Geschichten:Auf Freiersfüßen - Vieroker Possen
Der nächste Morgen begann mit einem dicken, grauen Nebel, aber zur Abwechlung hatte der Herr Efferd Erbarmen mit ihnen und hielt seinen Regen zurück. Dennoch setzte sich das schwere Grau schnell in den Kleidern fest, und binnen kurzer Zeit hatte Felan das Gefühl, ein ehrlicher Regenguss sei ihm doch lieber.
Die Reise durch Nettersquell verlief ereignislos und gegen frühen Nachmittag hatten sie die Grenze des Schlundes erreicht. Während sie hinter einer Schlange von Fuhrwerken wartete, fluchte Felan ein wenig vor sich hin, dass die Kutsche des Pfalzgrafen sie so sehr aufhielt. In einem gut gefüllten Landgasthaus nahmen sie eine kleine Mahlzeit zu sich.
Felan fragte Hilbert, ob er in Vierok einen guten Platz zum Nächtigen kennen würde. "Nun", antwortete Hilbert verschmitzt, "ich denke, dass wir beim Baron unterkommen können."
"Ach, Ihr kennt Irian von Vierok?" fragte Felan überrascht.
"Nein, woher? Aber es wird Zeit, dass wir ihn einmal kennenlernen, oder was meint Ihr?"
"Noch ein Bürgerlicher der zum Adel erhoben wurde...vor echtem Adel, der es würdig gewesen wäre Baron geheißen zu werden", erwiderte Felan nur düster, "und Mitglied im Zedernkabinett, wo er sich nie blicken lässt. Ich verstehe warum ihr ihn besuchen wollt, solange ihr nicht versucht mich noch an seine Tochter zu verschachern", Felan lachte laut auf.
"Ach, so eine schlechte Partie wäre sie ja auch nicht, oder?" Hilberts Augen blitzten vor Vergnügen, "nein, aber ich glaube in diesem Punkt könnt Ihr beruhigt sein." - "Gut. Bei dem bekannten Geiz des Vaters und seiner Herkunft hätte ich auch sehr beleidigt sein müssen", lächelte Felan zurück.
Sie erreichten Vierok zum frühen Abend. Die Fachwerkhäuser der Stadt zeugten von Wohlstand und Patriziertum, im Gegensatz zum beißenden Geruch nach Unrat in den Gassen. Der Regen der vergangenen Tage hatte die Straßen in schmutzige Bäche verwandelt, in denen schimmliges Brot und welke Kohlblätter schwammen. Die Bewohner der Stadt ließen sich jedoch von ihrem fröhlichen Treiben nicht abhalten, riefen den Gästen einen herzlichen Gruß zu und luden sie ein, ein wenig in ihren Geschäften zu verweilen.
Den Gutshof des Barons fanden die Reisenden sehr schnell, und tatsächlich erschien weder Felan noch Hilbert das schlichte zweigeschossige Gebäude als würdige Residenz eines Hochadligen. Am großen Eingangstor lungerten zwei Büttel, welche die Reisegruppe skeptisch beäugte. Felans Gesicht war dementsprechend auch sein erneut aufkommender Unmut abzulesen, sich mit diesem Baron abzugeben.
"He, Du da! Melde Deinem Herren, dass der Pfalzgraf Hilbert von Hartsteen zu Sertis mit seinem Gefolge bei Seiner Hochgeboren einzukehren gedenkt!" rief Hilbert aus seiner Kutsche hinaus dem ersten der beiden Büttel zu, worauf dieser grummelnd verschwand. Der Schallenberger konnte noch eine Bemerkung zurückhalten, dass er mitnichten das Gefolge des Pfalzgrafen wäre. Das wäre kaum förderlich gewesen. Ärgern tat er sich aber dennoch, nicht angemessen angekündigt worden zu sein.
Es dauerte wenige Minuten, bis der Büttel zurückkehrte, und das große Tor für die Gruppe öffnete. Der große, weitläufige Innenhof erschien unbeschreiblich schlicht zu sein, was umso mehr verwunderte, als der Baron von Vierok eine der reichsten Baronien des Reiches verwaltete. Das Haupthaus, ein großer, klobiger Bau aus einem der vorigen Jahrhunderten, in den Farben der Baronie getüncht, hatte tatsächlich nichts von einer Baronsresidenz. Die Anwesen, an denen Felan und Hilbert während des Tages vorbei geritten waren, hatten allesamt mehr Reichtum und Macht ausgedrückt, als dieser schlichte und einfache Bau.
Während die Reiter von ihren Pferden abstiegen und Hilbert seine Kutsche verließ, kam ein kleiner, runzliger Diener des Barons, und blaffte die Reisenden unhöflich an, was sie denn hier wollten, der Baron wäre derzeit nicht zu sprechen und überhaupt würde Seine Hochgeboren keine unangemeldeten Gäste empfangen.
Da wurde es Felan zuviel. Er baute sich vor dem Männchen auf und packte ihn am Kragen. "Will er wohl die uns angemessene Höflichkeit walten lassen und uns im Namen von Travia Gastfreundschaft angedeihen lassen?! Er wird sich jetzt sofort in dieses...", Felan stockte kurz beim erneuten Anblick des Gebäudes."...Haus begeben und seiner Hochgeboren dem Baron den Pfalzgrafen Hilbert von Hartsteen zu Sertis und den Ritter Felan Rondrik von Schallenberg Junker zu Sturmwacht ankündigen. Ich bin sicher seine Hochgeboren wird erfreut sein uns empfangen zu können. Und er wird sich sputen, oder bei Rondra ich vergesse meine traviagefällige Tugenden!" Mit einer eindeutigen Handbewegung legte er seine Linke auf den Schwertknauf an seiner Seite und ließ den Diener zu Boden fallen. Dieser rappelte sich auf, eilte hastig und stolpernd zurück ins Haus.
Felan wendete sich zum Pfalzgrafen. "Ich hoffe ihr entschuldigt meinen ... rüden Ton. Aber soviel Unverschämtheit sich gefallen zu lassen habe ich nie gelernt", grimmig lächelte er Hilbert an, "und im Übrigen sollte man wohl einmal der Kaiserin melden, wie der Baron mit der von ihrem Großvater verliehenen Baronie umgeht. Es wurden schon andere wegen geringerer Verfehlung ihrer Position enthoben."
Seine Augen blitzten streitlustig, während er darauf wartete endlich angemessen ins Haus geladen zu werden. Leuward war dieser erneute Ausbruch seines Vetters sichtbar unangenehm und er machte eine entschuldigende Geste in Richtung des Pfalzgrafen. Dieser lächelte nur unergründlich.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Diener, diese Mal in Begleitung eines großgewachsenen Büttels mit Rüstung und Schwert zurückkehrte. Während er mit den Ankömmlingen sprach, versteckte er sich halb hinter dem Schrank von Kerl, den er mitgebracht hatte. Der Zwischenfall mit Felan schien den Mann nicht sehr beeindruckt zu haben, seinen herablassenden Tonfall behielt er bei, allerdings immer mit einem kurzen Seitenblick auf seinen argwöhnisch äugenden Wächter.
"Der Baron von Vierok ist gerade beim Mahle. Er hieß mich Euch in das Empfangszimmer zu geleiten, er wird dann kommen, wenn er fertig ist."
Mit diesen Worten drehte sich das Männchen um und offensichtlich war das das Zeichen für die Gäste, zu folgen. Hilbert und Felan schauten sich skeptisch an, auch Leuward schaute etwas unsicher. Einzig die Begleitung des Sertisers schien unbeeindruckt zu sein von dem Empfang durch den Baron. Es ging durch eine mäßig prächtige Eingangshalle, in der lediglich eine große, kunstvoll gearbeitete Holztreppe auffiel, die aber offensichtlich schon bessere Tage gesehen hatte - wahrscheinlich war sie bereits in den Tagen vor Irian von Vierok eingebaut worden - und deren grüner Teppich farblich nicht zum blauen, billiger wirkenden Teppich in der Halle passte, hindurch durch einen schummrigen Korridor zu einem mit allerlei Sitzmöbeln ausgestatteten Zimmer, dessen Fenster auf eine Mauer hinaus blickten. Hilbert schüttelt verwundert den Kopf, enthielt sich jedoch eines Kommentares, und ein Seitenblick von ihm bewies, dass es dem jungen Schallenberger ähnlich ging.
"Wenn die Herrschaften sich gedulden wollen, Seine Hochgeboren wird dann nachher kommen."
Es dauerte eine geschlagene Stunde, in welcher die Besucher schweigend in dem Zimmer saßen, ohne dass ein Diener eine Mahlzeit oder auch nur einen Krug Wein aufgetragen hatte, bis sich die Tür wieder öffnete und ein Mann von unglaublicher Leibesfülle eintrat.
Anstatt sich, wie es der Etikette versprach, vorzustellen, raunzte er die erstaunt schauenden Gäste an: "Und was wollen die Herrschaften? Wenn es um die Bitte um ein Darlehen geht, dann können sie sich gleich wieder davonmachen! Der Baron von Vierok hat kein Geld, dass er an irgendwelche dahergelaufene Adlige verleihen kann!"
Fassungs- und sprachlos starrte Felan den feisten Baron an, leicht zitterte seine Hand vor Zorn, bis er auf seinem Schwertarm sachte die Hand des Pfalzgrafen zu Sertis spürte.
"Oh, nein, da unterliegt Ihr, Hochgeboren, einem Missverstädnis. Seid versichert, dass wir Euch nicht als Bittsteller besucht haben. Wir waren unterwegs durch die Goldene Au nach Waldstein, und hielten es für eine vortreffliche Idee, Euch Unsere Aufwartung zu machen", sagte Hilbert mit seiner samtensten Stimme, immer wieder einen besorgten Blick auf seinen Begleiter werfend.
Der alte Baron von Vierok war nicht überzeugt. "Und WAS wollt Ihr nun bei mir? Wollt Ihr schauen, wie lange der Alte Ohneturm es noch macht, bis Ihr Schranzen Euch meine Besitztümer untereinander aufteilen wollt? Denn das wollt Ihr doch alle, raffgierig und dreist dem Adel, der Euch nicht zusagt, ein jegliches entwenden", ereiferte sich Baron Irian.
Während er sprach flogen kleine Tropfen aus seinem Mund und landeten auf Felans Hals uns Wams. Leicht angeekelt wischte der Ritter aus Hartsteen die Hochwohlgeborene Spucke weg, er fand den alten, fetten Mann einfach nur erbärmlich und wünschte sich, die Kaiser des Reiches hätten würdigere Menschen in den Adel berufen.
Hilbert sprach weiter auf den Baron ein, und langsam schaffte der Hartsteener es, dem Baron zu verstehen zu geben, dass sie morgen weiterreisen wollten und sich lediglich der Gesundheit des Barons versichern wollten, den man so selten bei offiziellen Anlässen treffen konnte. Mürrisch schaute der Vieroker die Reisenden an, und sagte ihnen zu, sie könnten gerne auf seinem Gut nächtigen. So rief er seinen Diener, den alten Buckligen, den sie bereits auf dem Hof getroffen hatten, und befahl ihm, den Herrschaften ein Zimmer zu zuweisen. Unterwürfig las der Lakai seinem Herren alle Wünsche von den Lippen ab, aber sobald der Baron sich entfernt hatte, blitzte Hass und Verachtung auf in den Augen der Kreatur.
Sie wurden in ein Nebengebäude geführt, offenbar das Wirtschaftsgebäude des Gutes, und in ein schlichtes Zimmer mit vier Betten geführt. Felan, dessen Stimmung bereits schlecht war, schaute verärgert und sagte kein Wort. Nicht einmal etwas zu essen hatte man ihnen gebracht, so konnte man Angehörige des Adels nicht behandeln! Man verabredete, dass man vor Morgengrauen abreisen wollte und begab sich zu Bett.
Es musste um die Phexstunde sein, als Felan aus seinen wirren Träumen geweckt wurde. Vor ihm stand der Pfalzgraf, derdem Ritter andeutete, ihm schweigend zu folgen. Noch vom Schlaf gefangen, aber ansonsten mit klaren Sinnen, folgte Felan dem Hartsteener über einer hölzerne Stiege hinab in das Erdgeschoss des Hauses. Als Hilbert eine Tür knarrend öffnete und einen Raum betrat, wurde Felan wach. Im silbernen Schein des Madamals lag die Küche vor ihnen!
Im Hinterteil der Küche hatte sich Hilbert in die Vorratskammer geschlichen, und nahm, leise vor sich hin fluchend, Würste, Schinken andere Leckereien an sich. "Wenn man nichts bekommt, dann muss man es sich eben selbst holen!" flüsterte Hilbert dem erstaunt blickenden Ritter zu. Sein Blick fiel auf einen Kranz aus süßem Hefeteig, und zufrieden nahm Hilbert diesen an sich.
Felan wusste nicht, was er sagen sollte, er schaute dem Pfalzgrafen überrascht beim Mundraub zu. Plötzlich merkte er eine Bewegung an seinem linken Bein, ein schwarzes Kätzchen hatte die Gelegenheit der geöffneten Küchentür genutzt und schnurrte den Hartsteener Ritter an. Ohne nachzuenken kniete sich Felan nieder und begann die Katze zu streicheln.
"Ah, eine gute Idee, Schallenberg!" Hilbert legte seine Beute auf den großen Eichentisch in der Mitte der Küche und griff nach einer schweren Kelle. Ehe Felan sich versehen konnte, ließ der Pfalzgraf das schwere Gerät auf den Hinterkopf des Tieres sausen, so dass es zur Seite kippte. Hilbert packte das tote Kätzchen am Kragen, ging zu einem großen Butterfaß und öffnete es. Mit einer fließenden Handbewegung ließ er das Fellknäuel hineinfallen und mischte es mit der Kelle noch unter. "So, Schallenberg, auf ins Bett, wir müssen morgen früh raus!"
Noch bevor die Sonne aufgegangen war, hatten die Reisenden ihre Sachen gepackt und machten sich auf den Weg. Auf die verdutzte Frage der Bediensteten, ob die Herrschaften nicht doch noch ein Frühstück zur Stärkung zu sich nehmen wollten, winkte Hilbert ab und entgegnete, man wolle dem Baron von Vierok doch nicht zur Last fallen.