Geschichten:Alissa auf dem Weg nach Almada - Teil 1
Tag um Tag ging ins Land und Alissa wusste nicht so recht, wohin mit sich. Immer wieder ertappte sie sich bei dem Versuch, in Belcampos Nähe zu kommen, was sie dann jedoch im letzten Schritt immer wieder verwarf. Auch die Folter der Dragenfelserin ging Alissa nicht aus dem Kopf. Sie hatte nicht geahnt, zu was ihre Tante alles fähig war.
Auch ihrer Tante ging Alissa weitestgehend aus dem Weg. Sie wollte keinen unangenehmen Fragen ausgesetzt sein und war somit ganz froh, ihre Ruhe zu haben. Nur zu den Abendstunden nahm sie zusammen mit ihrer Tante und Belcampo das Abendessen ein. Doch auch dort wirkte sie eher in sich gekehrt und hielt sich aus den Unterhaltungen zwischen ihrer Tante und Belcampo heraus. Nur wenn sie tatsächlich angesprochen wurde, gab sie eine knappe Antwort, um daraufhin sofort wieder zu verstummen.
Tagein tagaus ging sie in den im Hinterhof gebauten kleinen Schrein mit den zwölf Nischen, um dort für die Seele ihrer Tante zu beten. Sie rief die Göttin Hesinde an, um vielleicht ein wenig mehr Weisheit über die Geschehnisse zu erlangen und sie betete täglich zu Tsa. Sie betete für die beiden ungeborenen Kinder und für ihren Cousin, dass ihm nichts passierte.
Es ging ihr von Tag zu tag Zusehens besser und auch die Wunde, die ihr diese unheilige Schlange mit einem ihrer Giftzähne zugefügt hatte, heilte langsam und allmählich. Sie hasste es nur, in der Burg mehr oder weniger gefangen zu sein. Zum Reiten war sie selbst noch zu schwach und so konnte sie auch noch keine neuen Waldläufer rekrutieren. Sie musste zunächst einmal die Heilung ihres Arms abwarten, um selbst einmal wieder einen Bogen spannen zu können. Das würde jedoch noch ein wenig dauern.
Um nicht völlig gelangweilt auf der Burg herumzulungern, verbrachte sie, wie früher, viel Zeit in der Bibliothek. Es gab dort ein paar Bücher, die sie noch nicht gelesen hatte. Außerdem übte sie sich in der Kunst der Handarbeiten. Sie versuchte, die ein oder andere Stickerei anzufertigen, merkte jedoch bald, dass sie keine Geduld dafür hatte, denn sie stach sich zu häufig in den Finger.
Eines Abends kam ein Bote zu ihr, dass jemand eine Nachricht für sie hatte. Alissa warf sich schnell einen Mantel über, um dann in den Hof zu der Stelle zu gehen, die der Bote ihr genannt hatte.
Einer ihrer Waldläufer stand dort im Halbdunkel und erzählte Alissa schnell die Neuigkeiten. Nach und nach heiterte sich Alissas Gemüt auf und sie schien voller Tatendrang. "Nun, dann werde ich mich gleich auf den Weg machen. Würdest Du mir bitte folgendes vorbereiten?" Alissa zählte eine kleine Liste ab, der Waldläufer nickte und machte sich von dannen.
Alissa selbst eilte zurück in die Burg. Ihr blieb nicht viel Zeit. Schnell packte sie nur die nötigsten Dinge zusammen, nahm sich dann aber die Zeit, ihrer Tante einen Erklärungsbrief zu schreiben.
Danach ließ sie einen Boten kommen. "In drei Stunden gibst Du diesen Brief der Baronin. Es ist äußerst wichtig, dass sie ihn erst in drei Stunden erhält, verstanden?" Der Bote antwortete knapp, verbeugte sich und machte sich mit dem Brief von dannen.
Alissa nahm indes ihr kleines geschnürtes Bündel und eilte wieder in den Burghof. Dort traf sie auch wieder ihren Waldläufer an. "Ist alles vorbereitet?", fragte sie. "Ja, Alissa, es ist alles bereit." Der Waldläufer zeigte zum Stall. Alissa schaute sich noch kurz zur Burg Freudenstein um und betrat dann den Stall. Sie verabschiedete sich kurz von ihrem geliebten Pferd, um dann auf einen Wagen zu steigen und los zu fahren.
Drei Stunden später erhielt die Baronin von einem Boten einen Brief. Sie erbrach das Siegel um dann den Inhalt zu lesen:
Liebste Tante,
bitte verzeiht meinen schnellen kurzfristigen Aufbruch, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich habe, kurz nachdem ich wieder aufstehen konnte, ein paar Spione ausgesandt, um den Aufenthaltsort des Junkers und auch den Eures Sohnes ausfindig zu machen. Ich habe heute Abend die Nachricht erhalten, dass der verfluchte Junker auf dem Weg nach Almada ist. Ich habe mich auf den Weg gemacht, um dort vielleicht herauszufinden, wo sich Euer Sohn aufhält. Warum auch sonst sollte sich der vermaledeite Junker auf den Weg nach Almada machen?
Ich hoffe, dort Informationen über den Verbleib Eures Sohnes zu bekommen.
Ich habe mir einen kleinen Wagen und ein Pferd aus dem Ställen mitgenommen, da ich selbst mit meinem verwundeten Arm noch nicht reiten kann und mein Teshkaler dort zu auffällig sein würde.
Hofft auf meine Rückkehr und auf die Eures Sohnes.
Eure Alissa
Die Baronin atmete tief durch. Was war von diesem Verhalten von Alissa zu halten? Einerseits sicher Bewunderung für ihre innere Loyalität, Ergebenheit und selbstlose Risikobereitschaft. Anderseits liess es Alissa aber an der äusseren Loyalität mangeln. Warum hatte sie sie nicht vorher eingeweiht? In gewisser Weise war das ein Angriff auf ihre Autorität als Baronin. Sie nahm sich daher vor, mit Alissa nach ihrer Rückkehr ein ernstes, aber dennoch freundliches Wörtchen zu reden.
Doch sicher ist sicher. Und so liess die Baronin den Hauptmann Ole rufen, und befahl ihm, schon mal mit der Rekrutierung neuer Waldläufer zu beginnen, wobei sie ihn anwies, wenig Druck aufzusetzen und vor allem Flüchtlinge aus dem Norden anzufragen, um die nicht eben gute Stimmung unter den ansässigen Bauern weiter zu verschlechtern. Schliesslich sagte sie nur so nebenbei zu Ole: "Mich dünkt, unsere Alissa ist bald bereit für unsere kleine Aktion in Eychgras ... oder wo auch immer." Ole nickte und fügte an: "Mögen die Götter sie wohlbehütet zurück nach Erlenstamm geleiten."