Geschichten:Albernische Gäste - Teil 12
Und dann hörte sie auch schon den lang ersehnten Klang der Hufe, die ihr süße Erlösung und Erleichterung für ihre gemartertes Gemüt versprachen. Sie sprang auf und ein breites Lächeln zierte ihr hübsches Antlitz.
“Was ist?” fragte der Junker überrascht
“Sie kommen,” platzte es freudig aus Lyn heraus. Rondrigo lauschte und legte die Stirn in Falten. “Ich kann nichts hören.”
Lyn wollte ihm sogleich widersprechen, das üble Gefühl, welches in ihrem Inneren aufstieg sofort niederringen, doch sie wusste, dass es vergebens war. Sie spitzte die Ohren und hörte... nichts. Ihre Sinne hatten ihr einen Streich gespielt. Seufzend nahm sie wieder Platz und ließ den Kopf auf die Brust sinken.
Erschrocken fuhr sie hoch, als sie eine Berührung am Arm spürte. Sie blinzelte mehrfach und sah sich verwirrt um. Sie musste eingeschlafen sein.
“Sie sind da,” hörte sie die Worte aus dem Mund Rondrigos, die süß wie Honig klangen und die wunde Stelle in ihren Gedanken mit Labsal salbten.
Tatsächlich erkannte sie Linea und Cyberian, die gerade von ihren Pferden abstiegen. Die Rösser sahen erschöpft aus, sie würden heute niemanden mehr tragen. Schnell warf sie einen Blick auf den reglosen Ra´oul, dessen Hand sie noch immer in der ihren hielt. Ganz schwach konnte sie sehen, wie er atmete und auch seine Hand war immer noch warm.
“Den Zwölfgöttern sei Dank!” hauchte Lyn erleichtert.
Auch in den Gesichtern der beiden Retter standen Müdigkeit und Strapazen deutlich eingemeißelt.
Linea neigte sich über Ra’oul und zog ein kupfernes Fläschchen aus ihrem Wunderbeutel. Vorsichtig träufelte sie die klare geruchlose Flüssigkeit auf Arm und Brust des Nebachoten gleich einem Sonnenaufgang im Rahja so schön war der Anblick, der sich Lyn bot. Die Wunden schlossen sich ein Stück und dann noch ein Stück. Die Flüssigkeit war aufgebraucht, bevor die Verletzungen gänzlich verheilt waren.
“Es wird noch eine gute Woche dauern, bis er wieder vollends bei Kräften ist,” sagte Linea zufrieden.
Lyn traute ihren Augen und Ohren kaum. Ra´oul würde es tatsächlich überleben! Tränen des Glücks rannen über ihre Wangen und ihr Herz schlug schneller, als Ra´oul die Augen aufschlug. Langsam fing sein Blick an sich zu klären und er schaute Lyn direkt in die Augen. “Radscha,” sprach er schwer schluckend, “ich wußsstä nischt, dass isch zu Dir kommän wärdä...:”
“Ra’oul” schluchzte Lyn überglücklich, “rede nicht so ein dummes Zeug, du bist nicht tot.”
“Lyn?” fragte der Nebachote irritiert, “isch bin nischt tot?”
“Nein!” Langsam verwandelten sich die Tränen Lyns in Lachen.
“Wuos mach’ isch dann hier auf däm Bodän?” Bevor die Albernierin noch antworten konnte, hatte der Edle seinen Säbel zur Seite gelegt und Lyn zu sich gezogen. Sein Kuss war voller Leidenschaft und Verlangen.
Cyberian störte nur sehr ungern, aber er war erschöpft und fing an zu gähnen. “Hrm,” räusperte er sich vorsichtig, “es tut mir ja unglaublich leid, aber es ist barbarisch kalt hier. Kommt, lasst uns den Rückweg antreten, dann wird es auch gemütlicher.”
Ra’oul achtete kaum auf den Junker, schaute derweilen aber Lyn tief in die Augen. Das Lächeln auf seinen Lippen verriet der Albernierin aber einiges über seine Gedanken auf ein gemütlicheres Plätzchen. Nach dem Heiltrank schien es dem Nebachoten besser zu gehen als vor dem Kampf. Seine Schuler schmerzte noch ein wenig doch das Bein behinderte ihn kaum noch.
Die Pferde am Zügel führend machten sich so die Edlen zurück auf den Weg zum Gutshof.
Einige Tage waren ins Land gegangen und Rondrigo hatte ein kurzes Schreiben aufgesetzt, um den Baron von Greifenhorst über die jüngsten Geschehnisse zu informieren. Der Junker von Firunshöh war in einer Kammer eingesperrt und fristete dort seine Stunden, bis entschieden war, was mit ihm geschehen sollte.
Ra’oul ging es mittlerweile mehr als nur bedeutend besser, er lief schon wieder umher und stellte Lyn bei jeder Gelegenheit nach, was Rondrigo und Cyberian sehr amüsierte. Anscheinend hatte nicht nur der Heiltrank eine positive Wirkung auf den Krieger.
“Wenn er die Tjoste derart meistern würde, wie er die Jagd nach Weiberröcken perfektionierte hat, dann müssten wir uns alle vor ihm verbeugen,” scherzte Rondrigo beim Frühstück und Cyberian stimmte lachend zu.
“Wir sollten die Übungen wieder aufnehmen, sonst vergisst er am Ende noch, warum er hier ist.”
“Werte Lyn,” richtete Rondrigo sein Wort an die Albernierin.
“Ich werde in den kommenden Monden nicht zum Reichskongress reisen, da mich hier noch einige Aufgaben erwarten. Ich habe mit dem Edlen von Perainefried noch etliches zu besprechen. Ich werde Euch ein Schreiben mitgeben, dass hoffentlich den Zorn Eures Vaters ein wenig mildern wird. Darin soll erwähnt werden wie tapfer und edel ihr gehandelt habt. Ich erinnere mich noch ganz gut an Euren Vater und ich denke mir, dass es nicht leicht sein wird ihn zu beschwichtigen. Vielleicht ist er auch etwas nachsichtiger mit uns Pulethanern, wenn er erfährt, wie Ihr hier aufgenommen wurdet und das wir sogar uns nicht scheuten Leib und Leben für Euer Wohlergehen zu riskieren.” Bei diesen Worten schmunzelte er. “Wie auch immer, Ihr seid hier stets willkommen, so lange es Euch beliebt.”
“Gern nehme ich das Angebot an und möchte Eure Gastfreundschaft noch ein wenig länger in Anspruch nehmen.” Dabei sah Lyn zwar Rondrigo an, doch konnte er an ihrem Blick sehr gut erkennen, dass nicht er ausschlaggebend dafür war, dass die Albernierin ihren Aufenthalt in Breitenhof noch ausdehnen wollte.
“Ich habe es zur Zeit nicht eilig, zurück nach Albernia zu reisen. Ich werde meinen Vater erst auf dem Reichskongress in Elenvina treffen. Habt vor allem Dank für den Brief, auch wenn ich nicht daran glauben mag, dass er den Zorn meines Vaters mildern kann. Ich denke ich habe ihn mit meinen Taten schwer enttäuscht...” Abrupt brach Lyn ab. Auch wenn sie außer Merewyn und Ra´oul niemandem davon erzählt hatte, was zwischen ihrem Vater und ihr geschehen war, war sie sich ziemlich sicher, dass Rondrigo dies ahnte.
Ra’oul musste bei den Worten Rondrigos laut auflachen. Nur zu gut kam ihm die Zeit in Albernia in den Sinn, wo er mit Bedwyr, Lyns Vater zusammentraf. Und das meinte er fast wörtlich.
Als sich Rau’oul jedoch wieder beruhigt hatte, machte er selbst einen Vorschlag.
“Wuos haltet ihr davon, wänn wir Yendor fragen, ob är uns hielfdt? Nach alläm wuos isch mitbekommän habä, hat där Otterntaler Dickkopf ihm ainiges zu verdanken.”
Bei diesen Worten Ra´ouls dachte Lyn zurück an die Gerichtverhandlung. War sie doch ziemlich erschrocken darüber gewesen, dass der Baron von Gallstein als Zeuge aussagen sollte. Umso überraschter war sie von seiner Aussage gewesen.
Aber irgendwie wurde sie dieses Gefühl nicht los, dass es ein Fehler sein könnte, ihren Vater auf dem Reichskongress zu begegnen. Sie hoffte sehr, dass Ra´oul sie begleiten würde, doch hätte sie ihrem Vater dann noch mehr zu erklären...