Geschichten:Waldmar von Ibelstein
Wehrturm Moorwacht, Blutmoor, im Herzen der Grafschaft Waldstein:
Die Dämmerung hüllte das Blutmoor in ein geisterhaftes Zwielicht. Nebelschwaden krochen über die trügerischen Tümpel und schwarzen Torfflächen, während das Schilf in der kühlen Abendbrise wisperte wie die Stimmen der Toten. Über Jahrhunderte hinweg war dieser düstere Landstrich im Herzen von Waldstein zu einem Ort von Legenden und Schrecken geworden. Das Moor entstand einer dieser Legenden zufolge etwa im Götterlauf 670 BF quasi über Nacht und hatte dabei das Dorf Hinschingen verschlungen. Vor nicht allzu langer Zeit wurde hier die Schlacht im Blutmoor gegen die Rubinbrüder geschlagen, in der es gar zu Untotensichtungen kam.
Marbert von Hohentann führte sein ermüdetes Ross vorsichtig über den schmalen Knüppeldamm, der durch das Moor zum Wehrturm Moorwacht führte. Er war selbst ein erfahrener Kämpfer, doch die Ereignisse der letzten Tage hatten ihn gezeichnet. Seine sonst stolze Haltung war gebeugt, und der Hohentanner Wappenschild an seinem Sattel war von Blut und Moorerde bedeckt.
Vor ihm erhob sich der Wehrturm Moorwacht, eine karge Bastion in der Einöde aus grauem Stein, die auf einem trockenen Hügel errichtet war und einen düsteren Blick auf die Umgebung warf. Die Fackeln auf den Zinnen brannten schwach, doch sie schienen ihn wie wachsame Augen zu erwarten.
Perainehild von Hohentann, die Landvögtin des Wehrturms und Marberts Mutter, erwartete ihn im Obergeschoss des Turmes. Der Raum war schlicht, geprägt von kühlem Stein und einfacher, aber robuster Einrichtung. Ein Kamin spendete flackerndes Licht, doch die Stimmung blieb schwer.
„Du bist zurück“, sagte Perainehild, als Marbert eintrat. Ihre Stimme war ruhig, doch ihr Blick war forschend, suchte nach Antworten. „Und Waldmar?“
Marbert blieb stehen. Er schien den Blick seiner Mutter kaum ertragen zu können.
„Er... er ist tot.“
Perainehilds Gesicht verhärtete sich, doch ihre Hände, die auf der Lehne ihres Stuhls ruhten, verkrampften sich leicht. „Wie ist es geschehen?“
Marbert ließ sich schwer auf eine Bank sinken. Er atmete tief durch, bevor er zu erzählen begann.
„Wir folgten dem Auftrag, den du mir gabst: den Berichten über die flackernden Moorlichter nachzugehen. Die Spuren führten uns tief ins Blutmoor, dorthin, wo der Boden rot wie altes Blut ist und das Wasser nach Eisen schmeckt. Waldmar war entschlossen und tapfer, wie immer. Doch wir stießen auf etwas, das niemand hätte erwarten können.“
Perainehild trat näher, ihre Augen glitzerten vor Anspannung. „Was habt ihr gefunden?“
„Einen alten Altarstein“, sagte Marbert, seine Stimme zitterte leicht. „Mitten in einem der tiefsten Tümpel, umgeben von knorrigen Weiden, die wie klagende Gestalten wirkten. Der Altarstein war mit Symbolen bedeckt, die ich nicht deuten konnte – sie wirkten fremd, uralt, vielleicht dämonisch. Waldmar wollte ihn näher untersuchen. Doch dann...“
Er verstummte und starrte ins Feuer.
„Dann?“, fragte Perainehild mit eisiger Ruhe.
„Der Boden begann zu beben, das Wasser des Tümpels schwoll auf, und etwas entstieg ihm. Es war keine Kreatur, die ich jemals gesehen habe – ein Wesen aus Schatten und Schlamm, mit glühenden Augen und Armen, die wie Klauen nach uns griffen. Waldmar kämpfte tapfer, aber... es riss ihn in Stücke.“
Perainehild wandte sich ab und trat ans Fenster, von dem aus man das Moor sehen konnte. Ihr Gesicht war von einer Maske der Selbstbeherrschung gezeichnet, doch ihre Haltung verriet die Last ihrer Trauer.
„Das Blutmoor fordert immer seinen Preis“, sagte sie leise.
Marbert senkte den Kopf. „Ich hätte ihn retten sollen.“
„Du hast überlebt, und das ist genug“, entgegnete sie, ihre Stimme schärfer. „Aber dieses Wesen... dieser Altarstein. Balphenie muss sich diesem annehmen“, antwortete Perainehild entschieden, "und du wirst sie begleiten!"
Marbert hob den Blick. „Das werde ich!“
Perainehild nickte, ihre Haltung straffte sich.
Doch tief im Moor, an jenem Altarstein, flackerte ein schwaches rotes Licht. Etwas lauerte – etwas, das Jahrhunderte geschlafen hatte und nun zu erwachen begann.
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