Geschichten:Auf wirrenden Pfaden - Der Sohn der Harpyie

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Anchopal, 13. EFF 1042 BF

Als Helmbrecht von Steinfelde die Stufen zum Eingang der Taverne hinabstieg, musste er sich zusammenreißen, um nicht sofort das Weite zu suchen angesichts der ihm entgegenschlagenden Mischung aus Wasserpfeifendunst und dem die Sinne vernebelnden Rauch so manch anderen Krautes. Niemand schien Notiz von ihm zu nehmen, als er zwischen den auf Teppichen und Kissen um niedrige Tische lagernden Gästen der Kaschemme hindurchging. Im schummrigen Licht der Öllampen entdeckte er Yaira schließlich in einer der Nischen, die sich durch einen Vorhang vom übrigen Gastraum abtrennen ließen. In ein Gespräch vertieft fläzte sie halb auf einem Kissen und sog ab und zu am Mundstück einer Wasserpfeife. Ihr gegenüber lehnte ein Kerl an der Wand; einer von der Sorte, die Helmbrecht nur zu gut aus ähnlichen Kaschemmen Khunchoms kannte: Menschen ohne Halt, die sich ihren unmittelbaren Gelüsten des Rausches hingegeben hatten und die ihm nurmehr als Tiere in Menschengestalt erschienen.

Yaira blickte unschuldig auf als er näher trat: „Ah, Sayid Helmbrecht. Setz dich doch zu uns, hier ist noch ein Platz.“

Der Steinfelder schüttelte den Kopf: „Wie wäre es, wenn stattdessen du mitkommst? Es ist längst Mitternacht und ich habe bereits die halbe Stadt nach dir abgesucht.“

Doch sie meinte leichthin: „Jetzt hast du mich ja gefunden.“

„Nur mal kurz auf den Basar, hast du gesagt. Wie soll ich auf dich achtgeben, wie ich deiner Schwester versprochen habe, wenn ich mich nicht auf dich verlassen kann?“

„Ich habe ihr kein Versprechen gegeben“, kam die kühle Replik. Nach fast zwei Wochen der gemeinsamen Reise hatte Helmbrecht genug über Yaira gelernt, um das Thema vorerst nicht weiter zu verfolgen.

„Und wer ist das?“, fragte Helmbrecht stattdessen stirnrunzelnd mit einem abschätzigen Blick auf Yairas Gegenüber. Fettige Lockensträhnen quollen unter seinem roten gewundenen Stirnband hervor und erste graue Strähnen zierten den stoppeligen ungepflegten Bart des Mannes, der den Ritter aus glasig grauen Augen musterte. An Hals und Armen trug er an allerlei Ketten und Bändern eine Vielzahl von Amuletten. Die Knöchelchen, Kupferscheiben, Silbernägel, Haifischzähne, Rabenfedern klirrten und klapperten bei jeder Bewegung seines sehnigen aber ausgemergelt wirkenden Körpers, der in einem speckigen von einer roten Schärpe gegürtetem Kaftan steckte.

„Das ist Vasco. Ich hatte ihn auf dem Basar getroffen und...“, erklärte Yaira gelassen und der Genannte ergänzte: „Ein Sohn der Harpyie mit einer Vorliebe für allerlei gutes Kraut. Hihi. Jaa, und Yaira hat mir das ein oder andere über euch erzählt. Ich mein ja nur, mit dem Meer und den Schicksalskarten und dem Schwur und so. Kaum vorstellbar, wenn’s einem nicht selber passiert, ich meine, nicht nur im Rausch der Träume...“

„Was soll das, Yaira? Der hat doch nicht mehr alle Zwölfe beisammen!“, Helmbrecht tippte vielsagend mit dem Zeigefinger gegen seine Stirn, „Was hast du überhaupt mit dem Kerl zu schaffen?“

„Hey ich kann dich hören. Ist aber nicht schlimm, ich kann damit umgehen. Hat meine olle Tante auch immer gesagt“, warf der Südländer gönnerhaft ein, wurde aber ignoriert.

„Er kann uns ... er kann dir helfen“, insistierte die Tulamidin, „Er kennt Hilbert von Hartsteen.“

„Aus irgendeiner Rauschkrauthöhle wie dieser hier, nehme ich an“, zischte der Hartsteener abfällig. Dass sich der ehemalige Reichsrichter Hilbert von Hartsteen offenbar in solche Gesellschaft begeben haben sollte, konnte der Ritter kaum nachvollziehen.

Doch erneut mischte sich Vasco ein und geriet darüber geradezu ins Schwärmen: „Na und? Dennoch hat er daraus tiefere Einsichten erlangt. Seine Rede... oh, wenn ihr ihn hättet reden hören...solche Wahrheit in solcher Klarheit habe ich noch nie gehört. Absolut faszinierend. Jeden, der ihm gelauscht hat, zog er in seinen Bann. Aber noch öfter zog er es vor zu schweigen, und umso mehr hingen wir an seinen Lippen, lechzend nach den Tropfen seiner augenöffnenden Weisheit. Ein wahrer Sohn Hesindes.“

„Wer ist wir?“

„Alle, die wir ihn haben sprechen hören. Also ein ganzer Haufen. Einfache, normale Typen wie ich – ich weiß, ihr haltet nicht viel von mir, aber das halte ich aus, aber dann noch ganz andere. Alle hat uns der Erleuchtete Kadi mit seinen Worten inspiriert. Ein Unglück nur, dass ich ihn verlassen musste, als mich diese verdammten Schuldeneintreiber aufspürten.“

„Du wirst gesucht?“

„Jaaa...“, er gluckste grinsend, offenbar in Gedanken an ein erfolgreiches Bubenstück, „zur Zeit in Selem. Zu dumm nur, dass der erleuchtete Hilbert in der Zwischenzeit fort ist. Er hätte sicher einen Rat gewusst, wie ich das Problem endgültig loswerde.“

„Wie wäre es damit: Bezahl deine Schulden.“

Vasco wieherte laut auf: „Hahahaha. Der war gut, ihr gefallt mir. Noch hänge ich aber an meinem Leben. Doch hört zu, ich kann euch einen Vorschlag machen, den ihr nicht ablehnen werdet. Ihr sucht Herrn Hilbert – ich auch. Wie wäre es also, wenn wir unsere Fahrt gemeinsam fortsetzen? Ich mein nur, mehr Ohren hören mehr, mehr Augen sehen mehr“, dann senkte er verschwörerisch raunend die Stimme: „Selbst das Schlurfen von Schatten in der Dunkelheit. Na, was ist? Schlagt ihr ein?“

Er spuckte in die Hand und hielt sie Helmbrecht auffordernd entgegen. Doch der rührte keinen Finger: „Ich wüsste nicht, was wir davon hätten, außer zusätzlichen Ärger, den wir uns ans Bein binden.“

Wieder schlich sich ein spitzbübisches Grinsen auf das Gesicht des Südländers: „Ich kenne die geheimen Erkennungszeichen.“

Helmbrecht war überrascht: „Was für Geheimzeichen?“

„Das sag ich nicht, denn sonst wären sie ja nicht – geheim“, meinte Vasco triumphierend, während die Spucke von der Hand in den Ärmel seines Kaftans tropfte.

Zögernd nahm Helmbrecht schließlich die dargebotene Rechte und drückte dabei so kräftig zu, dass der andere schmerzhaft das Gesicht verzog: „Na schön. Aber wenn du mich zum Narren halten willst, werden deine Selemer Gläubiger dein geringstes Problem sein.“


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13. Eff 1042 BF mitten in der Nacht
Der Sohn der Harpyie
Paddeln und Schöpfen


Kapitel 5

Lusores
Autor: Steinfelde