Geschichten:Alter Mann mit Pferd
Dorf Steinhude, 18. Firun 1045 BF
„Ulfried?“, hob die Frau im Nachthemd mit zaghafter Stimme an. Sie fror. „Ulfried?“
Der alte Ritter ließ sich nicht irritieren. Er war gerade dabei sein Pferd zu satteln, eine Mähre die ebenso alt war wie er selbst, dabei trug er lediglich ein kurzes Nachthemd, Stiefel und hatte sein Schwert umgegürtet. „Ich muss gegen Haffax ziehen.“
„Haffax ist tot“, erwiderte sie da trocken. Leise fiel der Schnee. Es war Nacht. Die Sterne standen hoch am Himmel.
„Was?“, entfuhr es dem Alten fassungslos, „Seit... seit wann?“
„Mehr als fünf Götterläufe“, sie zuckte etwas verunsichert mit den Schultern.
„Er greift doch aber Gareth an! Man hat gerade alle nach Gareth ge...“
„Auch das war vor mehr als fünf Götterläufen“, erklärte sie mit ruhiger Stimme.
„Ja?“, fragte er verunsichert und blickte sich zu ihr um.
„Ja“, bestätigte sie nickend, „Und Ihr wart sogar dabei. Erinnert Ihr Euch?“
„Nein“, kam die Antwort da prompt und im selben Moment wirkte er bis ins Mark erschüttert, „Ist das denn sicher? Also das mit... mit Haffax?“
„Ja“, erneut nickte sie, „Ganz sicher.“
„Hm“, machte der alte Ritter da nur, „Und... und... und jetzt?“
„Jetzt versorgen wir Euer Pferd wieder und gehen dann zu Bett. Es ist mitten in der Nacht. Alle schlafen...“
„Ich bin verheiratet!“, protestiert er energisch.
„Ich auch“, meinte sie da und konnte sich ein vielsagendes Lächeln nicht verkneifen, „Deswegen geht Ihr in Euer Bett und ich in meines.“
„Alles andere würde meiner Frau auch nicht gefallen“, erwiderte der alte Ritter und schien dabei vollkommen vergessen zu haben, dass seine Frau seit vielen, vielen Götterläufen nicht mehr am Leben war.
„Meinem Mann auch nicht“, stimmte sie ihm nickend zu, dann trat sie zu ihm heran und wollte gerade das Pferd zurück in den Stall führen, da entfuhr es im fassungslos: „Wer... wer seid Ihr eigentlich? Und was... was macht Ihr hier? Noch dazu im Nachthemd? Hat man Euch nicht beigebracht, sich vernünftig zu kleiden?“
„Ich bin Valaria“, erklärte die Frau noch immer mit ruhiger Stimme.
„Valaria?“
„Valaria von Wiesenthal“, führte sie weiter aus.
„Ah“, machte der alte Ritter und seine Augen begannen zu funkeln, „Eine Wiesenthal! Ja, ja, das sieht man Dir an. Die Herrin Rahja hat es gut mit Dir gemeint, so wie mit den meisten Deiner Familie.“
Sie lächelte angesichts seiner Worte, sagte aber nichts.
„Und was machst Du hier?“
„Ich bin mit Eurem Enkel verheiratet.“
„Moribert?“, fragte er, doch dann nickte er sogleich, „Vielleicht schaffst Du es ja, dass er endlich gefallen an den Frauen findest. Wenn nicht Du, wer denn dann?“
„Ja“, bestätigte sie und Bitterkeit schwang in ihrer Stimme mit, „Vielleicht schaffe ich das.“
„Ich meine, er kann tut und lassen was er will, aber... aber ein Urenkel oder zwei und damit einen Erben oder eine Erbin das ist doch nun wirklich nicht zu viel verlangt. Und mir... mir würde das gefallen und meiner Gattin gewiss au...“, abrupt hielt er inne. Der Glanz in seinen Augen verschwand. „Nella ist tot.“ Entsetzten trat in seinen Blick. „Sie ist... tot.“ Fragend blickte er sie an, als ob er sich seiner Worte versichern müsste.
Valaria jagte ein kalter Schauer den Rücken hinab. „Ja, sie ist tot“, erwiderte sie, „Bereits viele Götterläufe lang.“
„Und... und... Moribert?“, seine Stimme zitterte ganz so als ob er eine Vorahnung hatte.
Sie schluckte schwer: „Auch er. Aber nicht so lange.“
„Was... was... was ist passiert?“
„Haffax“, erwiderte die Wiesenthalerin lediglich erstickt, weil sie ihm nicht zum ersten Mal erklären musste, was passiert war und sie sehr genau wusste, mit welcher Ungläubigkeit und mit welchem Schmerz er auf ihre Worte reagierte, „Er ist vor Mendena gefallen.“
Da wandte sich der alte Ritter von ihr ab. Sein Körper bebte. Sie wandte ihren Blick von ihm ab. Sie hatte diesen Schmerz so oft in ihm gesehen. Wenn sie es schon kaum ertrug, ihn so zu sehen, wie musste er sich da erst fühlen?
„Haffax“, spie er da plötzlich hervor, „Haffax! Ich komme und hole dich.“ Damit schwang er sich behände auf sein Pferd. „JETZT BIST DU DRAN!“
„Er ist tot“, schrie Valaria, „Ulfried, Haffax ist tot.“ Doch der alte Ritter war fest entschlossen. Er schubste die Wiesenthalerin aus dem Weg und stieß seinem Pferd die Haken in die Seite. Das Tier preschte daraufhin los.
„KORDARA“, schrie sie nun panisch, weil sie hoffte, dass vielleicht seine Tochter den alten Ritter zu Räson bringen konnte, „KORDARA.“ Sie veruschte Reiter und Pferd hinterherzueilen.
Weit kam der alte Mann auf seinem treuen Streitross jedoch nicht. Er war gerade aus dem Hof geritten, da kippte er einfach von seinem Pferd. Wie ein Stein fiel er in den Schnee. Valaria eilte zu ihm. Kniete sich neben ihn, hielt seine Hand. Ulfried blickte sie mit glitzernden Augen an und erklärte mit einem wissenden Lächeln: „Ach, Nella. Meine liebste, Nella. Nun sind wir endlich wieder vereint... Endlich.“
Dann starb er. Er hatte seine letzten Kampf bestritten.