Geschichten:Am Hofe des Kronvogtes - Zur Jagd I.
Hochnjerburg, Königlich Neerbusch, Rahja 1035 BF:
Es war noch früh am Morgen, die Praiosschreibe lugte gerade so über den Baumwipfeln der Klappechser Höhen hervor, als sich im Burghof der Hochnjerburg bereits reges Treiben zeigte. Die königlichen Knappen Morgana und Gisborn liefen nervös über den Burghof, auch den drei Pagen Ulmberta, Radulf und Helmar war das Unbehagen geradezu ins Gesicht geschrieben. Was war geschehen? Kronvogt Leomar von Zweifelfels hatte zur morgendlichen Jagd befohlen. Ein nicht außergewöhnliches Unterfangen im dicht bewaldeten Waldstein möchte man meinen, zumal gerade Neerbusch in früheren Zeiten ein sehr beliebtes Jagdrevier der garetischen Könige gewesen war und zudem, ob der guten Luft, zur Sommerfrische einlud. Doch ist den Menschen der sich immer weiter ausbreitende Forst nicht mehr geheuer, auch lagen die Ereignisse um die Befreiung des Njertals noch nicht lange zurück. Zu allem Überfluss lüsterte es dem Kronvogt auch nicht nach dem Schwarzkittel oder Hirschen, nein, sondern er wollte den Wolfen an den pelzigen Kragen. In den letzten Monden war es geradezu zu einer Wolfsplage im nördlichen Waldstein gekommen und Leomar von Zweifelfels hatte sich nun in den Kopf gesetzt sich dieser Plage in zweifelfelser Manier entgegen zu stellen. Wohl auch, um seinen Gästen ein wenig Abwechselung zu bieten, war doch die königlichen Feste seit Tagen von Leben verfüllt wie schon lange nicht mehr. Anfang Rahja hatte sich der aus dem ehemaligen Darpatien stammende Junker Storko von Gernatsborn-Mersingen, samt Familie und ein Halbbanner der Kaiserlich-Königlich darpatischen Schatzgardisten aus Brücksgau in Neerbusch eingefunden. Leomar und Storko hatten zusammen während der Brautschau in Havena die Wettfahrt auf dem Großen Fluss auf der Aurelia Paliganya bestritten. Der Zweifelfelser war dabei so sehr von dem strammen Ritter angetan, dass er diesen einlud auf dem Rückweg in seine Heimat in Neerbusch zu verweilen.
Im obersten Turmzimmer der „Langen Hallermine“ stand Storko an einem Fenster und schaute gedankenverloren in die Ferne. Der Ausblick von hier über die dicht bewaldeten Klappechser Höhen war atemberaubend. Er war froh seine Familie und besonders seine hochschwangere Frau hier in Waldstein in Sicherheit zu wissen, anstatt in der umkämpften Wildermark. Die Einladung war eine gern angenommene Erholung nach der langen Reise von Albernia, auch um von hier aus in Ruhe die Nachrichten aus der Heimat abzuwarten. Nicht, dass er nach Schlotz zurückkommen würde und die Drachenmeisterin hätte mit ihrem Untier sein ganzes Lehen, das schöne Gernatsborn, in Flammen aufgehen lassen. Und dann war da noch Glyrana. Bei Tsa, das Kind schien nicht mehr lange auf sich warten zu lassen – eine Geburt auf der Hochnjerburg war allemal vorzuziehen als auf dem Weg an der umkämpften Ruinenstadt Wehrheim vorbei. Er hatte sich die Burg gut angesehen, entsprach sie doch in etwa den Größenordnungen seines eigenen geplanten Burgausbaus. Wenn nicht die Kämpfe wieder aufgeflammt wären, dann hätte er nun endlich von seinem Burgrecht Gebrauch gemacht und die Pläne in die Tat umsetzten lassen. Angetan von der Aussicht fragte sich Storko nur welchem strategischem Zwecke die Burg hier nur dient, war doch weit und breit nur der Reichsfort zu sehen und die Wege hierher vom Dickicht fast überwuchert.
Hinter dem darpatischen Junker stand Kronvogt Leomar, der soeben zwei Kelche Wein, die auf einem mit filigranen Schnitzereien versehenen Schreibtisch aus Eichenholz gestanden hatten, herbei brachte und einen davon Storko anbot.
„Mein lieber Freund, es freut mich Euch hier auf der altehrwürdigen Hochnjerburg nach den Gesetzen der gütigen Travia beherbergen zu dürfen, denn endlich ist in dieser Abgeschiedenheit wieder mal Leben eingekehrt“, die Stimmer Leomars überschlug sich förmlich, „In wenigen Tagen werden weitere Gäste zu meinen Feierlichkeiten anreisen, hauptsächlich Adlige aus der Nachbarschaft. So wird auch meine ebenfalls von Tsa gesegnete Base Rondriga Leodane hier eintreffen.“ Storko nickte interessiert während er mit dem Kelch seinem Gastgeber zuprostete. Leomar fuhr fort. „Ich denke, dies wird Eurer Gemahlin sehr zum Gefallen sein, musste sie sich doch nun schon lange genug mit der Gesellschaft meiner Gemahlin begnügen – und das ist bei den Göttern eine eher zweifelhafte Ehre.“ Storko runzelte die Stirn und bemerkte: „Wir genießen die Gesellschaft Euer zuvorkommender Gemahlin außer aller Maßen“. Der Zweifelfelser lachte laut auf. In diesem Augenblick trat Jadvige von Kressenbrück, die Hausritterin der Familie Gernatsborn-Mersingen, in das Turmzimmer ein, nachdem ein Diener ihr die Tür geöffnet hatte.
„Melde gehorsamst den Antritt der Schatzgarde zum Appell im Burghof.“ Die alternde Ritterin blieb regungslos im Türrahmen stehen.
„Wunderbar“, entfuhr es dem Kronvogt während er aus dem Turmfenster lugte. Unten im Burghof nahm ein Halbbanner Gardisten in den Farben Blau und Silber Aufstellung. Ihre Hellebarden glänzten in der morgendlichen Sonne. Weibel Hagen Wehrheimer hielt Rapport und rügte manch einen Gardisten der seine Stiefel nicht ganz glänzend poliert hatte. Nun marschierten auch die Königlich Neerbuscher Grenzwächter auf und der Burghof war erfüllt von der bellenden Stimme ihres Hauptmanns Lubomir von Zweifelfels.
„Verehrter Storko, lasst uns nach unten gehen um das Schauspiel aus der Nähe zu sehen“, Leomar drehte sich von Turmfenster weg, „Anschließend werden wir uns auf die Jagd begeben und Ihr werdet sehen warum hier einst Könige Hof hielten um zu jagen.“
„Nun denn bin ich gespannt welches Wild wir erbeuten werden. Mich würde es nicht wundern wenn der tiefe Reichsforst so mach fett gefressenen Eber für uns darbietet.“ Auf dem Weg aus den Zimmer schultere er noch seine Armbrust, der Hauptmann der Schatzgarde war ein passabler Schütze.
Glyrana von Mersingen, die Gemahlin Storkos, blieb indes aufgrund der fortgeschrittenen Schwangerschaft mit den Kindern in den Gemächern. Auch wenn die Niederkunft nicht mehr lange dauern sollte, so hatte die Hofmagiern und Leibärztin des Königlichen Hofes Simiane Sumudai vom Mandlaril-Feenwasse versichert, dass heute noch nicht der rechte Zeitpunkt gekommen war.
„Habt Acht lieber Freund“, sprach Leomar beim heruntersteigen der steinernen Wendeltreppe, „nicht die fetten Eber sollen heute unser Ziel sein, sondern ein Wolfsrudel. Seit geraumer Zeit machen sie diese Gegend unsicher und reißen unsere Schafe. Dem können wir nicht tatenlos zusehen.“ Die Stimme des Kronvogts klang mehr als entschlossen.
Unten im Burghof hatten sich bereits einige Teilnehmer der Jagd versammelt und bestaunten die Truppenparade der Schatzgarde und Grenzwächter. Die meisten von ihnen waren bereits am Vortag angereist und so wurde Storko bereits mit ihnen bekannt gemacht. So erkannte er den Baron Allerich von Falkenwind mitsamt seinem Knappen Gorwin und seiner Pagin Leudane. Allerichs frisch angetraute Gemahlin Selfina von Falkenstein hielt sich hingegen auffallend zurück, hatte sie sich doch noch nicht im - ihrer Meinung nach Hesinde verlassenden - Waldstein eingelebt. Mit dem Falkenwinder Baron hatte Storko am gestrigen Abend sehr aufschlussreiche Gespräche über das Wesen des geheimnisvollen Reichsforstes geführt und er hoffte, dass ihm dieses Wissen nun bei der bevorstehenden Jagd zugute kommen würde. Storko war sich der Rätsel so mancher tiefer Wälder und ihrer Bewohner bewusst, lebten doch im Wutzenwald in seiner Heimat verborgene Biestinger, vom Volk Wutzen geheißen. Besser man sollte die Bewohner des Waldes nicht erzürnen.
Des weiteren war Allerichs Schwester Celissa von Falkenwind im Gefolge der Osenbrücker Erb-Baroness Selindra von Windenstein-Zweifelfels angereist, die ihrerseits von ihrer Hausritterin Finyara von Zweifelfels begleitet wurde. Die drei hochgewachsenen Ritterinnen machten einen eher ernsten Gesichtsausdruck, wirkten aber allesamt so, als würden sie etwas von der firungefälligen Jagd verstehen. Besonders der kunstvoll gefertigte Langbogen Finyaras zog so manche Blicke auf sich. Die weiteren Angereisten waren Storko unbekannt, waren sie doch wohl erst am heutigen Morgen hier auf der Hochnjerburg eingetroffen. Unter ihnen war eine elfisch aussehende Dame mit Begleitung, sowie ein riesenhafter Mann in einfacher Kleidung, flankiert von zwei Tobrischen Wolfshunden. Schließlich erhob der königliche Jagd- und Forstmeister Edorian von Feenwasser das Wort, eingerahmt von Kronvogt Leomar von Zweifelfels und der königlichen Hofgeweihten des Firun Baertrada von Waldtreuffelingen.
„Firun zum Gruße! Vor fast einem Götterlauf ist es tapferen Waldsteiner Recken gelungen, das vom Reichsforst eingeschlossene Njertal aus namenlosen Fängen zu befreien. Nun haben wir uns hier versammelt um eine weitere Bedrohung für Land und Leute abzuwehren. Diesmal sind es nicht namenlose Schrecken, sondern Kreaturen aus dem Forst die uns bedrohen. Viel zu lange schon haben wir zugesehen wie sich die Wölfe an unserem Vieh schadlos halten. Es ist nun Zeit zu handeln.“ Jubelschreie dröhnen auf. „Es ist mir eine große Freude, dass so viele unserer herrschaftlichen Nachbarn dem Aufruf meines Herrn, Kronvogt Leomar von Zweifelfels, zu dieser firungefälligen Queste gefolgt sind. Ganz besonders begrüße ich in seinem Namen die Baronin Tahlmare von Linara und ihre Tochter und meine Gemahlin Junkerin Sari von Linara-Grünweiden.“ Edorian deutete mit seiner rechten Hand auf die elfisch aussehende Dame und ihre Begleitung, die dem Jagd- und Forstmeister freundlich zunickten. „Die Baronin von Linara und die Junkerin von Grünweiden sind bereits in früher Morgenstund aufgebrochen um im Tempel der Schwanentöchter für unsere firungefällige Jagd den Segen des grimmigen Jägers und der lieblichen Schwanentöchter zu erbitten. Des weiteren freue ich mich Kronvogt Wolfmann von Wetterfels zu Serrinmoor traviagefällig auf der Hochnjerburg zu begrüßen.“ Der angesprochene riesenhafte Mann verzog keinerlei Miene. „Die Zeiten, in denen sich der verstorbene Kronvogt Derril von Waidbrod - mögen die Götter ihm gnädig sein - und der Kronvogt von Serrinmoor in Fehde lagen, gehören der Vergangenheit an. Nun streiten wir gemeinsam gegen die finsteren Kreaturen des Waldes.“ Wieder brauch Jubel aus und Edorian von Feenwasser trat einen Schritt zurück um so Leomar vortreten zu lassen.
„Meine lieben Freunde, auch ich begrüße in aller Zwölfgötternamen, Firun und Phex voran, die hier Anwesenden. Wie mir zugetragen wurde, ist es in den königlichen Landen Neerbusch alte Sitte, dass Neuvermählte gemeinsam eine firungefällige Jagd bestreiten um sich so das Wohlwollen des Grimmigen zu erstreiten. Aus Respekt und Demut vor dem Land das ich als königlicher Vogt vorstehe, habe ich mich entschlossen dieser alten Sitte nachzukommen.“ Leomars Blick richtet sich auf seine Gemahlin Mirya Hesine von Hohentann, die sich sichtbar überrascht gab, war sie doch auch offensichtlich nicht für eine Jagd gekleidet, was den Eindruck verstärkte, dass sie nichts von den Plänen Leomars gewusst hatte. „So werde ich mich heute gemeinsam mit meiner Frau Gemahlin der Prüfung des grimmigen Herren stellen.“ Allgemeines Raunen erfüllte den Burghof ob dieser unerwarteten Ankündigung. So war es in Neerbusch in der Tat alte Sitte, dass Verlobte in der Nacht vor der Vermählung zu einer nächtlichen Jagd aufbrachen, wobei das gemeinsame Jagdglück dann als Omen für die Ehe gewertet wurde. Ein Misserfolg bei der Jagd konnte eine bevorstehende Vermählung sogar noch platzen lassen. Allerdings waren der Kronvogt und die Schwanenbrucher Baroness bereits seit mehreren Monden verheiratet. Zwar war es ebenfalls Brauch alle fiungefällige sieben Götterläufe am Hochzeitstag eine ebensolche Jagd abzuhalten um die Verbundenheit des Paares tu testen. Sollte die nicht mehr gegeben sein, bleib als letzter Ausweg die tsagefällige Trennung des Ehegelöbnisses. Doch von dieser Zeitspanne war das Paar auch noch meilenweit entfernt und so fragte sich so mancher was Leomar, dem die Sache äußerst zu amüsieren schien, denn wohl bezwecken wollte. Denn eines war Kennern des Kronvogtes klar, um die Sitten und Bräuche Neerbuschs ging es ihm sicher nicht.