Geschichten:Die Sorgen der schönen Baronin
Burg Waldfang, 14. Rahja 1043
Es war ein heißer Tag im Sommer. In der Stadt Waldfang herrschte rege Betriebsamkeit, doch konnte man allerorts sehen, wie die Hitze den Bewohnern zu schaffen machte. Auf den Märkten wurden allerlei Waren feilgeboten, landwirtschaftliche Produkte, Stoffe und Tuche, Schnitzereien und Keramik. Hier und da konnte man auch mal ein seltenes Handelsgut ergattern, wie zum Beispiel ein Musikinstrument aus elfischer Fertigung oder ein Zwergenschloss. Doch überall herrschte tiefer Friede, die Großgaretische Fehde, die die Grafschaft Reichsforst beinahe ein Jahr in Atem gehalten hatte, schien an dem kleinen Städtchen Waldfang nahezu spurlos vorbeigegangen zu sein. Plötzlich kam ein wenig Bewegung in die Marktbesucher. Man bemühte sich, einer größeren Gruppe Berittener Platz zu machen. Viele erkannten die Ritter sofort: vorneweg ritten Erlan von Zankenblatt, der Baron zu Syrrenholt, sowie Baron Nimmgalf von Hirschfurten. Etwa ein Dutzend Berittene, allesamt Ritter der Häuser Hirschfurten und Zankenblatt, darunter auch Tsaiane von Talbach, bildeten ihre Eskorte. Man winkte den berühmten Pfortenrittern zu und bemühte sich nach Kräften, nicht im Weg zu stehen. Baron Erlan erwiderte die Grüße recht erfreut, und auch Nimmgalf ließ sich von den umstehenden Bürgern feiern, obschon er einen sehr nachdenklichen Eindruck machte. Schließlich kam es nicht alle Tage vor, dass Baronin Tsaiana ihre beiden Bundesbrüder von den Pfortenrittern nach Burg Waldfang einlud. Es musste etwas Wichtiges sein, was sie ihnen mitzuteilen hatte. Und Nimmgalf fragte sich fieberhaft, was dies wohl sein könnte.
Tsaiana hieß die beiden hohen Barone und ihr Gefolge auf Burg Waldfang herzlich willkommen. Nachdem man die Pferde den Stallburschen übergeben hatte, betrat man dann gemeinsam die Burg, die in die Oberstadt von Waldfang integriert war. Nach einer kurzen Verköstigung führte Tsaiana die beiden Barone in ihre Privatgemächer, sie hatte ihnen schon angekündigt, dass das, was sie ihnen mitteilen wollte, nur für ihre Ohren bestimmt sei.
„Nun denn, liebste Tsaiana, wir sind schon sehr gespannt darauf, was du uns mitzuteilen hast“, begann Nimmgalf die Konverstaion. Auch Erlan nickte: „Ja, bitte spann uns nicht länger auf die Folter, liebste Bundesschwester. Möchtest du uns vielleicht Deinen künftigen Gemahl präsentieren?“
Tsaiana lächtelte: „Nein, das ist es nicht. Ich bin diesbezüglich immer noch völlig unentschlossen. Aber darum geht es hier nicht, sondern um Politik. Genauer gesagt: Graf Dregos Politik!“
Nimmgalf und Erlan sahen sich überrascht an. Sie hätten mit vielem gerechnet, aber nicht, dass Tsaiana mit ihnen über Politik sprechen wollte. „Nur zu, wir sind ganz Ohr. Worum geht es genau?“ fragte Nimmgalf sie.
„Habt ihr davon gehört, dass die Baronie Schwarztannen neu vergeben wurde?“
Nimmgalf überlegte: „Ich habe gehört, dass der Baron Raulfried Haltreu von Schwarztannen im Hesinde tragischerweise gefallen ist. Da er keine Nachkommen hatte, wird die Baronie wohl an seinen Bruder gegangen sein. Ist dem nicht so?“
Tsaiana schüttelte den Kopf. „Zunächst einmal ist sein Bruder Raulward im Tsa ebenfalls gefallen, nämlich in der Schlacht im Greifen. Er war ebenfalls ohne Erben. Eigentlich hätte nach ihm dann sein Bruder Raulbrin Reto von Schwarztannen erben müssen, aber…“ Tsaiana blickte die beiden geheimnisvoll an: „das ist nicht passiert. Statt Raulbrin wurde jemand völlig anderes mit der Baronie belehnt, nämlich ein gewisser Drego von Altjachtern, ein Gefolgsmann Dregos aus Gräflich Luring.“
„Was?“ „WAS?“ platze es zeitgleich aus Nimmgalf und Erlan hervor.
„Ja, es stimmt. Die Baronie befindet sich nun nicht mehr im Besitz der Schwarztannens, sondern der Familie Altjachtern, die bis dato noch niederadelig waren.“
„Ich kenne die Altjachterns“, bemerkte Erlan. Die Mutter meiner Schwiegertochter Efferdane ist auch eine Altjachtern. Aber was bitte rechtfertigt, dass man sie in den Hochadelsstand erhebt? Einfach so?“
„Dasselbe ist doch auch im letzten Götterlauf in Rallerspfort passiert“, warf Nimmgalf ein. Die beiden sahen ihn an. „Auch hier: obwohl der verstorbene Baron Raulbrin noch Erben hatte, wurde die Baronie an einen neuen Baron vergeben: einen gewissen Haldan von Rallersgrund – bekannt durch das Waldsteiner Handelshaus Rallersgrund. Und ebenfalls bis zu diesem Zeitpunkt NICHT hochadelig.“
„Das kann doch kein Zufall sein!“ empörte sich Erlan. Auch Tsaiana blickte besorgt drein.
Nimmgalf schüttelte den Kopf. „Sicherlich nicht. Bei einem mal hätte ich noch an unglückliche Umstände gedacht, aber spätestens jetzt sollte klar sein, dass da eine Systematik dahinter steckt: das Grafenhaus unter Drego will seine Vasallen entmachten, und durch hörige Handlanger ersetzen!“
Nimmgalf lies seine Worte eine Weile wirken. Wer würde wohl der nächste sein?
Erlan schlug mit der Faust auf den Tisch. „Potztausend! Dieser elende Hundsfott! Unter Danos hätte es das nicht gegeben.“
„Nein, bestimmt nicht!“ bekräftigte Tsaiana. „Und noch was. Meine Berater haben mir versichert, dass die Zehntabgaben der beiden Städte in Schwarztannen jetzt direkt an die Grafenkrone gehen sollen. Anscheinend will man den neuen Baron bewusst klein halten.“
Auch dieses sorgte für Unverständnis bei den anderen. „Pah! Würde mich nicht wundern. Wenn das in Rallerspfort genau so gelaufen ist! Dass da ne Menge Gold in die Grafenschatulle geflossen ist, steht für mich außer Zweifel“, folgerte Nimmgalf aufgebracht.
„Aber was sollen wir jetzt tun?“ fragte Tsaiana etwas besorgt. „Wie wollen wir verhindern, dass es uns genauso ergeht?“
Nimmgalf überlegte: „Wir müssen vor allem vorsichtig sein mit allem, was vom Grafenhaus kommt. Und erstmal sollten wir die eigenen Pfründe absichern und die Erbfolge ganz klar regeln, damit eine grundlose Entlehnung nahezu ausgeschlossen werden kann. Tsaiana, deine Kinder sind noch minderjährig. Das könnte ein Problem werden. Auch wenn du deine Erstgeborene klar als deine Erbin benannt hast, könnte die Erbfolge von Grafenseite in Frage gestellt werden, wenn du keinen Gemahl von Stand findest, der die Kinder adoptiert, und damit auch vollständig legitimiert. Das sollte für dich doch machbar sein, oder?“
Tsaiana sah ihn skeptisch an. „Ach, ich weiß ja nicht... meinst Du wirklich, dass das ein Problem werden könnte?“
„Ich will es nicht hoffen, aber wir müssen jetzt auf alles vorbereitet sein. Ich werde versuchen, Kontakt zu den verbliebenen Mitgliedern der Familien Schwarztannen und Rallerspfort aufzunehmen. Vielleicht gab es ja doch triftige Gründe für die Entlehnung. Aber wenn nicht, sollten wir wirklich überlegen, ob wir das nicht vors Kron- oder gar vors Reichgericht tragen sollten.“
„Pffft, das würde doch wieder Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis da mal eine Entscheidung fällt“, bemerkte Erlan. „Wahrscheinlich wird das wieder im Sande verlaufen!“
„Hast Du eine bessere Idee?“
„Nun, unsere Königin könnte die Neubelehnungen sicher annullieren, wenn sie zu Unrecht durchgeführt wurden. Nur ist Rohaja nun mal leider auch Kaiserin in Personalunion, und wird sich mit solchen Kleinigkeiten nicht befassen können. Aber habt ihr schon von der Großfürstenbewegung gehört? Wenn Garetien einen Großfürsten hätte, dann hätten wir doch einen guten Ansprechpartner, um unseren Klagen Gehör zu verschaffen. Was meint ihr?“
„Davon will ich nichts wissen, Erlan. Ich habe auch vernommen, dass die Königin dieser Großfürstenbewegung sehr skeptisch gegenübersteht. Solange Rohaja nicht aus freien Stücken entscheidet, ihr Königreich in die Hand eines Großfürsten zu legen, werde ich mich einer solchen Idee strickt verweigern. Und das solltet ihr auch tun, alles andere würde nur Ärger machen“, entgegnete Nimmgalf energisch.
„Na schön, dann bleibt uns wohl erstmal nichts übrig, als diese Kröte zu schlucken“, erkannte Tsaiana enttäuscht. „Aber ich hoffe, da ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen! Vielleicht sollten wir uns für künftige Korrespondenz zu dem Thema ein unauffälliges Symbol überlegen…“ sinnierte Tsaiana.
„Ein Symbol?“ fragte Nimmgalf.
„Ja, etwas, was wir z.B. in einer Ecke eines Pergamentes unterbringen können, ohne dass jemand Verdacht schöpfen würde, wenn er es nicht kennt. So könnten wir verschlüsselt Hinweise austauschen, ohne Gefahr zu laufen, dass das Wissen in falsche Hände fällt.“
„Hervoragende Idee, meine Liebe!“ stimmte Erlan zu. „Und was genau hattest du dir da vorgestellt?"
„Wie wäre es mit einem kleinen Zweig mit drei Knospen. Diese stehen für uns drei. Sollten wir noch weitere Häuser oder Familien mit einweihen – sofern diese vertrauenswürdig sind versteht sich – können wir den Zweig erweitern. Was haltet ihr davon?“
„Einverstanden!“ antworteten Nimmgalf und Erlan gleichzeitig. Nimmgalf streckte die Faust aus, die anderen legten die rechten Hände darauf und so bekräftigten die drei Barone ihren Schwurbund.