor. Dort wurde das Stück vorsichtig abgesetzt. Der Mann wollte es für Elfriede auspacken, damit sie ihre Robe nicht beschmutze, aber sie scheute sich nicht davor, dies selbst zu tun. Lantfried war ihnen gefolgt und gespannt warteten alle, was in dem alten ledernen Beutel verborgen war. Eine Schatulle, dunkel und verdreckt, wurde von Elfriede hervorgeholt, die vorsichtig begann, den Schmutz abzuwischen. Lantfried holte ihr ein Tuch, mit dem sie weiterarbeitete. Keiner der Umstehenden sagte ein Wort, während Elfriede die Truhe reinigte. „Sie scheint aus Metall zu sein“, sagte sie leise und versuchte den Deckel anzuheben. „Es muss etwas recht Bedeutsames darin sein, wenn schon die Umhüllung so kostbar ist“, vermutete Otwin. Elfriede schluckte. Der Deckel klemmte, doch nach einigem Ruckeln ließ er sich öffnen. Ein Päckchen aus Wachstuch lag darin, sorgfältig verschnürt. Vorsichtig hob Elfriede es aus der Kiste und legte es behutsam auf den Tisch. Sehr langsam begann die gläubige Frau die Schnur zu lösen, dann hielt sie inne. „Monulf, hole Ihre Gnaden Helgolind. Ich glaube, sie ist in der Küche.“ Der angesprochene nickte stumm und verschwand.

Schon sehr bald kehrte er mit Helgolind zurück. „Was gibt es denn?“, fragte diese interessiert. „Monulf hat mir nichts verraten, nur dass ich schnell kommen solle.“ „Lantfried und Monulf haben etwas unter der defekten Wasserleitung gefunden. Es könnte etwas ganz besonderes sein.“ Inzwischen hatten die Zuschauenden Platz genommen, nur Lantfried und Monulf waren stehen geblieben. Elfriede fuhr fort, die Schnur zu entfernen, legte sie beiseite und begann das Wachstuch aufzufalten. Viele Lagen von weichem Mull umgaben den Inhalt, dessen letzte Lage aus vergilbtem Leinen bestand. Schließlich lagen sechs Rechtecke, jedes noch in eine letzte Stofflage gehüllt, auf dem Tisch. Die Spannung unter den Zuschauern stieg. Was mochte das sein? Mit zitternden Händen ergriff die Tempelvorsteherin eines der Päckchen und entfernte das Leinen. Eine Tontafel, etwa zehn auf fünfzehn Halbfinger groß, kam zum Vorschein. Helgolind trat dicht zu ihrer Glaubensschwester. „Dort ist etwas geschrieben“, und sie versuchte, die Zeichen zu entziffern. „Ich glaube, wir bringen sie besser ins Haus. Dort können wir versuchen, sie mithilfe eines Vergrößerungsglases zu entziffern. Lantfried, Monulf, bitte stellt die Wasserleitung fertig. Ich berichte Euch später, was wir herausgefunden haben.“ Enttäuscht gingen die beiden Männer an ihre Arbeit zurück, während Elfriede die Tafeln in die Kiste packte. Helgolind hängte den nassen Beutel zum Trocknen auf, um ihn später zu untersuchen.

Inzwischen hatte Elfriede Karina, Otwin und Nyah in ihre Schreibstube geführt, wo sie die Tafeln auf einem Tisch ausbreitete und versuchte, den Text mit einem Vergrößerungsglas zu entziffern. Helgolind trat zu ihnen. „Kannst Du etwas erkennen?“ „Ich bin mir nicht sicher, möglicherweise sind hier Zahlen, vielleicht Mengenangaben.“ Auch die drei Gäste warfen einen Blick auf die Tafeln, jedoch ohne sie zu berühren, denn sie schienen sehr alt zu sein. Nach einer Weile ließ Elfriede von den Tafeln ab. „Ich fürchte, dass wir dieses Rätsel nicht sofort lösen können. Vielleicht möchten die hohen Herrschaften sich zunächst auf Ihre Zimmer begeben und im Anschluss einen kleinen Imbiss nehmen?“ Karina und Nyah bejahten, während Otwin sich lieber mit den Tafeln beschäftigt hätte, aber, höflich, wie er war, folgte er den Damen, die von Helgolind in den Gästetrakt geführt wurden. Ihr Gepäck hatte man bereits auf ihre Kammern gebracht. Nach dem Essen begaben sich Otwin, Karina und Nyah ins Badehaus, wo es nach Geschlechtern getrennte Bäder gab. Sie genossen das warme Wasser und die Massage und im Anschluss daran die Ruhepause auf den Ottomanen.

Das Abendessen nahmen sie dann gemeinsam mit den beiden Geweihten in deren Speisezimmer ein. „Nun, Euer Hochwürden, was habt Ihr noch über den Schatz herausgefunden?“, erkundigte sich Nyah neugierig. Auch Karina und Otwin blickten erwartungsvoll auf die fromme Frau, die sie anlächelte. „Es scheint sich um ein Rezept zu handeln. Wir haben Mengenangaben, Zutaten und eine Art Zubereitungsanweisung erkennen können, aber wir haben noch nicht alles entziffert.“ Das Essen verging mit einer angeregten Diskussion über mögliche Rezepte und warum man die Tafeln wohl versteckt haben mochte.

Nach dem Mahle begaben sie sich in den Tempel, wo Helgolind einen Perainedienst abhielt. Einige der Bauern aus der Umgebung waren erschienen und gemeinsam beteten alle, auch die hohen Herrschaften, deren bescheidener Wohlstand ja auch von Peraines Gaben abhing, für eine gute Ernte. Nachdem Götterdienst gingen Nyah, Otwin und Karina noch in dem Garten spazieren, doch bald schon brach die Nacht herein und man begab sich recht früh zur Ruhe, wie es im Tempel von Kreuzweiher so üblich war.

Am nächsten Morgen gingen Nyah und Karina schon vor dem Frühstück im vorderen Garten spazieren und sprachen über dies und das, während Otwin noch ruhte. Der Aufbruch sollte bald nach dem Frühstück stattfinden. Die Gäste versäumten nicht, Ihrer Hochwürden vor der Abreise eine Spende zu überreichen und Elfriede hatte einige Beutelchen mit Blumensamen vorbereitet, die sie den Besuchern zum Andenken mitgab.

Was zum Zeitpunkt der Abreise noch keiner wusste oder auch nur ahnte, war, dass sich die Täfelchen in der Tat als ein besonders wertvoller Schatz erweisen sollten: Es würde sich herausstellen, dass die heilige Theria höchstselbst ein Rezept für eine Heilsalbe in die Tafeln geritzt hatte.

Otwin, Karina und Nyah kehrten nach Drachenstieg zurück. Die Tage gingen dahin, das Wetter wurde wärmer und die Tage länger. Karina und Nyah holten ihre Festkleider in Kefberg ab, luden die Baronin mit ihrer Familie zu einem Picknick ein, bei dem auch die Malerin Yacoba anwesend war und sich über den Fächer, den Karina ihr verehrte, sehr freute. Schließlich kam der große Tag des Festbanketts, welches die Baronin Melinde anlässlich ihrer Belehnung veranstaltete. Viele der Gratenfelser Nachbarn erschienen, ebenso wie die Familie von Siebenstein und jede Menge Mitglieder der Familie Tannwirk. Auch die Familie von Ingrawin, derer von Rudeneck, Edle zu Dunkelgrund aus der Baronie Widdernhall, hatten den weiten Weg auf sich genommen, um mit Melinde und ihrem Gemahl zu feiern. Es gab ein fulminantes Mahl, Gesang, Tanz und Gaukler. Man feierte bis spät in die Nacht hinein und unterhielt sich blendend.

Besonders Karina machte eine bedeutungsvolle Bekanntschaft: Adaque von Rudeneck, Ada genannt, die jüngere Schwester Ingrawins, gefiel ihr außerordentlich gut. Die geistvolle, fröhliche junge Frau mit braunen Augen und kastanienbraunem Haar, ohne Allüren, fleißig involviert in die Arbeit des Gutes ihrer Familie, würde gut zu ihrem Sohn und in die Familie Greifenhorst-Schwarzberg passen.

In den Wochen nach dem Bankett, welche Ada noch auf Burg Tannwirk bei ihrem Bruder verbrachte, trafen die beiden Frauen einander häufig. Karina erzählte der jungen Frau von ihrem Sohn und lud sie ein, mit nach Greifenfurt zu reisen, um ihn kennenzulernen. Und zu Karinas Freude nahm Ada die Einladung an.

Anfang Rahja hieß es Abschiednehmen. Man wollte zeitig reisen, um sicher vor den Namenlosen Tagen in Greifenhorst anzukommen. Nyah und Otwin fiel der Abschied schwer. Wer weiß, wie lange es dauern würde, bis sie einander wiedersehen würden.

Bleibt noch zu erwähnen, dass Karinas Wunsch in Erfüllung ging und ihr Sohn Gerion Gefallen an Ada fand - und umgekehrt. Im folgenden Frühjahr besiegelte das junge Paar seinen Traviabund.


Ende