Geschichten:Über Mythen und Legenden - Dachsbau und Donnerhall
Wochen verbrachten sie nun schon in Donnerbach, einer Siedlung hoch oben im Norden, am malerischen Neunaugensee gelegen. Helmbrecht von Sindelsaum und Blasius Eberwulf zu Stippwitz, zwei Knappen, hatten sich in den einfachen Holzhäusern der Magierakademie des Seminars der elfischen Verständigung und natürlichen Heilung eingelebt. Für beide war es eine völlig neue Erfahrung, im Einklang mit der Natur zu leben und die elfischen Lebensarten zu erfahren.
Ihre Schwertmutter, Iralda von Ochs, erforschte zusammen mit den Magiern Hamarjan und dessen Enkel Dschafar das Wesen der Tierkönige. Dazu besuchten sie Zim, den König der Waldmäuse. Für Helmbrecht und Blasius war es wie in einem Märchen – sie unterhielten sich tatsächlich mit einer Maus. Einem Mäuserich, prächtig und vorwitzig.
„Blasius, stell dir vor, wir sprechen wirklich mit einer Maus!“ sagte Helmbrecht ungläubig, während er das Geschehene reflektierte.
„Ja, und nicht mit irgendeiner Maus,“ fügte Blasius hinzu, „sondern mit Zim, dem König der Waldmäuse. Das ist einfach unglaublich!“
„Ich frage mich, ob es bei uns zu Hause auch Tierkönige gibt. Der Dachs in Sindelsaum ist wirklich prächtig. Wir haben ihn immer Reto III. genannt. Er ist nahezu ein Familienmitglied. Früher hat er mit uns Kindern immer gespielt. Dabei hatte ich oft den Eindruck, dass er uns verstehen kann. Ob er auch ein König ist?“ sinnierte Helmbrecht.
Blasius lachte. „Seit wir Zim getroffen haben, sehe ich in jedem Tier einen König. Vielleicht ist der Dachs wirklich einer, wer weiß?“
Heute jedoch war ein besonderer Tag. Endlich durften sich Helmbrecht und Blasius außerhalb der Magierakademie bewegen. Der ältere Knappe Blasius sollte auf Helmbrecht aufpassen, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg in die Stadt Donnerbach.
„Wohin gehen wir zuerst?“ fragte Helmbrecht neugierig.
„Zum Rondratempel. Wir haben so viel darüber gehört, und ich möchte ihn unbedingt sehen,“ entschied Blasius. „Es soll dort wirklich beeindruckend sein.“ Ihr Weg führte sie entlang der glitschigen Pfade. Die Sonne hing tief am Himmel und tauchte die Landschaft in ein goldenes Licht, aber die Idylle täuschte.
Bereits aus der Ferne hörten sie den gewaltigen Donnerfall. Die Lautstärke machte es ihnen schwer, sich zu verständigen.
„Wir müssen vorsichtig sein, Helmbrecht. Der Weg ist tückisch,“ rief Blasius gegen den Lärm des Wasserfalls an.
„Keine Sorge, Blasius. Wir schaffen das schon!“ erwiderte Helmbrecht zuversichtlich und leicht überheblich. „Wir sind schließlich Knappen von Rang!“
Als sie näherkamen, wurde der Weg immer gefährlicher. Die Felsen waren nass und glitschig, und ein falscher Schritt konnte fatale Folgen haben. Plötzlich rutschte Helmbrecht aus und konnte sich gerade noch an einem Felsvorsprung festhalten.
„Helmbrecht!“ schrie Blasius und eilte zu ihm. „Halte durch, ich zieh dich hoch!“
Mit vereinten Kräften schaffte Blasius es, seinen Freund wieder auf sicheren Boden zu bringen.
„Danke, Blasius,“ keuchte Helmbrecht. „Das war knapp. Dieser Weg wird uns noch umbringen,“ fluchte der koscher Knappe.
„Keine Sorge, wir schaffen das gemeinsam, es wird sich lohnen“ antwortete Blasius und klopfte ihm auf die Schulter.
Am Wasserfall angekommen, endete ihr Weg vor einer mächtigen Wassermasse. Der einzige Zugang zum Rondratempel lag nun vor ihnen, verborgen hinter dem tosenden Wasser. Mutig stellten sie sich hinter die Pilger und warteten auf ihre Chance, durch den Wasserfall zu springen.
„Bereit?“ fragte Blasius, als sie an der Reihe waren.
„Bereit!“ antwortete Helmbrecht und sie nahmen allen Mut zusammen, um durch den Wasserfall zu springen. Das Wasser spritzte in alle Richtungen, der Druck war überwältigend, doch sie schritten entschlossen voran.
Skrugbrandur, der als Orakel- und Pilgerstätte berühmte Donnerbacher Rondra-Tempel, lag in großflächigen natürlichen Kavernen verborgen. Der Zugang führte nur über einen schmalen Felssims und war daher gefährlich. Die beiden Knappen waren beeindruckt von der spirituellen Atmosphäre, als sie an einer Rondragefälligen Messe mit Gebet teilnahmen.
„Es ist so feierlich hier,“ flüsterte Helmbrecht ehrfürchtig.
„Ja, man spürt die Macht der Göttin Rondra,“ stimmte Blasius zu. „Es fühlt sich an, als ob Rondra selbst über uns wacht.“
Anschließend erkundeten sie den Tempel und blieben vor einem kunstvoll geformten Alicorn stehen – dem Stirnhorn eines Einhorns, dem magische Kräfte nachgesagt wurden. Eine Knappin der Göttin trat neben sie und erzählte ihnen, dass man damit ein Zauberschiff rufen könne, das von magischer Hand gelenkt zur Insel Ceälan im Neunaugensee fahre.
„Ein Zauberschiff?“ fragte Helmbrecht fasziniert.
„Ja, genau,“ antwortete die Knappin.
„Das klingt unglaublich,“ sagte Blasius.
Blasius und Helmbrecht tauschten erstaunte Blicke aus.
