Geschichten:Alte und neue Reisebekanntschaften
"Also gut", ergriff Rukus das Wort. "Wir geben Dir etwa ein Viertelwassermaß Zeit. Dann werden wir übrigen aus dem Wald preschen und uns nach Norden wenden, unsere Freunde dort drüben hoffentlich im Schlepptau, sodass Du freie Bahn bis zur Stadt haben solltest. Wenn wir sie abgeschüttelt haben, treffen uns dort im Gasthof 'Zur Vogtei'. Und nun los!"
Nach der vereinbarten Wartezeit setzten die fünf verbliebenen Gefährten den Plan in die Tat um. Sie brachen aus dem Wald und wandten sich dann im gestreckten Galopp nach Norden, dicht gefolgt von den Reshminianern, deren Überraschung allerdings nur kurz währte. Da Salvas Pferd unterwegs jedoch ein Hufeisen und damit auch an Geschwindigkeit verlor, war die Flucht jedoch schon nach wenigen Minuten beendet, da die Ritterin rasch eingeholt und überwältigt wurde, woraufhin wenige Augenblicke später auch die übrigen Flüchtenden anhielten und aufgaben. Und als wäre die Situation nicht schon desperat genug, tauchten vor ihnen vier weitere bewaffnete Reiter auf, die rasch zu den übrigen aufschlossen.
Die Anführerin der dritten Gruppe stieg gemächlich von ihrem Pferd und wandte sich den beiden Rittern zu, die sie verblüfft anstarrten. Die Frau würdigte die Reshminianer hingegen keines Blickes, woraufhin sich deren Mienen schlagartig verdunkelten. Keine Geringere als Rondira von Sturmfels, Baronin zu Gluckenhang, gab sich unerwartet die Ehre.
"Sieh´ an, sieh´ an. Erstaunlich, wer sich so alles in meiner Baronie herumtreibt. Und wie unhöflich, mir nicht zuvor die Aufwartung gemacht zu haben. Derlei unziemliches Verhalten bin ich von des Seneschalls Anverwandten gar nicht gewohnt. Im Übrigen wird Wilderei in meinen Wäldern streng bestraft. Oder stand den Herren womöglich gar nicht der Sinn nach Reh und Eber, sondern nach einer gänzlich anderen Jagdbeute?" Beim letzten Satz hatte die Stimme der Baronin einen lauernden Unterton angenommen.
"Wir sind lediglich vom Weg abgekommen und versehentlich in dem Wald gelandet, wo wir uns bis gerade eben verlaufen hatten.", entgegnete Welferich ungerührt.
"Und meine lieben Reshminianer hier - Rondira betonte den Namen des Bundes recht eigentümlich - hatten euch freundlicherweise zurück unter Praios Antlitz geführt? Wie edelmütig. Rondiras Stimme troff geradezu vor Sarkasmus. Aber die hohen Herren und Damen werden doch sicher nichts gegen eine Durchsuchung einzuwenden haben, oder? Nur um sicherzugehen, dass sich nicht doch etwas in ihre Taschen verirrt hat - rein zufällig, versteht sich."
"Nur unter Protest", meldete sich Rukus zu Wort, "aber der Seneschall wird davon erfahren, dessen seid gewiss, Hochgeboren."
"Oh, das hoffe ich doch sehr! Ich bin schon gespannt, was er mir zu eurem Treiben hier zu erzählen haben wird; ich liebe gute Geschichten!"
Die Baronin winkte zwei ihrer Begleiter heran, die der Reihe nach die fünf 'Eindringlinge' samt Gepäck gründlich durchsuchten.
"Herrin, sie haben nichts Ungewöhnliches bei sich. Was sollen wir jetzt mit ihnen machen?"
"Wie bedauerlich. Wie außerordentlich bedauerlich. Tja, was mache ich jetzt bloß mit euch? Eigentlich habe ich da eine sehr genaue Vorstellung zu. Andererseits stehen deren Umsetzung gewisse, hm, praktische Gründe entgegen. Setzt die Fünf auf ihre Gäule und dann eskortieren wir sie nach Traviansfurt. Wir wollen doch nicht, dass sich unsere Gäste auf dem Weg dorthin erneut 'verlaufen'. Und morgen haben die Herren Rabicum samt Gespielinnen noch vor der Praiosstunde meine Baronie verlassen, ansonsten verlasst ihr sie gar nicht mehr. Habt ihr das verstanden?"
"-"
"Ich werte das als ein 'Ja'. Und nun los, ich habe meine Zeit im Gegensatz zu euch nicht gestohlen! An die nun etwas verdattert dreinschauenden Reshminianer gewandt fügte die Baronin noch hinzu:
"Danke für euren freundlichen Besuch, doch ist es, denke ich, nun an der Zeit, in den Süden zurückzukehren."
Mit sichtlichem Widerwillen wendeten die Bundesritter ihre Pferde und ritten davon, der Adligen dabei finstere Blicke zuwerfend.
In Traviansfurt angekommen, kehrte die Gruppe für die Nacht wieder im Gasthaus "Zur Vogtei" ein, wo Rukus über eine Schankmagd seiner Knappin Nedime eine kurze Nachricht zukommen ließ und sie darin bat, gleich nach Sonnenaufgang zunächst alleine nach Perricum zurückzureiten.
Die junge Frau war von der Nachricht nicht sonderlich überrascht, hatte sie doch die Ankunft ihrer Gefährten und deren 'Eskorte' mitbekommen und sich infolgedessen schon gedacht, dass es zumindest zu Beginn der Rückreise klüger wäre, erst einmal alleine weiterzureiten und so zu vermeiden, mit den anderen hier in Gluckenhang gesehen zu werden.
Erst im Dörfchen Lützelalbur hielt Nedime inne, um auf ihren Knappenvater samt Begleiter zu warten, die im Laufe des Vormittags eintrafen. Danach ging es gemeinsam zügig weiter zur Reichsstadt, wobei mit jeder zurückgelegten Meile die Anspannung nachließ, doch noch von Baronin Rondira gestellt und zumindest ihrer Beute beraubt zu werden.
An der Sankta-Reshmina-Brücke verabschiedeten sich Salva und Samia von der Gruppe, insbesondere von ihrem Bundesbruder Welferich.
Auf dem Hof der markgräflichen Residenz trennten sich auch die Wege Mervas und Nedimes von den Rabicumern, wobei die Knappin für ihren Einfallsreichtum noch ein Lob von ungewohnter Seite, nämlich von Welferich, erhielt, während Rukus ihr auf die Schulter klopfte und mitteilte, dass ihre Schwertleite nun nicht mehr fern sei. Mervas Lebewohl von der Aimar-Gor fiel mit einem innigen Kuss deutlich herzlicher aus.
Doch kaum waren die diversen Abschiede in ungewohnter Eintracht, ja fast schon harmonisch vonstattengegangen, brach sich die Antipathie zwischen Onkel und Neffe wieder Bahn. So trugen sie ihren immer noch gut verpackten und damit vor neugierigen Augen geschützten Fund gemeinsam zum Arbeitszimmer ihres Patriarchen, da keiner der beiden gewillt war, zugunsten des anderen zurückzustecken.
Kaum dass sie hereingebeten und die Türe hinter ihnen geschlossen worden war, ergriff Zordan das Wort.
"Schön, dass ihr wieder zurück seid! Ich sehe, ihr wart erfolgreich?"
"Ja Onkel. Die Standarte des Caralus."
"Vollständig und bemerkenswert gut erhalten", ergänzte Welferich.
"Ausgezeichnet; ich wusste, ich kann mich auf euch verlassen. Ich werde mir eure Trophäe bei passender Gelegenheit anschauen. Gab es irgendwelche Komplikationen?"
Wie ein Mann schüttelten die beiden Ritter ihre Köpfe.
"Nein, es lief alles wunderbar glatt.", sprach Welferich.
"Wünschte, es wäre immer so einfach.", fügte Rukus hinzu.
Beide Männer verspürten unabhängig voneinander keine Neigung, dem Alten von der Begegnung mit Baronin Rondira zu erzählen. Er musste ja auch nicht alles wissen.
"Und wie geht es jetzt weiter?", begehrte der Erste Hausritter zu wissen.
"Wir warten.", antwortete Zordan lakonisch. "Wir warten auf die passende Gelegenheit, unseren, nein, euren Fund dem Hofe und dem Markgrafen angemessen präsentieren zu können. Alles weitere ergibt sich dann von selbst. So, nun aber genug geplaudert. Geht! Feiert ein wenig! Ach ja, ich bin wirklich stolz darauf, euch zu meiner Familie zählen zu dürfen.", fügte der Seneschall hinzu, der seine Anverwandten gut genug kannte, um zu wissen, wann er ihre Egos zu streicheln hatte.
Eine Stunde später saß Nedime in Zordans Kammer.
"Vielen Dank, Liebes, für Deinen umfassenden Bericht. Und sei versichert, Deine Fähigkeiten und Deine Loyalität werden schon bald eine angemessene Würdigung erfahren."
Der Baron zu Bergthann konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, kaum dass die Knappin die Tür hinter sich geschlossen hatte. Die Reshminianer und Baronin Rondira waren nun also auch im Spiel. Sehr gut! Bedauerlich nur, dass Rukus´ und Welferichs Erinnerungsvermögen in jüngster Zeit so stark nachgelassen hatten, dass ihnen diese beiden Details in ihrem Bericht glatt entfallen waren ...
Mit einem hintersinnigen Lächeln nahm der Seneschall ein Glas Wein und blickte in den prächtigen Nachthimmel. Das Spiel hatte nun begonnen!
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Für Ruhm und Ehre | ▻ |
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Ein neues Symbol für eine neue Zeit | ▻ |
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