Geschichten:Abgründe - Endgültige Ruhe
Ritterherrschaft Ostbrisken am Fuße des Wachturms Hohenbrisken am 13.Travia 1042BF (nachmittags)
Bubumm… Hane fühlte deutlich das Herz in seiner Brust schlagen. Wenn sich nun einer seiner Kumpane zu ihm umdrehen würde, könnte er oder sie womöglich gar das Pochen unter dem Lederharnisch erkennen. Doch alle hielten ihre Augen fixiert auf den Rand der Brache. Mit jedem Abdruck vom Boden, mit jedem Sprung, kam das Biest rasant näher… In wenigen Augenblicken würde es da sein…
Bubumm… Wie das Jungtier im Keller des Wachturms hatte auch das erwachsene Wesen kräftige Hasenbeine, einen roten Puschelschwanz und einen Katzenkopf. Der Hauptteil des Leibs wurde von zahllosen Schuppen gebildet, die im Anblick des hochstehenden Praiosgestirns in allen denkbaren Farben schimmerten. Erdklumpen spritzten zu allen Seiten, als das Biest sich mit einem weiteren mächtigen Sprung die Hügelkuppe hinauf katapultierte.
Bubumm… Hanes Beine zitterten leicht. Ein taubes Kribbeln breitete sich in seinen Fingerspitzen aus. Seine Sicht trübte sich, das nächste Blinzeln fühlte sich an als würde ihn sein Körper davon abhalten wollen die Augen auch nur einen winzigen Moment lang zu schließen. Die Muskeln in seinem rechten Arm begannen zu arbeiten, sein Rücken spannte sich an, seine Füße stemmten sich fest in den Boden. Eine endgültige Ruhe erfüllte ihn, wie er sie in Tobrien kennengelernt hatte. In Erwartung des Feindes hatte ihn immer eine starke Nervosität gepackt, doch sobald der Feind in Sichtweite war, war sie einer selbstsicheren Ruhe gewichen. Im Augenwinkel nahm Hane seine Kumpane wahr und das letzte bisschen Nervosität zog sich in die hinterste Ecke seines Bewusstseins zurück…
Bubumm… Magnus und Hane warfen sich einen verschwörerischen Blick zu. Carl nahm seine Ronja in beide Hände, stellte das linke Bein und die linke Schulter nach vorn und warf seinerseits Radulf und Oleana einen vielsagenden Blick zu… Auf die Miene des Hünen schlich sich ein Grinsen… Magnus und Hane konnten nicht umhin der unwillkürlichen Bewegung ihrer Mundwinkel nachzugeben und sich ebenfalls ein leichtes Grinsen zu erlauben. Kurz schien es, als seien sie nie vom Tobrienfeldzug zurückgekehrt… Radulf und Oleana packten ihre Klingen fest und strahlten eine ansteckende Zuversicht und Souveränität aus. Carl drehte seinen Kopf wieder dem Biest zu und zu den lautstarken Sprüngen des Ungetüms gesellten sich die donnernden Schritte des Hünen.
Bubumm… Die bis zum Äußersten gespannten Bogensehnen gaben ein unwilliges Knarzen von sich. Kurz verharrten die eingenockten Pfeile. Beinahe zeitgleich ließen Hane und Magnus los. Ein wohliges Sirren ertönte und mit einem ohrenbetäubenden Peitschenschlag verkündeten die Bogensehnen die Erleichterung sich wieder entspannen zu dürfen. Hane hatte nur noch Augen für das Tier. Aus Bogenschussreichweite konnte man die kräftigen Sehnen der Hasenbeine im Hinterlauf des Biests erkennen. Sie spannten sich gerade zu einem weiteren Satz und drückten mit unaufhaltsamer Kraft die Pfoten in den harten Boden. Die Hasen-Echsen-Katze schnellte in die Luft und streckte sich der Länge nach, die Vorderbeine bereits in Richtung Boden ausgestreckt, aller Fokus auf die bevorstehende Landung… Eine gewisse Grazie konnten man dem Wesen nicht abschreiben…
Bubumm… Wenig graziös wirkte das Biest als zwei Pfeile mit krachendem Aufprall in die Schulter und das linke Vorderbein einschlugen und es in der Luft herumrissen. Ein markerschütterndes Kreischen entfuhr der Kehle des Wesens und es stürzte alles andere als kontrolliert zu Boden. Dies war es worauf Carl gesetzt hatte als er zusätzlich Fahrt aufnahm und, einen lautstarken Kampfschrei auf den Lippen, zu einem mächtigen Hieb mit seiner Ronja ansetzte. Unerwartet schnell fand die Hasen-Echsen-Katze ihre Balance wieder und fixierte den anstürmenden Hünen mit ihren Raubtieraugen. Eine Mischung aus Fauchen und Zischen schlug Carl entgegen als das Biest zu einem gewaltigen Sprung ansetzte. Das linke Vorderbein der Kreatur gab schmerzhaft nach, doch der Wille war ungebrochen, die Muskeln bis zum Bersten gespannt. Mit der Kraft eines Onagers schnellte das Biest voran und riss Carl mitten im Schwung seines massigen Kriegshammers von den Beinen. Die kräftigen Krallen des unverletzten Vorderbeins bohrten sich tief in die Lederrüstung des Hünen.
Bubumm… Blut spritzte als die Krallen aus dem Fleisch fuhren und zu einem erneuten Hieb ausholten. Nun waren Radulf und Oleana heran. An Carls linker Seite stürmte Radulf vorbei, zu seiner rechten Oleana. Radulf packte seine Klinge mit beiden Händen und führte sie mit aller Kraft in einem Aufwärtsschwung nach vorne. Mit einem lauten Schmatzen fuhr der Stahl durch Schuppen, Haut und Muskeln der Kreatur. Die Wucht des Prankenhiebs zwang Radulf in die Knie. Die Knöchel seiner Finger erstrahlten in blutleerem Weiß als er alles aufbrachte um die Klinge nicht loszulassen. Oleana fuhr in die Flanke des Biests und führte ihr Schwert in einem gleißenden Bogen hinab auf die pfeildurchbohrte Schulter des Wesens. Mit einem behänden Schritt zur Seite wich Oleana dem darauf folgenden Blutschwall aus. Die Kreatur verlor die Kontrolle über das linke Vorderbein nun komplett und sackte ein.
Bubumm… Mit geübten Bewegungen hatten Hane und Magnus einen weiteren Pfeil aus ihren Köchern gefischt und waren währenddessen eilig in einem seitlichen Bogen um die Kampfszene gerannt. In wenigen Augenblicken hätten sie freies Schussfeld auf die ungeschützte rechte Flanke der Kreatur. „Hinterleib“ knurrte Magnus und damit war alles Nötige gesagt. Auf ein stilles Kommando verlangsamten die beiden ihre Schritte und zogen die Bogensehnen bis hinter das Ohr. Der linke Arm war auf Schulterhöhe ausgestreckt und so blieben sie stehen. Das Schnaufen verriet den letzten tiefen Atemzug der beiden…
Bubumm… Die geschlitzten Pupillen des Biests waren schmerzgeweitet und ärgerlich auf die drei mörderischen Widersacher fixiert. Auch das rechte Vorderbein war nun kaum noch belastbar, wie die Hasen-Echsen-Katze feststellen musste. Carl stützte sich gerade auf seinen Kriegshammer und richtete sich mit einem schmerzhaften Stöhnen auf. Doch machte der Hüne keine Anzeichen, dass der Kampf für ihn hiermit erledigt sei. Oleana und Radulf wüteten weiter gnadenlos, man sah ihnen an, dass sie jahrelange gemeinsame Erfahrung hatten. Stets waren sie so platziert, dass das Biest maximal einen von ihnen im Blickfeld haben konnte. Die Augen hatten sich auf Radulf konzentriert und Oleana stieß und hieb unablässig auf den Echsenkörper ein, als würde sie einen Baumstamm bearbeiten. Radulf hatte sich darauf beschränkt die langsamer werdenden Angriffe der Bestie abzuwarten und sie mit gelegentlichen Stichen zu Ausweichbewegungen zu zwingen. Gerade meinte er eine Schwachstelle nach einem langsamen Biss des Katzenkopfes zu erkennen und lehnte sich in einen Stich auf den Hals des Biests. Mit unerwarteter Schnelligkeit riss die Kreatur ihren Kopf herum und schnappte nach dem Schwertarm des Waffenknechts. Die Zähne bohrten sich fast ungebremst durch das leichte Leder des Oberarms. Schmerz durchzuckte Radulf und er merkte, wie ihm die Klinge entglitt. Doch das Schwert fiel nicht zu Boden. Zu tief war es in den Hals des Biests eingedrungen. Mit einem Ruck wurden die Zähne aus dem Fleisch des Waffenknechts gerissen, als Ronja, Carls massiger Kriegshammer, auf den Kopf der Hasen-Echsen-Katze niederfuhr. Krachend schlugen zwei Pfeile in den Hinterleib der Bestie ein und ließen auch die letzte Spannung aus dem rechten Hinterlauf der Kreatur entweichen. Ein leises Gurgeln ertönte aus der Kehle des Biests und die Kreatur lag still…
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