Geschichten:Über den Darpat gehen

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Dorf Gösselhof, Baronie Gnitzenkuhl zur Mittagsstunde des 21. Efferd 1039 BF

Ächzend setzte sich der alte Mann am Ufer auf die morsche Bank. Seine Beine zitterten ob der Anstrengung. Der Bach rauschte laut. Es war doch der Bach? Die faltige Hand wanderte Halt suchend über das graue Holz. Viel weiter hätte er es nicht geschafft. Ihm war nicht wohl. Die Welt schien ihm mit jedem Herzschlag entgegen zu kommen, um sich dann wieder rasant zu entfernen. Gleichzeitig nahm er dennoch wahr, was ihn umgab. Die Wärme des Holzes, der aufkommende Wind, der Geruch des nahen Gewässers. Sein Mund war trocken. Vermutlich hatte er zu wenig getrunken. Inzwischen musste er sich das oft anhören: „Du trinkst zu wenig!“ Als ob er das absichtlich vergessen würde! Sollten sie erst einmal die Bürde tragen, so viel Kommen und Gehen zu sehen wie er es tat. Müde rieb er sich mit der Hand über die Augen und rieb die Tränen beiseite, die er vergoß.

Bisweilen waren sie alle wieder da, seine Lieben aus vergangenen Tagen. Seine Eltern scherzten, planten große Handelshäuser. Die Verwandten tanzten mit ihnen durch die Nacht auf Hochzeiten. Seine Braut lag dann in seinen Armen, und ihr süßer Kuß raubte ihm den Nachtschlaf, sodass er nächtens durch die Gänge des Gutes wanderte auf der Suche nach ihr. Wie oft schon hatte man ihn gescholten, als er sich wieder einmal verlaufen hatte, und erst eine große Suche ihn wieder hat den Weg in die eigene Kammer hatte finden lassen. Er wußte ja selbst nicht woher das kam. Die andere Welt war so wirklich, so lebendig, und die Wege doch so anders. Ein trockenes Schluchzen rang sich aus seiner Kehle. Es war nicht schön so alt zu werden. Alle ließen sie ihn alleine!

Es war schon Mittag, und das Praiosmal schaffte es trotz der tief ziehenden dichten Wolken seinen Dienst zu tun. Er atmete schwer. Das Röcheln aus seiner altersschwachen Lunge wollte nicht aufhören. Dazu noch das Ziehen in seiner Brust. Die Luft in seiner Kammer, sie war ihm immer stickiger vorgekommen. Darum hatte er sich auf den weiten Weg herunter an den Teich gemacht. Hatte gehofft hier Linderung zu erfahren. Sein stark gebeugter Buckel erlaubte ihm kaum einen Blick hoch in das Himmelsgrau. Den Fluß, der sein Leben lang schon sein Begleiter gewesen war, den konnte er nicht sehen. Bitterkeit erfasst ihn, und er hieb altersschwach, doch nicht minder wütend auf die Bank. Nicht einmal der Darpat begleitete seinen Lebensabend, nein, dieses schwache Rinnsal hier spottete seiner. Sinnbild seiner eigenen nachlassenden Kraft.

Schmutzig, trübe, noch immer angefüllt vom mitgebrachten Schlamm aus den Schmelzwassern, würde er dort unten gen Perricum fließen. Machtvoll und majestätisch, nicht unbeachtet und mikrig! Der Blick aus seinen hellen Augen hing an dem Wenigen was die Gebrechen des Alters ihm erlaubten. Schilf, Wasser, Libellen, Vögel des Röhrichts. Rufe von den Feldern kündeten von der Betriebsamkeit der Bauern. Alles um ihn herum pulste, lebte, sproß. Nur er schien sich ins Gegenteil zu verwandeln. Schrumpfte, wurde kleiner. Bisweilen hatte er das Gefühl sich zum Stein zu wandeln. Hunger plagte ihn nur noch selten. Es war ohne Zähne auch kein Vergnügen mehr. Immer eine Grütze, Suppe, oder völlig Verkochtes zu essen wie ein Säugling kam er sich vor. Mit einem Mal wurde ihm kalt! Obwohl die Sonne ihn inzwischen unangenehm blendete. Der Druck auf der Brust nahm plötzlich zu. Schweiß brach ihm aus. Was war das? Irgendwas schien sich eisern immer fester um sein Herz zu legen. Angst machte sich breit. Er schrie auf. Vögel stiegen rufend aus dem Röhricht auf und Wind fegte peitschend durch die Uferböschung. Die Gänse begannen unruhig zu werden, und laut zu rufen. Nach Luft japsend versuchte er sich noch bemerkbar zu machen. Doch ihm fehlte die Kraft. Er sackte auf die Knie, fiel, und kam im Schlamm zu liegen. Sein letzter Blick hing an einem Grashalm, der wie er selbst gebrochen war.



 Wappen Mittelreich.svg  Wappen Markgrafschaft Perricum.svg   Wappen Baronie Gnitzenkuhl.svg   Wappen Geshla Gnitzenkuhl.svg  
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21. Per 1039 BF zur mittäglichen Praiosstunde
Ein jämmerlicher Tod- Wer will schon alleine sterben?


Kapitel 1

Autor: Nicole R.