Geschichten:Über Mythen und Legenden - Tierkönige und Bündnisse mit dem Land
Praiosburg, Boron 1046 BF
Iralda saß an ihrem kunstvoll verzierten Malpult in ihrem gemütlichen Studierzimmer. Neben ihr erstreckte sich eine kleine, aber feine Bibliothek, die sie sich über die letzten Götterläufe hinweg aufgebaut hatte. Einige der Bücher stammten noch aus ihrer Zeit, als sie in den Arkanen Künsten unterrichtet wurde. Daneben standen die Chroniken der Baronie Bärenau, Aufzeichnungen ihrer Vorfahren, die wenigen Teile davon, die das Jahr des Feuers überlebt hatten. Eine weitere Sammlung bestand aus juristischen Büchern, die sie während ihres Studiums der Rechtskunde erworben oder selbst verfasst hatte. Ihr liebstes Werk, „Von den Eigenheiten des Landes - Über Mythen und Legenden in Garetien. Mit Sonderteil Tierkönige und Bündnisse mit dem Land“, hatte sie in den letzten Götterläufen geschrieben, nachdem Forancina ihr zum ersten Mal erschienen war.
Iralda zeichnete ein feines F an den oberen Rand ihres Pergamentes. Das Initial war von einer filigranen Rankenornamentik und einem Reh-Motiv umspielt. Hinter ihr stand Magister Hamarjan, der belesene tulamidische Hofmagier.
„Hamarjan, was denkst du über die Bündnisse der Tierkönige mit dem Land?“ fragte Iralda mit einem nachdenklichen Blick.
„Faszinierend, du beginnst mit Forancina in deinem neuesten Werk. Was hat die Legende von Forancina, dem Rotfuchskönig, dem Schleiereulenkönig und dem Tierkönig der Waldlöwen zu bedeuten?“ erwiderte Hamarjan, seine Augen funkelten vor Interesse.
„Es sind nur Mutmaßungen. Die Legende besagt, der Waldlöwenkönig wurde lange bevor Menschen im Herz des Kontinents siedelten vom Basiliskenkönig vergiftet, wodurch er aggressiv wurde. Der Rehkönigin, dem Rotfuchskönig und dem Schleiereulenkönig gelang es jedoch, ihn zum Zauberschlaf zu betten. Ich kann die Bedeutung des Königs der Ritter hier in dem Zusammenhang noch nicht zuordnen. Ich habe Aufzeichnungen meiner Ahnen, Tybalt III. von Bärenau, in den Bärenauer Chroniken gefunden. Er war einst König der Ritter, doch diese sind vergilbt, kaum leserlich. Und vollständig sind die Aufzeichnungen auch nicht.“
„Ich sehe, du bist schon weit gekommen,“ sagte Hamarjan anerkennend.
„Mein liebster Hamarjan, seit ich klein bin faszinieren mich die Geschichten. Mein Lieblingsbuch in meiner Jugend waren die ‚Gesammelten Legenden der Hartsteener Lande‘ von Hesindian Quandt. Mein Lehrmeister Andaryon von Drak war stets auf der Suche nach Wissen über die Tierkönige. Ihn trieb auch die Frage, wenn es Tierkönige gibt, gibt es auch Pflanzenkönige? Welche Rolle spielen die Tränen Los in diesen Geschichten?“
„Eine faszinierende Frage, Iralda. Die Tränen Los sind ein uraltes Mysterium. Manche glauben, sie seien der Schlüssel zur Existenz der Tierkönige. Aber was ist mit Tsa und Satuaria? Welche Rolle spielen sie in diesen Legenden?“ fragte Hamarjan, seine Stimme voller Neugier.
„Tsa und Satuaria sind zweifellos von großer Bedeutung. Ihre Verbindung zur Natur und den Tieren könnte erklären, warum die Tierkönige solche Macht, so ein langes Leben, besitzen. Warum können manche Tierkönige reden? Stehen die Kraftlinien auch in Zusammenhang mit dem Auftreten von Tierkönigen?“ überlegte Iralda laut.
„Wer weiß, das gäbe es zu ergründen. Sind es die Linien – ich meine auch hier wird von Loslinie und Sumuslinie geredet? Oder sind es die Schnittpunkte der Kraftlinien? Wir beide wissen, dass an den Knotenpunkten machtvolle magische Handlungen möglich sind,“ antwortete Hamarjan nachdenklich.
„Ich weiß. Nicht umsonst haben die Trolle ihre Pfade entlang der Kraftlinien geführt – zumindest verstehe ich es so beim Blick in die Sphärenkunde. Ich möchte es weiter ergründen. Der Igelkönig ist in Hartsteen in der Bevölkerung ein Begriff aus einigen Sagen und Märchen. Auch die Sagen um die Tierkönigin der Natter kursieren in unseren Landen.,“ sagte Iralda entschlossen.
„Der Fluss Natter ist nicht weit entfernt, wir könnten dort nähere Forschungen anstreben,“ schlug Hamarjan vor, der auf Iraldas Wissen fußend über den Zusammenhang von Fluss und Galavisa wusste.
„Oh Hamarjan, wie gerne würde ich dem Mysterium Galavisas auf den Grund gehen, doch das Zerwürfnis politischer Natur ist noch überall zu spüren. Ich als eine Hartsteenerin, eingeheiratet in eine Schlunder Familie, spüre es jeden Tag. Es ist kein guter Ort zum Anfang meiner Studien,“ seufzte Iralda.
„Nun gut, verstehe. Dass die politischen Strömungen die Wissenschaft behindern, kenne ich auch aus dem Süden. Es gibt Geschichten um einen Spatzenkönig, der in der Stadt Gareth leben soll. Hast du schon von den Sagen um Tierkönig der Eichhörnchen gehört, der im Reichsforst vermutet wird? Von einer befreundeten Magierin hörte ich, dass der Tierkönig der Waldmäuse in der Akademie in Donnerbach leben soll,“ sagte Hamarjan, seine Stimme voller Hoffnung.
„Im Seminar der elfischen Verständigung und natürlichen Heilung zu Donnerbach?“ fragte Iralda neugierig.
„Ja, soweit ich weiß,“ bestätigte Hamarjan.
„Das wäre doch ein guter Anfang. Meine Familie – also die, in die ich geboren wurde – ist den Elfen zugetan. Dazu in einer Akademie, da erhoffe ich mir offene Diskurse,“ sagte Iralda mit einem Lächeln.