Geschichten:Über Mythen und Legenden - Zweistimmige Melodie
In tiefen Studien über den Tierkönig der Waldmäuse vertieft, verbrachte Iralda ihre Zeit an der Akademie in Donnerbach. Die Baronin von Bärenau hätte sich gerne ausschließlich ihren Forschungen gewidmet, doch ihr Magus Dschafar erinnerte sie stets daran, dass es ein Leben jenseits der hesindianischen Tugenden gab. So überredete er sie, ihn in die Taverne Liebliche Melodei zu begleiten.
Iralda betrat den Schankraum und er war zum Bersten voll. Es herrschte aber nicht der übliche Betrieb und der immerwährende Lärm der Gespräche der Gäste, die sich gegenseitig übertönten, damit ihr Gesprächspartner sie verstand. Es wurde auch nicht mit den Krügen lachend angestoßen oder nach den Röcken der Mägde hinterhergejagt.
Stattdessen lauschte man dem Gesang einer Elfe, die mit ihrem zweistimmigen Gesang, das wie ein Duo im Chor erklang, eine Ballade von Zerbrechlichkeiten und Unsicherheiten zwischenmenschlicher Beziehungen sang. Und trotz der Melancholie schwang auch Hoffnung und Glück in der Melodie mit und Iralda sah die eine oder andere Träne, die heimlich weggewischt wurde.
Irgendwie kam ihr die Elfe bekannt vor. Als Iralda sich ein paar Schritte in die Stube gewagt hatte, bemerkte sie den Mann, der die Elfe mit der Leier begleitete und Iralda blieb überrascht stehen, so dass Dschafar fast in sie gelaufen wäre. Das war Balrik von Keres! Und jetzt erkannte sie auch die Elfe. Sie war seine Frau Nahéniel.
Iralda fand einen freien Platz und setzte sich mit Dschafar an einen Tisch. Auch sie hörte der Elfin bei ihrem Gesang zu. Sie saß im Schneidersitz auf einem Fass und war ganz in ihrer Musik versunken. In den Händen hielt sie eine Flöte, die sie momentan aber für diese Ballade wohl nicht benötigte. Ihre smaragdgrünen Augen wanderten über die Zuhörer und blieben bei ihr hängen. Iralda glaubte kurz ein Schmunzeln in ihrem Gesicht zu sehen, als sie wieder ihren Blick abwandte. Sie blickte in die Menge. Alle Augen waren auf die Elfe gerichtet. Auch der Wirt hatte sich an eine Säule gelehnt und lauschte.
"Hier liegt Magie in der Luft", raunte ihr Dschafar leise in ihr Ohr und Iralda musste nicken. Die Magie des Gesanges war fast greifbar und wenn man die Augen schloss, glaubte man zwei Elfinnen im Chor singen zu hören.
Doch dann fiel ihr Blick wieder auf Balrik. Er trug ein einfaches, aber gutes Gewand und nichts deutete darauf hin, dass er einst ein Ritter im Dienste der Kaiserin war. Iralda hatte den Eindruck, dass seine Gesichtszüge nun weicher waren und seine Augen lächelten mehr. Als er noch in Amt und Würden stand, so erinnerte sie sich, hatte er verbissener gewirkt. Aber sie war sich nicht sicher, schließlich hatten sie nie viel miteinander zu tun gehabt, man hatte sich lediglich gelegentlich gesehen. Und dennoch - diese Laute, auf der er Nahéniel begleitete, wirkte irgendwie fehl am Platz. Zu oft hat man ihn eher mit einem Schwert gegürtet gesehen.
Auch er schien sie bereits bemerkt zu haben.
Die Ballade endete und im Anschluss wurde eine etwas fröhlicher Melodie gespielt, wobei Nahéniel diesmal die Flöte nutzte. Man wippte mit und ein paar fingen sogar an zu tanzen. Auch Iralda erwischte sich, wie sie mit dem Fuß rhythmisch im Takt mit wippte und Dschafar ein Lächeln zuwarf, der ihr ebenso antwortete.
Schließlich endete die Melodie und Balrik, der bisher eher unscheinbar neben der Elfe saß, stand auf und bedankte sich bei den Leuten
"Vielen Dank, Ihr seid ein großartiges Publikum. Doch nun erlaubt uns eine kleine Pause einzulegen, um unsere Kehlen zu befeuchten."
Trotz des Murrens einiger sprang die Elfin vom Fass und alle wussten, dass es vorbei war. Allmählich erklang wieder das stete Hintergrundgeräusch von Gesprächen, Gelächter und Anstoßen von Krügen, wie es alle Schankräume gemein haben. Hier und da wurde lauthals auf die Elfin und ihrem zauberhaften Gesang angestoßen.
Balrik und Nahéniel hatten sich zu Iraldas Tisch begeben. "Seit gegrüßt, Euer Hochgeboren", sagte Balrik und lächelte Iralda an. "Es ist ein ungewöhnlicher Ort eine garetische Baronin zu begegnen." Jetzt wo er so nah vor ihr stand, hatte sie den Eindruck, dass er jünger als sonst wirkte. Aber wie gesagt - sie kannte ihn kaum. "Darf ich mich setzen?"
"Ich freue mich, hier zu sein, aber bitte nennt mich einfach nur Iralda." Mit einer Geste bot sie ihm ein Platz an. "Ich bin hier als eine Wissenssuchende und nicht als Baronin von Bärenau. Meine Forschung über Tierkönige hat mich an das Seminar der elfischen Verständigung in Donnerbach geführt, wo ich Zeit mit Zim, dem Tierkönig der Waldmäuse, verbringen darf."
"Ihr seit einem Tierkönig begegnet?", staunte Balrik. "Und Ihr habt mit ihm gesprochen? In der Akademie?"
Iralda nickte.
Eine Schankmagd brachte Bier und eine Brotzeit und stellte es auf den Tisch und warf ein Lächeln in die Runde - der Elfe brachte sie statt Bier ein Becher unvergorenen Traubensaft -, und erkundigte sich bei Iralda und Dschafar was sie haben möchten.
"Es passiert nicht oft, daß sich ein Tierkönig einem Menschen offenbart", stellte Balrik fest, als die Magd wieder ging um das Bestellte zu holen.
"Das liegt daran, daß die Menschen nicht im Einklang mit der Natur leben", meinte Nahéniel und trank ihren Saft. In ihrer Stimme war kein Vorwurf zu hören. Es war lediglich eine Feststellung.
"Was treibt Euch zu dieser Forschung an, wenn ich fragen darf?", fragte Balrik.
„Vielleicht bin ich nicht, wie ein typischer garetischer Adeliger sein sollte - zumindest höre ich das oft im Unterton der Leute."
Balrik wußte, daß Iralda einst magisch begabt war, doch hatte sie sich für den Baronstitel magisch ausbrennen lassen. Es geschah nicht selten, daß diejenigen, die magisch ausgebrannt wurden sich irgendwann selbst umbrachten, da sie die Leere in sich nicht verkraften konnten. Nur wenige Willensstarke fanden einen neuen Lebenszweck und machten mit umso mehr Eifer weiter.
"Als ich noch sehr klein war", fuhr Iralda fort, "las mir meine Mutter die Geschichten von Siopan von Salmingen und meinem Onkel Hesindian zu Stippwitz vor. Außerdem gibt es bei uns die Legenden des Igelkönigs in den Hartsteener Landen und die von Forancina in meinen eigenen Ländereien. Als ich Forancina das erste Mal sah, erwachte mein hesindianischer Forscherdrang. Anfangs wollte ich mich mit Igeln und Nattern beschäftigen, doch als Hartsteenerin, verheiratet mit einem Schlunder, entschied ich mich für einen Ort weit ab von politischen Ränkespielen. Durch meinen Magus erfuhr ich schließlich von Zim, dem König der Waldmäuse.“
"Es ist tatsächlich empfehlenswert diesen Landstrich hier aufzusuchen", meinte Balrik. "Die Elfen haben eine lange Geschichte und wissen wo man den einen oder anderen Tierkönig treffen kann. Viele kennen sie sogar persönlich."
"Tierkönige gibt es meist dort, wo auch ihre Artverwandten leben", warf Nahéniel ein. "Wo die Rehe und Hirsche im Wald leben, da lebt auch ihr König unter ihnen; der Adlerkönig auf den höchsten Berggipfeln, der König der Fische in den Meeren. Es gibt auch in den Städten der Menschen Tierkönige." "Stimmt", erinnerte sich Balrik und wurde nachdenklich. "Ich denke, in Gareth habe ich einen mal gesehen."
Iralda blickte beide interessiert an. "In Gareth? Ich hörte davon und nach meinem Besuch in Donnerbach wollte ich dort auf die Suche gehen. Doch ist die Kaiserstadt so groß, dass ich nicht wüsste, wo ich anfangen sollte zu suchen.“ "An dem Tag, als ich auf dem Brig-Lo-Platz ein Duell austragen mußte", erklärte Balrik, "ist mir ein besonders prächtiges Exemplar eines Spatzen aufgefallen. Ich habe dem nicht weiter Beachtung geschenkt. Schon allein aus dem Grund, weil ich mich eher auf das Duell konzentrierte. Aber ich erzählte später Nahéniel davon und sie meinte es wäre der Spatzenkönig."
Die Elfe nickte. "Ich habe mich mit ihm einmal unterhalten. Er ist sehr gesellig und hat immer einen großen Schwarm um sich herum. Er bewundert das fleißige Streben der Menschen und beobachtet sie gerne." Iralda nahm Balriks Hand und schaute ihm tief in die Augen. „Balrik, ich verstehe, dass es sicher gute Gründe gibt, warum ihr die Abgeschiedenheit der Kaiserstadt vorzieht. Dennoch möchte ich euch bitten: Wärt ihr bereit, mit mir zusammen nach dem Spatzenkönig zu suchen?“ Die Baronin schaute zur Elfe und auf gebrochenem Isdira sagte sie.
„Natürlich auch mit euch, Nahéniel, falls es euch beiden recht ist?“
Die Elfe blickte zu Balrik hinüber und ihre smaragdgrünen Augen funkelten, während er ihren Blick erwiderte. Dann blickte sie Iralda an und lächelte. Kurz wirkte dieses Lächeln raubtierhaft, aber das schien sich Iralda nur eingebildet zu haben. "Síala nyer fey iama sei", sagte sie in der melodiösen Sprache der Elfen.
"Auch ich weiß nicht, wo man den Spatzenkönig genau finden kann", meinte Balrik schließlich. "Ich habe ihn nur zufällig gesehen und ihn nicht gleich als solchen erkannt." Mit einem Blick auf die Elfe fuhr er fort. "Aber Nahéniel weiß wo man ihn findet." Diese nickte ohne den Blick von Iralda abzuwenden.