Geschichten:Am Ende gewinnt immer der andere
Pfalz Zwingzahn, Anfang 1048 BF
Der beleibte Arzt Schimmelgeiß saß im Licht der untergehenden Sonne am Fenster und studierte die Partei Rote und weiße Kamele, die er gerade gegen seinen Kameraden Grothan Spalotin verloren hatte. Er brummte und nickte, nickte und brummte. Dann zog er langsam eine Kladde aus seinem Wams, entnahm ihr einen dünnen Kohlestift, schlug die mittlere Seite auf und setzte an das Ende der Strichkolonnen auf der linken Seite einen weiteren Strich. Viel Platz war da nicht mehr. Auf der rechten Seite hingegen standen nur drei Striche. Schimmelgeiß überprüfte gewissenhaft die drei Striche, seufzte, brummte, schüttelte den Kopf und steckte die Kladde wieder in sein Wams.
„Weißt du, Goswin“, rief Maga Eylrun von Stechling quer durch das Esszimmer, in dem sich die drei Gäste aus der Kaisermark tagsüber oft aufhielten, seit sie vor einer Woche auf Zwingzahn angekommen waren. Sie lag aus einer Bank unter einem der schmalen Fenster.
„Was weiß i?“, fragte Schimmelgeiß in breitem Warunksch zurück.
„Ich bewundere deine Ausdauer. Du spielst immer und immer wieder gegen Spalotin, obwohl du gar keine Chance hast und nie gewinnst“, ätzte die Magierin und schob sich eine der ergrauten Locken aus dem noch überraschend jugendlichen Gesicht.
„Was heißt hia nie? I hob gewonna. Schon oft“, widersprach der Doktor und wandt den Blick nicht vom Spielbrett.
„Wie oft?“
„Dreimal.“
„Also nie. Und dennoch machst du weiter, warum?“
„Woaßt, Eylrun. So muss I gstrickt sein als a Medicus. Denn wennst du es genau bedenkst, is des a Aufgab, die I a net gewinna kann“ , brummte der Meidcus und begann jetzt doch die Spielsteine zusammenzuräumen und in dem feinen Ledersäckchen zu verstauen, aus dem sie gekommen waren.
„Wie meinst du das?“ Die Stechling setzte sich auf und sah zum Doktor herüber.
„Am End gewinn net I, sondern immer Herr Boron. Immer. Es is a gute Schul, gegen den Spalotin zu spieln. Da gewöhnt man sich des immer gewinna wolln ab.“
„Hört, hört“, meldete sich der Sieger des Spiels aus dem Schatten in einer er Ecken, wo er eines seiner kleinen Wurfmesser schärfte. „Weise gesprochen, Herr Doktor. Die Enttäuschungen deines Berufs sind wahrlich schwer zu ertragen. Umso schöner, wenn es dir gelingt, mal doch eine Seele noch ein Weilchen im Diesseits zu bewahren wie letzten Mond beim Werdan von Luring-Schneitzig.“
„Ja“, brummtze Schimmelgeiß und zog mit einem Ruck das Säckchen zu.
Da klopfte es.
Alle drei reagierten blitzschnell, zuckten, als ob sie einen Angriff abwehren wollten, ehe sie sich entspannten. Spalotin rief: „Herein.“
Ariescha von Brendiltal, die Hausherrin auf Zwingzahn trat herein. Sie trug eine Depesche in der Hand, blieb aber an der Tür stehen. Die drei standen sofort auf und begrüßten die Pfalzgräfin.
„Ihr müsste nicht klopfen, Hochwohlgeboren“, kratzfußte Spalotin, „Ihr seid hier zu Hause und wir nur Eure unwürdigen Gäste.“
Ariescha lächelte und wandte sich dann dem Medicus zu: „Ihr habt Post, Doktor.“ Mi diesen Worten übergab sie das Schreiben an Schimmelgeiß, der es entgegennahm und auf den Tisch legte. Es war offensichtlich, dass die Pfalzgräfin nicht gekommen war, weil sie Post an einen Bürgerlichen überbringen wollte. Schimmelgeiß warf zwei Blicke zu seinen Gefährten, die sich sofort aus dem Raum schlichen. Dann blickte er die Pfalzgräfin ernst an.
„Wie ernst ist es, Doktor?“
„Wie man’s nimmt, Hochwohlgebohren. Euer Gatte is 73 Johr alt. Seine schlimmste Krankheit is des Alter. Und die kann I net heilen.“
„Und seine Schmerzen? Seine Antriebslosigkeit? Seine Appetitlosigkeit? Ihr Götter – der Ogerfresser isst lässt bisweilen sein Essen stehen!“
„Des kann alles auch des Alter sein. I würd sagen: Lasst Eurem Gatten die Zügel lockerer. Lasst ihn reiten, draußen sein. Wieder Ritter sein. Dann kommt der Appetit scho von allein. Ansonsten: Es schad’t nix, wenn er abnimmt. So a Ranzn is net gut fürs lange Leben.“ Dabei umfasst er liebevoll seinen eigenen mächtigen Bauch.
„Sol ich mir keine Sorgen machen?“, hakte Ariescha nach.
„Na, des hab I jetz a net gesagt. Euer Gatte is alt. Aber er kann noch älter werden. Und jetzat, wo die Steine aus seinen Nieren abgegangen sind und er sein Labkrauttee trinkt, wird’s mit denna Schmerzen auch besser werden.“ Er brummte und nickte.
Ariescha nickte ebenfalls. Dann gab sie sich einen Ruck und wollte gehen. Se verhielt aber und wies auf die Depesche: „Schlechte Nachrichten?“
Schimmelgeiß griff danach und öffnete die Depesche. Dabei grummelte er: „Wenn I a Depeschen auf Reisen erhalt, is entweder oaner sehr krank und braucht mich, oder oaner hat mich gebraucht und tu’s nicht mehr. Hm. Donnerkeil, der braucht mich nicht mehr. Der Scheuerlintz is jetzat doch gestorben.“

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