Geschichten:Albernische Gäste - Teil 1
Die Reise gen Norden gestaltete sich in keinem Fall als äußerst angenehm. Die Greifenfurter begleiteten den Trauerzug, der den Leichnam ihres großen Helden, des Barons von Orkenwall zurück in seine Heimat eskortieren sollte.
Oft sah man noch den Junker Helmbrecht von Boronshof unzufrieden hadern und auch der Adoptivsohn des Orkenwallers, Genzmer von Radulfshausen schien gänzlich in sich gekehrt.
Viele der märkischen Edlen schwiegen lange, oder waren im schwarzen Schlund ihrer trauerbeladenen Gedanken tief versunken. Es dauerte über eine ganze Woche, bis sich die Stimmung ein wenig hob und man wieder zu scherzen begann.
Für Lyn ni Niamad war diese Reise eine gute Gelegenheit, über die Vorkommnisse auf dem Fest und die Prophezeiung zu reden. Düster und voller böser Vorahnungen war sie gewesen. Immer wieder formte sich in Lyns Kopf das Bild des weisen Al'Haresh, wie er während der Vision zusammenbrach. Unheimlich war es gewesen, als der blinde Mann die Bilder des Greifen sah. Doch waren Lyns Gedanken nicht nur bei den Vorkommnissen auf Rashia´Hal, sondern bei dem, was nicht vorgefallen war.
Enttäuschung hatte sich in ihrem Herzen breit gemacht. Acht Monde nun war es schon her, dass sie des Vaters Hof verlassen hatte, um den Mann wieder zutreffen, der sie auf eigenartige Weise fasziniert hatte. Charmant war er gewesen und doch auf eine anziehende Art arrogant. Gern dachte sie an die Gespräche zurück, die sie mit Ra’oul auf dem Weg nach Havena geführt hatte. Auch wenn ihr Vater ihr manch einen mahnenden Blick zuwarf, hatte sie sich sehr angeregt mit Ra’oul unterhalten. Seine Ansichten, die so verschieden zu denen eines Alberniers waren, wie das Praioslicht zu Phexens Himmelzelt zogen sie auf eine magische Weise an. Sie wollte mehr erfahren und weitere kleine Streitgespräche mit ihm führen. Doch seitdem sich ihre Wege in Havena getrennt hatten, traf sie in nicht wieder. Wäre sie doch nur gleich hinterher geritten und nicht erst zurück nach Otterntal. Sie hatte sehr lange auf dieses Fest gewartet und gehofft, ihn hier wiederzusehen. Doch statt Ra’oul traf sie nur seinen Vater. Eslam von Brendital war kaum wiederzuerkennen. Charmant und zuvorkommend war er. Nichts deutete auf den Zwist hin, den er zum Reichskongress mit ihrem Vater ausgetragen hatte. Beeindruckt von der Gastfreundschaft hatte sie sich nach seinem Sohn erkundigt, doch zu ihrem großen Bedauern war er verletzt und konnte nicht kommen. Doch hatte er in früheren Briefen von ihr berichtet, was Lyn sehr nachdenklich stimmte. Warum nur, hatte er seinem Vater von ihr geschrieben? Und was waren das für Andeutungen, die der Brenditaler am abendlichen Lagerfeuer ihr gegenüber machte? Fragen, auf die sie eine Antwort finden wollte und musste. Sie würde nicht eher nach Albernia zurückkehren, bevor sie Ra’oul nicht noch einmal gesehen hatte. Irgendeine Kraft trieb sie weiter. Sie musste wissen, warum sie sich den Worten ihres Vaters widersetzt hatte und immer weiter westwärts geritten war, für diesen Mann, den sie doch eigentlich kaum kannte. Lag es daran, dass er so anders war und sie mehr über ihn erfahren wollte, oder war es etwas anderes, was ihre Gedanken stets um ihn kreisen ließ? Sie wusste es nicht, doch hoffte sie sehr, bald Antworten auf diese Fragen zu finden. Und mit jedem Schritt gen Greifenfurt, den ihr Pferd tat, kam sie ihrem Ziel wieder ein Stück näher.
An einem Abend setzte sich Lyn etwas abseits ihrer Mitreisenden. Lange saß sie
nachdenklich da, ehe sie zu Pergament und Schreibfeder griff. Das Fest der
Freuden in Rashia´hal hatte ihr wieder schmerzlich in Erinnerung gerufen, was
sie ihrem Vater angetan hatte. Sie wusste, dass es zu einer heftigen
Auseinandersetzung mit ihrem Vater kommen würde, wenn sie zurück nach Otterntal
ritt. Sie war erleichtert, dass ihr durch den Abstecher nach Breitenhof ein
Aufschub gewährt wurde, aber irgendwann demnächst würde sie ihm entgegentreten
müssen. Vielleicht konnte sie ihm ja mit einem Brief ihre Beweggründe erklären.
Tief in ihrem Inneren hoffte sie, das ihr Vater sie verstehen konnte.
Und so ließ sie ihren Gedanken freien Lauf und die Feder flog förmlich über das
Pergament. Am Ende des Briefes kam sie ins Stocken. Angestrengt dachte sie
darüber nach, wo sie am Besten auf ihren Vater treffen konnte. Würde sie direkt
nach Hause reiten, würde er sie wahrscheinlich gar nicht erst zu Wort kommen
lassen. Auch wenn Sylmada es irgendwie geschafft hatte, dass ihr Vater
tatsächlich auch mal freundliche Worte fand, so waren seine Wutausbrüche immer
noch so heftig wie eh und je. Auch wenn sie es nicht unbedingt auf eine offene
Konfrontation anlegte, ihr Vater musste endlich begreifen, dass sie kein kleines
Mädchen mehr war. Nein, sie würde nicht direkt nach Hause reiten, das würde
niemals gut gehen. Sie überlegte kurz. Der Reichskongress in Elenvina war noch
etliche Wochen entfernt. Das würde ihr genug Zeit geben, mit Rondrigo von
Ahrenstedt nach Breitenhof zu reisen und ihren Vater in Elenvina zu treffen. Sie
war sich sicher, dass er wieder dorthin reisen würde. Auch wenn die Folgen des
letzten Reichskongresses für ihn mehr als unangenehm gewesen waren. Schon
alleine um zu zeigen, dass er sich dadurch nicht unterkriegen lässt, würde er da
sein. Erinnerungen an den Reichskongress in Weiden wurden wach. Die
Auseinandersetzung ihres Vaters mit Eslam von Brentital kam ihr wieder in den
Sinn. Zweifel an ihrer Idee kamen auf. Aber so sehr sie auch nachdachte, es
erschien ihr irgendwie trotzdem die richtige Entscheidung. Schnell hatte sie die
letzten Zeilen des Briefes geschrieben, ihn gefaltet und gesiegelt. Die Worte
“An Seine Hochgeboren Bedwyr Ui Niamad von Otterntal” prangten deutlich auf dem
gefaltetem Pergament.
Erleichtert darüber, dass sie es endlich geschafft hatte, ihre Gedanken in Worte zu fassen, ging Lyn zu Merewyn. “Unsere Wege werden sich bald trennen, aber ich denke das wir uns sicher bald wiedersehen. Doch ich möchte Dich um eines bitten, wenn Du wieder in Albernia bist. Dieser Brief hier soll meinen Vater erreichen. Ich denke es ist besser, wenn Du ihn durch einen Boten überbringen lässt. Ich befürchte, er könnte sonst seine Wut auf mich an dir auslassen.” Bei diesen Worten versuchte Lyn so auszusehen als scherze sie, aber Merewyn wusste, dass diese Warnung mehr als ernst zu nehmen war. Bedwyr ui Niamad war für sein aufbrausendes Temperament ausreichend bekannt.
Mehr als einmal entschuldigte sich Rondrigo von Ahrenstedt bei seinen albernischen Gästen ob der schlechten Stimmung während des Ritts, und er warb für Verständnis.
Bereits nach kurzer Zeit kam der Moment des Abschieds und Merewyn nahm die Strasse gen Westen, um ihrer geliebten Heimat entgegen zu reiten. Rondrigo verabschiedete sich kurz von der Bardin. Auch wenn beide höflich blieben, so waren die unterschwellig stetig brodelnden Spannungen zwischen der albernischen Musikantin und dem Pulethaner allgegenwärtig gewesen.
Mit einem verächtlichen Schnauben hatte Rondrigo der Demonstration seiner Exzellenz von Luring beigewohnt, als dieser mit Praios’ Hilfe Merewyn gezwungen hatte, die Wahrheit zu sprechen. Die Wunden, die der Reichskongress zu Trallop gerissen hatte, waren noch lange nicht verheilt und sowohl die Albernier, als auch die Pulethaner wussten, dass dies so schnell nicht geschehen würde.
Die Pulethaner hielten stur und verbohrt an der Rechtschaffenheit des garetischen Marschalls Ugo von Mühlingen fest und die Albernier standen ihnen in ihrem ungebrochenen Partiotismus und ihrer Verehrung von Marschall Throndwig in nichts nach.
Rondrigo war keinesfalls ein Mann, der es stets darauf anlegte sein Gegenüber zu reizen, wenn er es nur konnte, aber er war sichtlich erleichtert, als die Bardin, von zwei nebachotischen Kriegern flankiert ihren Weg gen Westen antrat.
“Es ist so selten, werte Lyn,” begann Rondrigo am Morgen des vierzehnten Reisetages, “dass ich jemanden auf meinem Gut willkommen heißen kann. Darob freut es mich aufrichtig Euch in Breitenhof bewirten zu können. Wir werden noch eine Weile reiten müssen, aber ich verspreche, dass Ihr Euch vor Ort ausruhen und erholen könnt. Außerdem denke ich, dass Ra’oul sich sehr freuen wird, Euch zu sehen.”