Geschichten:Albernische Gäste - Teil 2
Gleich einem grünen Riesen, der das Land mit seinen breiten Armen majestätisch umschlang, schirmte der tiefe Forst der Mark bald die Reitenden vor Praios hellem Auge ab. Kräftige Buchen, hohe, alte Eichen und knorrige Birken flankierten die enge und schlecht ausgebaute Strasse gen Weihenhorst. Ein marmorierter Teppich von Sonnenlicht und kühlem Schatten zeichnete den dunklen von braunen Blättern und Geäst übersäten Waldboden.
Der Wald war dicht, das Unterholz verschlungen und von zahllosen Farngewächsen durchsetzt. Die unbeherrschbare Wildheit des Landes lauerte sprungbereit hinter jedem Baum und unter dem dichten Farndach.
Rondrigo von Ahrenstedt lenkte sein Pferd mit einem Mal von der Strasse herunter, mitten hinein in den Forst.
“So wartet doch, mein Herr!” rief Lyn etwas überrascht. “Wollen wir den nicht auf dem Weg bleiben?”
Der Junker zügelte sein großes schwarzes Ross, welches ohne Zweifel aus nebachotischer Zucht stammen musste. Das Tier bockte beinahe regelmäßig und war ein Ausbund an Kraft und Wut. Mehr als einmal hatte Lyn befürchtet, dass es den Junker abwerfen würde. Als sie ihn gefragt hatte, warum er sich denn kein zahmeres Reittier zugelegt hatte, hatte Rondrigo nur schief gelächelt und erwidert: “Noch zahmer? Ich reite dieses Tier schon einen halben Götterlauf und ich schätze mich glücklich, dass es bereits so ruhig geworden ist!”
Lyn schmunzelte kurz, als das Bild vor ihrem inneren Auge aufflackerte, wie der Herr von Breitenhof, ein stolzer Ritter und Pulethaner von seinem gehässigen Pferd alle zwanzig Schritt abgeworfen, gebissen und gepiesackt wurde.
“Dort geht es weiter nach Weihenhorst, edle Dame.” Der Ritter deutete entlang des Weges. “Aber wir reiten auf diesem Pfad weiter. Noch bevor die Dunkelheit herein bricht, werden wir in Breitenhof ankommen.”
Lyns Augen suchten fieberhaft nach dem Pfad, von dem Rondrigo sprach. “Verzeiht mein Unwissen, Rondrigo, aber ich vermag keinen Weg zu erkennen.”
Es war ihr beinahe ein wenig unangenehm.
Der Junker lachte herzlich. “Ich weiß genau, was Ihr denkt, geschätzte Lyn. Als ich aus Tobrien hierher kam, dachte ich auch, man wollte mich auf den Arm nehmen, als man mir die große Strasse zu Weihenhorst präsentierte. Wenn Ihr eine Weile hier lebt, werdet Ihr den Unterschied zwischen Wildnis, Pfad und Strasse zu erkennen vermögen. Doch bis dahin denke ich, dass Euch alles wie ein Trampelpfad erscheinen wird. Verlasst Euch einfach auf meinen Orientierungssinn.”
“Sehr gerne.” Lyn lächelte höflich und nickte wohlwollend.
Ihr Pferd scheute mehr als einmal, als es sich seinen Weg durch von Dornenranken bewährtes Unterholz bahnen musste.
Nach gut drei Stunden wahren Kampfes durch den unwegsamen Forst wurde auf einmal ein Pfad sichtbar, der grob von Bewuchs befreit worden war.
Rondrigo seufzte hörbar. “Mein Lehnsherr, Baron Otwin von Greifenhorst wollte einen Teil der Strassen bereits ausbessern lassen, doch aus Gareth kam in letzter Zeit wenig Geld. Ich habe zwar jeweils eine Meile um mein Gut herum die Wege säubern lassen, doch der Wald holt es sich schneller zurück, als man das Glaubensbekenntnis an die Zwölfgötter aufsagen kann. Der ewige Kampf gegen den Schwarzpelz und die teilweise großen Distanzen zwischen den Ortschaften machen eine Reise stets zu einem wahren Abenteuer.
Gareth könnte den Einsatz der getreuen Märker zum Wohle des Reiches meiner Ansicht nach ruhig besser entlohnen. Doch verzeiht, ich langweile Euch bestimmt mit diesen greifenfurter Internas.”