Geschichten:Altes Blut - Raller und Zweifel
Burg Zweifelfels, Boron 1037:
Bereits beim hinaufreiten des langen Damms zur Burg hörte er stark gedämpft das Klirren von Schwertern. Auf den Mauern sah er einige müde Wachen ihre letzten Runden drehen, bevor vermutlich die Ablösung kommen würde.
Auch seine Begleitung hinter ihm war noch müde, doch er hatte darauf bestanden vor Sonnenaufgang los zu reiten, um so früh wie möglich am Ziel der Reise anzukommen.
Als die Gruppe das Tor passierte schauten die Wachen interessiert, hatten sie doch ein solches Wappen noch nicht gesehen auf der Burg. Haldan erklärte kurz, sie kämen im Auftrag Raulbrins von Rallerspfort, woraufhin sie von einer Wache in den Hof geleitet wurden.
Haldan schaute sich ein wenig um. Einige Ritter maßen sich im Zweikampf. Einige Augenblicke beobachtete er ihren Schlagabtausch. Insgeheim bewunderte er sie für ihr Können. Auch er hatte eine Ausbildung am Schwert erhalten, die über die Grundlagen hinausging, doch mangelte es ihm nicht an Bescheidenheit, um zugeben zu können, dass sie sich, was das anging, in einer anderen Welt befanden.
Der Hof war großzügig angelegt und Haldan konnte sich hier lebhaft die waffenstarrenden Paraden der Zweiflinger Grenzwächter vorstellen. Zweiflinger Grenzwächter, pah, bei dem Gedanken zuckte kurz sein rechtes Augenlid, er war nun in der Höhle des Löwen angekommen. Markantestes Bauwerk war ohne Zweifel der mächtige Bergfried, der die restliche Burg um einiges überragte und von dem man sicherlich einen atemberaubenden Blick über das Land haben musste. Angeblich wurde Burg Zweifelfels noch niemals erobert, auch nicht während der Priesterkaiserzeit, in der die Zweifelfelser fast alles an Macht eingebüßt hatten. Um den Bergfried gruppierten sich einige Wirtschafts- und Gesindegebäude, darunter eine Schmiede wie Haldan erkannte, sowie Stallungen. Hier war der Hof fast eben, erst wenn man den dreistöckigen Palas erreichen wollte, erhob sich der Bergrücken merklich. Der U-förmige Palas bildete einen eigenen kleinen Innenhof, der auch durch eine steinerne Mauer und ein zweiflügliges Tor vom restlichen „großen Hof“ abgeschnitten war.
Am Rande des Tores bemerkte er zwei Personen, welche sich zu unterhielten schienen. Die Wache hielt auf eben diese beiden drauf zu. Einer der beiden schien bis gerade eben selbst am Kampf beteiligt gewesen zu sein. Sein Atem ging stoßweise und sein Körper dampfte in der kühlen Morgenluft. Der andere Mann hatte einige Rollen unter den Arm geklemmt und deutete beim Reden auf eine weitere, die er immer wieder aufrollte, um etwas zu demonstrieren. Als er die Wache und die ihr folgende Gruppe bemerkte schaute er auf.
Haldan stieg ab und seine Begleitung tat es ihm gleich.
„Wie kann ich Euch helfen, werte Herren?“, grüßte der Mann mit den Schriftrollen und reichte Haldan, als erstem in der Gruppe, die Hand.
„Ich komme im Auftrag Raulbrins von Rallerspfort.“ Aus den Augenwinkeln bemerkte Haldan, wie der Mann in Rüstung von einer der Schriftrollen kurz aufblickte.
„Aaah, dann seid Ihr sicher Haldan von Rallersgrund. Habe ich mich doch nicht im Wappen getäuscht. Verzeiht, aber es ist mir noch nicht geläufig. Mein Name ist Brinian von Zweifelfels.“ Er lächelte und drückte Haldans Hand fester. Haldan erwiderte das Lächeln.
„In der Tat, der bin ich. Freut mich Euch kennenzulernen.“
„Das hier ist...“, er machte eine Geste auf den Mann in Rüstung zu, welcher in diesem Moment zu ihnen trat und Brinian unterbrach.
„Debrek Rondrawin von Zweifelfels, Baron zu Zweiflingen und Oberhaupt der altehrwürdigen Familie Zweifelfels. Willkommen auf Burg Zweifelfels.“
„Vielen Dank, dass Ihr mich hier Willkommen heißt.“
„Brinian“, ging Debrek direkt wieder zum eben geführten Gespräch über, „mach das so mit den Listen, wie du es vorgeschlagen hast.“ Er schaute zu Haldan. „Ihr kommt von Raulbrin?“
„Ja, richtig. Es geht um Eure anwesenden Truppen und einige weitere Angelegenheiten, welche unter Umständen nicht auf dem Hof besprochen werden sollten.“
„Sehr richtig. Brinian, du kümmerst dich darum?“ Brinian nickte und nahm die Schriftrolle seines Barons entgegen. „Sehr gut. Hat mich gefreut Haldan von Rallersgrund.“ er reichte ihm zum Abschied die Hand, drehte sich um, rief „Knappin! Mein Schwert!“ und schloss sich erneut den Kämpfenden an.
„Kommt, begleitet mich nach oben.“, sagte Brinian, welcher Haldans leicht irritierten Blick bemerkt hatte. „Eure Männer können sich in der Küche ein wenig aufwärmen. Dort werden sie auch etwas zu essen erhalten.“
Haldan folgte dem jungen Mann, welcher offensichtlich das Amt eines Verwalters inne hatte. Auf dem Weg bat er eine Magd eine Frau namens Rondriga zu informieren. Danach traten sie in Brinians Arbeitszimmer ein, welches angenehm warm war. Eilig räumte er die Reste seines Frühstücks zur Seite, bot Haldan einen Stuhl und einen Becher Wein an und setzte sich anschließend selbst hinter seinen Schreibtisch.
„Hattet Ihr eine gute Anreise?“
„Ja. Es gab keinerlei Schwierigkeiten.“
„Das ist erfreulich, aber leider nicht ganz selbstverständlich auf der Strecke durch Leihenbutt. Scheinbar braucht Rondriga noch ein wenig. Lasst uns schon einmal beginnen.“
„Wie Ihr wünscht.“ Haldan nippte einmal an seinem Wein. Er schmeckte angenehm süß und er erkannte ihn als einen Wein aus Bärenauer Landen.
„Nun gut. Was führt Euch zu uns. Ihr meintet Ihr seid im Auftrag Raulbrins unterwegs?“
„In der Tat. Er schickt mich, um seiner Absicht Ausdruck zu verleihen, dass er sich entschieden hat einen herrschaftlichen Hof auf Burg Rotkrähenborn einzusetzen.“ Brinian zog interessiert eine Augenbraue hoch. „Dabei fiel, selbstverständlich, die erste Wahl zur Besetzung von Ämtern auf die langjährigen Verbündeten der Familie Zweifelfels. Die schon durchs Blut gestärkte Verbindung soll weiter intensiviert werden und Raulbrin hofft auf eine baldige Einigung.“
„Das ist mehr als erfreulich zu hören. Wir fühlen uns geehrt, dass Ihr als erstes an uns dachtet. An die Besetzung welcher Ämter dachtet Ihr dabei?“
„Ihr habt freie Wahl, doch in Absprache mit mir schien uns das des Mundschenks besonders geeignet. Raulbrin und seine Familie zogen es vor das Amt mit der größten Nähe zu Raulbrin und seiner Familie einem gut vertrauten zu überlasssen. So ist es mehr als ein bloßes Amt, sondern ein Zeichen der besonderen Verbundenheit zwischen den Familien.“
Haldan hatte kaum seinen Satz beendet, als es kurz klopfte und die Tür geöffnet wurde. Herein kam eine junge Frau, mit schulterlangem, blonden Haar, schlanker Figur und einem Wappenrock über dem Kettenhemd. Sie musterte Haldan kurz, schloss die Tür und trat näher.
„Sei gegrüßt Brinian. Danke, dass du mich hast informieren lassen.“ Wie sie es sagte, klang es weniger nach tatsächlichem Dank, als vielmehr nach einer Selbstverständlichkeit. „Mein Name ist Rondriga von Zweifelfels. Ihr seid Haldan Rallers... von Rallersgrund?“
Haldan überging ihren Fehler und sagte bloß: „Ja, richtig. Freut mich Euch kennenzulernen.“
Sie lächelte, doch erreichte das Lächeln nicht ihre Augen, die Haldan weiter kühl ansahen.
„Darf ich die Herren bitten, mich aufzuklären, worum es hier geht?“
„Sicher.“, begann Brinian und stieß dabei die Luft aus den Lungen. „Wohlgeboren Rallersgrund ist in Raulbrins Namen hier, um über die Vergabe von Ämtern am einzurichtenden herrschaftlichen Hof zu Rotkrähenborn zu reden.“
„Oh.“, entfuhr es Rondriga. Erneut blickte sie kurz zu Haldan. „Welches Amt stellt sich Raulbrin vor, dass es von uns besetzt wird?“
„Das des Mundschenks.“ Sie schürzte kaum merklich die Lippen, als sie das hörte. „Weiter waren wir bislang nicht gekommen.“
„Nun ja. Das des Mundschenks also.“
„Wie ich Wohlgeboren Brinian eben schon erklärte, war es der besondere Wunsch Raulbrins das Amt mit der größten unmittelbaren Nähe zur eigenen Familie eurer Familie zu übertragen.“
„Ich halte das für eine aufmerksame Geste von ihm, der man mit Sicherheit einverstanden sein kann.“, bemerkte Brinian zu Rondriga gewandt.
„Sicher ist es das, doch war das mit Sicherheit nicht schon alles. Habe ich Recht?“, sie umrundete den Tisch, stellte sich hinter Brinian und lehnte sich an seine Rückenlehne.
„Nun ja, Euer Wohlgeboren liegt damit richtig. Seine Hochgeboren lässt im Gegenzug fragen, ob sich die Familie Zweifelfels im Gegenzug vorstellen könnte einen direkten Ansprechpartner in Amt und Würden an den eigenen Hof zu bestellen.“
„Achja? Wer sollte das sein und in welchem Amt?“, hakte Rondriga nach.
„Die Familie seiner Hochgeboren erfreut sich nicht einer Fruchtbarkeit, wie die Eure und angesichts der schwierigen politischen Lage innerhalb der Baronie schlug ich ein Mitglied meiner Familie vor...“
„Na da haben wir es ja schon. Schwierige politische Lage... An welches Amt habt Ihr gedacht? Als Pfeffersack, der Ihr seid wohl an das des Kämmerers?“ Sie schien sichtlich amüsiert.
„Rondriga, bitte.“, versuchte Brinian zu beruhigen.
Nun schmunzelte Haldan seinerseits verkrampft, ließ sich jedoch nicht irritieren und fuhr fort. „Nun es würde den Fähigkeiten meiner Familie am ehsten entsprechen. Sie sind gut geschult im Umgang mit Münzen, Steuern und Handel.“
„Das ist gut!“, platzte es aus Rondriga heraus.
„Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich diese Besetzung für eine gute Idee halte. Ein wenig Entlastung für mich wäre der Baronie und der Familie mit Sicherheit dienlich.“
„Darf ich dich kurz draußen sprechen, Brinian?“
„Sicher.“ Er erhob sich und gemeinsam verließen sie den Raum. Haldan verblieb für einige Augenblicke alleine und nutzte die Gelegenheit an seinem Wein zu nippen und sich die vereinzelten Schweißperlen auf der Stirn weg zu tupfen. Er hatte geahnt, dass es nicht leicht werden würde, doch Rondrigas Unverfrorenheit überraschte ihn.
Mit einem Ruck ging die Tür wieder auf und sie kamen zurück. Brinian blieb neben der Tür zurück und schloss diese, während Rondriga zurück zu Haldan kam.
„Angenommen man würde Eurer Familie dieses außerordentlich wichtige Amt geben, muss ich auf einigen Forderungen bestehen.“
„Ich werde mir anhören, was Ihr vorzuschlagen habt.“, gab Haldsan ruhig als Antwort zurück.
„Erstens würde das Amt des Mundschenks, wie gehabt, von uns besetzt werden. Ich habe da bereits eine Idee. Des weiteren wünschen wir Mitspracherecht bei der Besetzung des Geweihten an Eurem Hofe, ist meiner Familie doch die gewohnte Ausübung ihres Glaubens von großer Bedeutung. Drittens wird die Verlobung zwischen Firnhold von Zweifelfels und Alara von Zerbelhufen nicht gelöst werden. Die Familie Zerbelhufen ist seit langer Zeit schon mit der meinen verbündet. Auch wenn sie von nicht so hoher Geburt ist, wie die Raulbrins, wünschen wir uns doch ein Fortbestehen dieser Beziehungen, meinem Bruder ist daran sehr gelegen. Ich fordere also von Euch eine Einigung mit dieser Familie herbeizuführen und zwar zu Konditionen die ich Euch noch im Einzelnen darlegen werde. Niemand verlässt ungestraft den schützenden Schoss meiner Familie!“ Zornesfalten bildeten sich auf Rondrigas Stirn. „Die Angelegenheit in Rallerspfort droht die Region weiter zu destabilisieren, darum bitte ich diese Einmischung zu entschuldigen. Unter diesen Umständen würden wir uns gewillt zeigen das Amt des Kämmerers mit einem Mitglied Eurer Familie zu besetzen. Betrachtet das Erfüllen unserer Bedingungen als Empfehlungsschreiben.“ Herausfordernd schaute sie ihn an, erwartete sie doch Protest.
Haldan dachte einen Augenblick über die Forderungen nach. Das Amt des Geweihten am Hofe hatte er bereits Ludomar von Wystern versprochen, doch war noch immer nicht ausgeschlossen, dass die Wahl auf ihn fallen würde. Die übrigen Bedingungen waren für ihn akzeptabel.
„Ich denke diese Bedingungen sind in Anbetracht der Umstände akzeptabel und nachvollziehbar. Lediglich eine kleine Abänderung muss ich vornehmen.“
„Die da wäre?“ Hatte Rondriga zunächst Erstaunen im Gesicht sehen lassen, wich dieses nun einem leicht triumphalen Blick.
„Nun, lasst es mich so formulieren. Mir ist bewusst, dass Eure Familie treue und leidenschaftliche Anhänger des Rondra-Kultes sind, doch spreche ich sicher im Namen Raulbrins, wenn ich darauf bestehen muss, dass es sich bei dem Geweihten am Hofe um einen Anhänger des Landes-Kultes handelt. Ein Diener des Götterfürsten hielte ich für eine äußerst geeignete Wahl in Anbetracht der angespannten politischen Lage. Wer sollte besser geeignet sein, um zu helfen, die praiosgewollte Ordnung wiederherzustellen? Wir alle hoffen schließlich, dass wir den Beistand der stürmischen Rondra nicht benötigen werden, nicht wahr?“
Rondriga erstarb das Lächeln im Gesicht. „Sicherlich. Darauf hoffen wir alle. Ich denke diese Einschränkung ist akzeptabel.“
„Doch Seine Hochgeboren wird mit Sicherheit keine Einwände erheben, sollte Eure Familienmitglieder ein Geweihter der Rondra begleiten. Die Burg bietet viel Platz.“ Haldan zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Auch Brinian an der Tür konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.