Geschichten:Albtraumgestalt – Allein
See Praiosborn, Praios 1045
Als sie erwachte, war es dunkel. Es war kalt. Sie war komplett nass. Fror. Sie zitterte. Ihre Lunge brannte. Ihre Brust schmerzte. Sie bekam kaum Luft. Um sie herum war es stockfinster. Sie machte mich ganz klein, zog ihre Beine ganz dicht an sich heran, umfasste sie mit ihren Armen und begann leise zu wimmern. Ihr Wimmern hallte wieder. Regelrecht bedrohlich grollte es über sie hinweg. Da presste sie sich erschrocken ihre Faust auf den Mund. Wieder war es still. Ganz still. Totenstill. Sie schloss ganz fest die Augen und nahm sich fest vor, gleich wieder aus diesem schrecklichen Albtraum aufzuwachen.
Doch als sie erwachte, umgab sie schummrig, schauriges Licht. Sie setzte sich auf und schaute sich um. Das Glimmen ging vom Wasser neben ihr aus. Oft hatte sie dieses Glimmen schon gesehen. Es lag nicht nur hin und wieder über der Ruine Praiosborn sondern auch über dem See. Sie war also noch immer am Praiosborn oder... oder viel mehr darunter? Ihr Blick glitt weiter und sie erkannte eine Höhle. Sie war also in einer Höhle unter dem Praiosborn? Oder... oder war sie etwa... tot?
Sie hatte noch nie so richtig über den Tod nachgedacht. Sie war jung. Und genaugenommen viel zu jung zum Sterben, aber... aber das spielte keine Rolle. Irgendwann starb man. Manche starben früher. Manche starben später. War sie nun an der Reihe? War sie tot? Und war dies hier jener Ort, an dem man gelangte, wenn man an der Brache starb? Die zwölf Götter waren fern, folglich kam man vermutlich nicht in eines ihrer Paradiese. Wo kam man aber dann hin? In die Niederhöllen? Waren sie das hier? Die Niederhöllen?
Sie stand auf und schaute sich weiter um. Das seltsame Glimmen spendete gerade so viel Licht, dass sie im halbdunkeln die Wände der kleinen Höhle erkennen konnte. War sie denn etwa durch das Wasser gekommen? Sie fröstelte. Noch immer war sie nass. Vermutlich war es wohl wirklich so. Sie musste durch den See gekommen sein. Durch das Wasser. Und wie kam ich hier wieder raus? Oder war sie doch tot?
Vorsichtig tastete sie sich an den Wänden der Höhle entlang. Das Gestein war kalt und glitschig. Sie fand einen schmalen Durchgang, durch den sie sich vermutlich hindurchquetschen würde können, doch sie zögerte. Die dahinter liegende Dunkelheit schien geradezu undurchdringlich und sie machte ihr Angst, schreckliche Angst. Noch nie war sie allein in der Finsternis gewesen und so fürchtete sie sich. Was mochte in dieser Finsternis liegen oder gar dahinter? An der Brache hatte sie schon von Vielerlei gehört. Schreckliche Dinge. Unvorstellbare Dinge. Auch das ein oder andere hatte sie gesehen, viel jedoch nicht, ihr Vater hatte sie immer geschützt, aber sie konnte sich Vieles vorstellen und das, ja das genügte.
Sie versuchte durch das glimmende Wasser zu kommen, doch sie schaffte es nicht. Sie schaffte es nicht ihre Augen unter Wasser zu öffnen. Blind tastete sie sich durch das Wasser und fand doch nichts. Da war nur Wasser. Eine endlose Menge Wasser. Und einfach kein Durchgang. Kein Durchgang. Absolut nichts. Erschöpft legte sie sich am Rande des kleinen Sees nieder und weinte bittere Tränen. Dem leisen Säuseln des Wassers lauschend fiel sie in einen bibbernden, traumlosen Schlaf.