Geschichten:Abtasten und Annähern - Kleiner Schlagabtausch
Vielleicht hatte er (Selo) seinem Volk zu sehr gefallen wollen und dabei die große Politik ein wenig aus den Augen verloren? Einfach nur um sich endlich einmal zu Hause fühlen zu können? Doch nun fühlte es sich genau gegenteilig an. Sein ganzes Bücherwissen und das bisschen Erfahrung halfen ihm hier nicht heraus.
Trotzdem spielte er den gelassenen Politiker nach garethischer Manier. Nein, ein Nebachote war er nicht, aber er wollte dem Wunsch seines Bruders gerecht werden und Siyandor beschützen. Das hieß auch vor sich selber, und seinen Fehlern in der großen Politik, für die sein Neffe noch zu jung war. Daher setzte er wieder einen festeren Blick auf. Er würde diese Unterredung schon überstehen und wenn er wieder improvisieren würde. Am Ende war diese Haltung nebachotischer als ihm bewusst war. Gespannt wartete er Rodericks Antwort ab.
Roderick lächelte. Er hatte den recht impulsiv vorgetragenen Wortschwall abgewartet. ‚"Jugendlicher" Drang? Nein, das war es nicht alleine gewesen, was ihn so erhitzt voran getrieben hatte. Unsicherheit? Oder wollte er etwas verbergen? Eigene Inkompetenz, oder doch etwas Wichtiges, etwas was es sich zu ergründen lohnte? Gab es doch Anstrengungen wie die Nebachotenhasser prophezeihten hier einen Umsturz herbei zu führen, und die Situation auszunutzen?‘ Die Gedanken verfolgten die Pfade, die Selos Worte beschrieben hatten, derweil Roderick am Tee nippte.
„Natürlich, und das sagte ich bereits an anderer Stelle in der Beratung in der Reichsstadt, kann ich nachvollziehen, dass ein Bannerherr nicht verstehen kann, wie man seine leichte Reiterei in dem Ausmaß wie es vorhanden ist, nicht nutzt. Doch diese Personalie ist an höherer Stelle entschieden worden, und steht nicht mehr zur Diskussion. Hier dachte ich an sich, kann man sich auf die Nebachoten und ihr Verständnis für eine praiosgefällige Ordnung und Hierarchie durchaus verlassen. Es ist immer schlecht, wenn man als Anführer den Untergebenen die eigene Unzufriedenheit spiegelt, und sie in ihrem Glauben, im Unrecht zu sein bestärkt, statt Gelassenheit zu demonstrieren und das Beste aus der Situation zu machen.“
Er schaute Selo an und suchte in seinem Blick, ob er ihm folgen konnte. DIeser antwortete nur mit einem: „Das müsst ihr mit dem Bannerherren diskutieren, der hier noch nicht seine ganze Stärke demonstriert hat. Dieser wird sich sicherlich für Eure Meinung bezüglich seines Verständnisses von praiosgefälliger Ordnung interessieren.“ Selo fühlte ich langsam ein bisschen beleidigt, aber damit konnte er umgehen, das kannte er aus Gareth – niemand hatte dort ihn als Fremden richtig ernst nehmen wollen.
Dann sprach der Mann weiter: „Die Nebachoten verbleiben in Perricum! Was könnte man daraus machen, wenn man geschickt betont, dass ausgerechnet SIE dazu da bleiben die Heimatfront zu sichern? Das man ausgerechnet IHNEN das zu- und anvertraut! Was glaubt ihr wie dem alten raulschen Adel zumute ist, wenn er das Gefühl hat, dass die Nebachoten statt in dieser Rolle aufzugehen Blutspiele abhalten? Der Textlaut des Schreibens was an einige mittels Bote überbracht wurde war, das muß ich freimütig sagen, nicht sonderlich um Inhalt oder Erklärung bemüht, sondern eher eine in Kenntnissetzung ohne wirklich um Verständnis zu bitten. Es wurde ja auch keiner der naheliegenden Barone dazu eingeladen Teil zu nehmen. Es war nur und ganz ausschließlich dazu angetan sich weiter abzugrenzen, und eine Sonderrolle zu bemühen.“
Hier hakte Selo nochmals ein: „Da mögt ihr recht haben. Was ihr aber verkennt ist, dass der Bannerheer schon immer die Meinung vertritt, dass die Nebachoten genau hier richtig sind, da er den Erzfeind hier, im Herzen Rondras, erwartet. Und genau darauf hat er sie eingeschworen. Hier, wo er den Feind erwartet und wo er die Verantwortung der Nebachoten sieht. Wäret Ihr da gewesen wüsstet Ihr das. Zugegeben deutlichere Einladungen wären von Vorteil gewesen, aber jeder weiß um die Gastfreundschaft der Nebachoten und wäre sicher nicht abgewiesen worden als Gast den Spielen beizuwohnen.“ Der letzte Teil war wieder improvisiert, dennoch wahr. Trotzdem rügte Selo sich selbst dafür die Informationsschreiben mit keiner konkreten Einladung versehen zu haben. Das hätte er eigentlich besser wissen sollen.
Roderick überlegte kurz bevor er weiter sprach.
„Auch wenn Ihre Hochgeboren von Gnitzenkuhl so Ihre liebe Mühe hat das Temperament der Nebachoten zu verstehen, so habe ich Sie schon lange beobachtet und stelle fest, dass sie dann gemäßigter agieren, wenn Sie sich gut vertreten wissen. Ich mag also“, hier schaute er Selo wieder direkt an, „durchaus verstehen, warum es nach dem Tod Eures Bruders so wichtig war zu demonstrieren, dass das Volk der Nebachoten nicht darniederliegt, sondern eine Starke Einheit bildet. Man muß nur wenig Verstand besitzen, dass natürlich Unruhe entsteht, wenn in kurzer Zeit solch imposante Personen, wie er und auch Raoul von Brendiltal in Borons Hallen berufen werden!“
Ehrliches Bedauern stand bei diesen Worten in sein Gesicht geschrieben. Die Männer hatte er wohl wirklich hoch geschätzt, und sein Blick schweifte kurz in die Ferne zu anderen Tagen, und besseren Zeiten. Es war bislang die erste Gelegenheit, die sich Selo bot, hinter die kühl kalkulierende Fassade des Diplomaten blicken zu können. Mit einem Mal wirkte der Mann durch den Anblick den er ihm jetzt bot, mit den ersten Falten um die Augen, und matten Blick, müde und besorgt gleichermaßen. Das stete Bemühen um das Wohl Perricums schien auch von ihm ihren Tribut zu fordern. Doch dieser kurze Moment war schnell verflogen, und die stahlblauen Augen wendeten sich wieder seinem Gegenüber zu.
„Diese Beiden waren ein neuer Schlag, eine neue Generation, mit einem Weitblick, wie ich ihn sonst selten gefunden habe!“ Echte Anerkennung klang aus den Mund des Mannes. Selo pflichtete ihm mit einem Nicken bei und wollte dazu selber etwas beisteuern, doch da ergriff Roderick bereits wieder das Wort.
„Versteht mich nicht falsch Wohlgeboren, ich habe kein Problem mit den Sitten der Nebachoten, aber warum müssen immer die anderen Verständnis aufbringen und Rücksicht, wenn aber unsere Kultur und der einfache Benimm von vielen schlicht ignoriert werden. In solchen Zeiten müssen sich alle Bemühen!“.
Selo versuchte abzuwägen, er war noch zu kurze Zeit hier, aber hatte er es bisher so wahrgenommen dass mitnichten nur die Nebachoten oft ihr Benimm vergaßen sondern die Raulschen ebenfalls und dass sich dies gegenseitig bedingte. Nur waren die Raulschen besser beim überdecken solcher Dinge bzw. waren geschickter im Brechen des Benimms. Aber anscheinend steckte hier jeder in seinen eigenen Vorurteilen fest, so auch dieser Isenbrunn.
Und so äußerte Selo dies vorsichtig und schob ergänzend nach, dass auch er den Verlust zweier so weitreichend denkender Männer - zumal einer sein Bruder gewesen war – sehr bedauerte doch, dass man die heranwachsende Generation, die eben mit den Werten dieser Männer aufgewachsen sei, nicht unterschätzen dürfe.
„Dies mag sein, darum ruhen auch - um zu meinen Worten am Beginn unseres Gesprächs zurück zu kommen- meine Hoffnungen und Erwartungen auf diesen jungen Männern und Frauen. Ihr selbst zählt auch dazu.
Er lächelte ihm aufmunternd zu. Selo war wiederum ernsthaft überrascht, da die Worte ehrlich klangen und er sowas nicht erwartet hatte.