Geschichten:Ars Geomantiae - Der Herr der Stäbchen

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Ars Geomantie – Der Herr der Stäbchen


Im südlichen Brendiltal


Die Suche glich jener nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. Schon den dritten – oder vierten? – Tag durchsuchten sie das Waldstück, in dem die Gesuchten sich versteckt haben mussten und ihrem schändlichen Treiben nachgingen, und der Kronobrist wurde zunehmend unruhiger. Unter einer Queste, noch dazu rondragefällig, verstand er als Mann des Schwertes alles anderer als das tagelange Verfolgen von Spuren und Hinweisen, doch nichts anderes hatten sie getan. Erst die Recherche in Dergelmund und Perricum, dann die Bergung der alten Trollrelikte in Pelkhafen – bei welchen er sich mittlerweile fragte, ob das Verrücken der Felsen nicht vielleicht doch Einfluss auf die alte Stätte hatte – und dann die alte, entweihte Kultstätte, wo sie die Hinweise auf den neuerlichen Ort, den sie nun suchten, entdeckt hatten. Beunruhigend war nur, dass sie es offenbar mit einem Paktierer zu tun hatten, wenn sie die Hinweise richtig interpretierten.

Zudem ging ihm die Traviageweihte mittlerweile ziemlich auf die Nerven, da sie jede seiner Handlungen und Äußerungen kommentieren musste und immer wieder zu spitzen Bemerkungen neigte. Manches Mal beschlich ihn das Gefühl, dass sie etwas von seiner Weihe wusste oder zumindest ahnte. Sie war auch in St. Ancilla gewesen, schoss es ihm durch den Kopf, dennoch konnte er sich nicht an sie erinnern – was kein Wunder war, denn am Ende hatte die Zusammenkunft zu den Korgonder Reliefsteinen so viele mehr oder weniger Gelehrte zusammengeführt, dass es nicht verwunderlich war, dass man sich kaum an jeden einzelnen erinnern konnte.

Wulf blickte auf Anaxios von Ochs. Der Magier war sein Geheimnis betreffend im Bilde, wurde aber von Wulf als integer eingestuft. Einzig seine gelegentliche Wunderlichkeit war etwas gewöhnungsbedürftig, aber erträglich, wenn man darum wusste. Im Vergleich dazu waren die beiden Ritter Celissa von Lichtenhayn und Felian von Perainsgarten nahezu angenehm unauffällig.

Er atmete noch einmal tief ein, dann stapften sie weiter.



Ein Geräusch klang heran, wie ein Klopfen. Axt auf Holz, dachte Wulf. Seinen Gefährten ging es scheinbar ähnlich. Sie sahen sich an, nickten einander zu und setzen den Weg in Richtung des Geräusches fort. Etwas später erreichten sie eine Lichtung, die offenbar künstlichen Ursprungs war. Ringsum waren geschlagenen Bäume gestapelt, Äste und Blattwerk waren hier und da aufgeschichtet. In der Mitte stand ein grob gezimmerter Tisch, rings herum wenige Zelte.

Sie sondierten die Lage. Drei Männer waren damit beschäftigt, Bäume zu fällen; ein weiterer Stand am Tisch, in irgendwelche Karten oder Pläne vertieft, ein anderer, in tulamidisch anmutende Gewänder gekleideter Mann stand etwas abseits. Das musste Al’Tarshatti sein, der Gelehrte, nach dem sie suchten; der andere hingegen war wohl jener, von dem anzunehmen war, dass er mit dem Erzdämonen im Bunde stand.

Wulf übernahm das Kommando. Es war klar, dass die Traviageweihte Trautmunde in einem Kampf keine große Hilfe sein würde, sie sollte sich im Hintergrund halten, ggfs. zu Hilfe eilen, wenn die Dinge aus dem Ruder liefen. Die beiden Rittersleut teilten seine Einschätzung, dass sie sich der Holzfäller auch in Unterzahl erwehren könnten; blieben der Paktierer und der Gelehrte, von welchem sie noch nicht wussten, wie er einzuschätzen war. Diese beiden wollte er selbst mit der Hilfe des Magisters übernehmen. Sie verteilten sich, langsam und vorsichtig, die Deckung ausnutzend, um den Überraschungsmoment auf ihrer Seite zu haben. Felian und Celissa schlichen in einem weiten Bogen um den Platz herum, gefolgt von Trautmunde, derweil Wulf und Anaxios nur wenig Wegstrecke zurücklegen mussten.

Dennoch erfasste Wulf eine innere Unruhe. Schon mehrfach hatte er gegen Untote und Dämonen gekämpft, doch einem Paktierer im Bewusstsein auf dessen Bündnis entgegenzutreten war auch für ihn neu. Er beugte das Knie, zog die Klinge und ritze die Oberfläche seiner Hand ein; kleine Blutstropfen traten hervor. Ein sandte eine Gebet an seinen Herrn, schickte sein Bitten an ihn, und spürte kurz darauf das immer noch neue, ungewohnte und doch erhebende Gefühl, als die göttliche Kraft Leib und Seele durchströmte.

Schließlich blickte er auf; die übrigen waren in Position. Einigermaßen zeitgleich stürmten sie auf die Lichtung. Nur noch aus den Augenwinkeln bekam Wulf mit, dass die Holzfäller sich auf die Ritter stürzten, während der Paktierer sich erschrocken umwandte, als Wulf bis auf wenige Schritte heran war. Er zog einen Dolch, doch der Kronobrist parierte den Schlag mühelos. Gleichzeit sah er jedoch, wie der Paktierer etwas murmelte. Wulf zögerte nicht lange, setze zu einem Schlag an und spürte, wie die Klinge traf – doch nahezu zeitgleich endlud sich ein blitzartiges Licht über der Lichtung, das ihn für einen Moment blendete. Er zögerte nicht lange und setzte mit geschulten Kämpferreflexen zu einem Rückhandschlag an, der wiederum sein Ziel fand. Der gegnerische Dolch hingegen rutsche an seiner Rüstung ab. Ein weiterer Schlag ging fehl, doch dann kam das Sehvermögen auch schon zurück. Der Paktierer lag rücklings auf dem Boden; sein Gesichtsausdruck war enttäuscht und überrascht zugleich. Hatte er die göttliche Präsenz gespürt, die ihm in Gestalt Wulfs gegenüber trat, oder hatte er sich von der Anrufung seines dämonischen Herrn mehr erhofft? Wulf war es gleich. Er stach zu; mühelos drang die Klinge ins Herz des Paktierers; Blut sprudelte aus der Wunde, und nur einen Augenblick später brach der Blick des Mannes. Enttäuscht und unbefriedigt blickte Wulf auf den Toten. Ein guter Kampf war etwas anderes.

Celissa und Felian hatten die Holzfäller auch schnell überwunden; einen der Schergen hatte es das Leben gekostet. Und der Gelehrte war offenbar wirklich keine Gefahr, denn er machte keinerlei Anstalten, in den Kampf einzugreifen. Also trat Wulf hinzu; Anaxios war bereits Augenblicke zuvor dort angelangt. Gerade wollten sie ansetzen, den Gelehrten zu befragen, als dieser selbst zu sprechen anhob: »Na endlich. Ich hatte mich schon gefragt, wann Ihr endlich hier erscheinen und mich retten würdet.«



Der Gelehrte Al’Tarshatti, das wurde Wulf recht schnell klar, war in der Ausprägung seines Wesens extremer als Anaxios und die Traviata (wie er Trautmunde in Gedanken zu benennen pflegte) zusammen. Ungeachtet seines übersteigerten Selbstwertgefühls war er aber offenbar genau derjenige, den sie gesucht hatten, und so dozierte Al’Tarshatti während der gesamten Reise zurück über die Kunst der Geomantie und war bestrebt, seinen neuen »Schülern« sein Wissen möglichst umfangreich zu vermitteln. Da der Weg über Brendiltal führte lieferten sie die beiden überlebenden Schergen beim Baron Eslam ab, welcher selbige nach Kenntnis der Dinge umgehend zum Tode nebst sofortiger Vollstreckung des Urteils verurteilte. Anders als Teile seiner Begleiter, die bereits voran reisten, wohnte Wulf der Hinrichtung bei; er sah es auch als Chance für sich selbst, als einer der Anführer des Heerbanns bei den Nebachoten zu punkten. Die Gefährten waren schließlich im Galopp bereits nach wenigen Meilen eingeholt.



Sie erreichten die Reichsstadt am späten Nachmittag. Kurzerhand quartierten sie sich wieder im Gasthaus der beiden Phexgeweihten ein, in welchem sie schon auf dem Hinweg genächtigt hatten, und baten das Wirtspaar, ein Auge auf Al’Tarshatti zu werfen. Für die Gruppe selbst kam es noch einige andere Dinge zu erledigen: Anaxios wollte, wie er nun erst zu verstehen gab, noch eines der Korgonder Reliefbruchstücke bergen, von dem er Kenntnis hatte, und zum anderen gab es noch diesen Hinweis auf das vorgebliche Versteck von Haffax‘ Agenten im Hafenviertel, welches sie sich ansehen wollten. Das Haus selbst, ein heruntergekommenes Gebäude, war leicht gefunden, doch auf ein Klopfen öffnete niemand. Kurzerhand brachen sie die Tür auf, was insbesondere der Traviapriesterin nicht recht behagte, und nahmen das Innere in Augenschein. Viel gab es nicht zu entdecken; dafür hingegen entdeckte sie ein schlicht gekleideter Mann, der mit gezücktem Dolch durch die Tür schlich und schließlich mit den Worten »Verdammt!« auf dem Absatz kehrt machte und ob der Überzahl das Weite suchte. Sie zögerten nicht lange und nahmen die Verfolgung auf. Der Mann hatte deutlichen Heimvorteil, doch auch Wulf weilte nicht zum ersten Mal in Perricum und konnte zumindest in etwa erahnen, wohin welche Wege führten. So versuchten sie, dem Flüchtenden den Weg abzuschneiden und konnten ihn schließlich nahe der Löwenburg stellen. Der Mann wehrte sich nach Kräften, doch schließlich unterlag er der Übermacht und steckte noch dazu einen derart schweren Treffer ein, dass er dem Tod ins Auge blickte. Also durchsuchten sie seine Taschen, fanden aber nur wenige Notizen, die sie später im Gasthaus sichten würden. Hatte bereits das Verhalten des Verfolgten deutlich erkennen lassen, dass er Dreck am Stecken hatte, so wurde dies nun durch die wenigen Dinge aus seinem Besitz bewiesen, denn offenbar stand er tatsächlich in Haffax‘ Diensten und diente als Kontaktmann für eine hochrangige Persönlichkeit aus dem Rat der Stadt. Die Frage war nur, was sich mit dieser Information anfangen ließ; innerhalb der Reichsstadt hatten sie ob deren Reichsunmittelbarkeit keine Befugnisse und konnten sich auch nicht auf die Zugehörigkeit Wulfs zur Führung des Groß-Garetischen Heerbanns berufen; und die Verhältnisse in der Stadt waren ob der Situation ohnehin seit dem Auszug der Geweihten zu aufgewühlt. Und selbst wenn: Wie konnten sie sicher sein, dass man ihnen Glauben schenkte und der Magistrat nicht eher einem Angehörigen aus den eigenen Reihen glauben würde? So beschlossen sie, die gewonnenen Erkenntnisse erst einmal für sich zu behalten und den Dingen nicht auf eigenen Faust auf den Grund zu gehen; es würde sich sicherlich finden, wie man zukünftig damit umgehen konnte.

So kehrten sie am nächsten Tag mit kurzem Aufenthalt in Dergelmund – wo sie wie zuvor vereinbart mit der Baronin von Wasserburg zusammentrafen und damit das letzte Anliegen ihrer Reise erledigten – auf die Burg Perlenblick zurück.