Geschichten:Auf wirrenden Pfaden - Entkommen
Khunchom, Ende Rondra 1042 BF
»Effendi, für nur fünf Silberstücke Ihr könnt haben, was kleiner Sohn von mir hat gefunden auf Straße. Nur fünf Silber, ist gutes Preis. Wir nur einfache Händler, fahren von Khunchom nach Anchopal, nach Fasar. Der reiche Herr wird nicht bereuen und dem armen Khaled noch geben vielleicht einen Silber zusätzlich, falls er zufrieden mit Dienst.«
Helmbrecht von Steinfelde wollte den ärmlichen Mann bereits fortwinken, so wie er es in den letzten Tagen mit so vielen anderen Menschen getan hatte, die ihn aufgesucht hatten, weil sie irgendeine unwesentliche Information oder sonstige Belanglosigkeit zu Geld machen wollte. Und offenbar hatte sich bereits in ganz Khunchom herumgesprochen, dass er auf der Suche nach dem „seltsamen Mittelreicher“ war, wie Hilbert von Hartsteen von den Bettlern und Tagelöhnern der quirligen Stadt genannt wurde.
Seine Nachforschungen hatten nur sehr wenig ergeben. Irgendwann im Spätsommer oder Herbst des vorangegangenen Götterlaufes war der ins Exil verbannte Reichsrichter aus Khunchom verschwunden. Offenkundig hatte er keine Kontakte zur lokalen Führungsschicht der Stadt aufgenommen – nicht wenige Handgelder an reiche Kaufmänner oder deren Diener hatte er für die Nichtinformation ausgegeben – und hatte lange Zeit im Hafenviertel in schummrigen Spelunken sich dem Suff hingegeben, wirres Zeug von sich gegeben und mehrfachgehörnte Meeresungeheuer mit den bloßen Händen besiegt. Jedenfalls wenn man den Geschichten der Leute Glauben schenken wollte. Was Helmbrecht nicht tat.
Er schaute sich die kümmerliche Gestalt mit dem gebeugten Rücken an, die vor ihm buckelte und mit treuherzigen und gutmütigen Blick auf seine Antwort wartete. Hinter ihm versteckte sich ein vielleicht dreijähriger Junge, der sich ängstlich am Hosenbein seines Vater festhielt. Das dreckige Gesicht drückte einfach nur große Angst aus – und Helmbrecht konnte es dem Kleinen irgendwie auch nicht verdenken.
Mit einem tiefen Seufzer, und es bereits bereuend, griff er in seine bereits stark geleerte Geldkatze und fingerte ein paar Münzen hervor. »Guter Mann, zeig mir erstmal, um was es überhaupt geht. Für einen weggeworfenen Dattelkern, mit dem der Herr Hartsteen einen Sanddämonen aus der Khom bespuckt und so vernichtet haben soll, wirst du von mir kein Silber sondern höchstens einen Satz Schläge vor den Augen deines Kindes bekommen.«
»Oh nein, nein! Effendi, guter Herr, bei den Zwölfen geschworen ich will keinen Betrug machen. Los, Feyzal, zeig dem reichen Mann«, und eindringlich redete er auf tulamidisch auf seinen kleinen Sohn ein, dem vor Angst die wilden schwarzen Locken um den Kopf zitterten. Schließlich aber löste sich der Knabe und mit einem wilden Funken Mut in seinen braunen Augen zog er ein abgerissenes Stück stark zerknitterten und befleckten Papiers hervor, auf dem Helmbrecht ein paar gekritzelte Zeilen erkennen konnte.
»Ist ein Schriftstück von Hilbart vom Hartstum, Mann wo Ihr sucht«, versuchte der Mann nochmals für sein Anliegen zu werben. Doch Helmbrecht beachtete ihn gar nicht sondern konzentrierte sich völlig auf das Blättchen, das der Junge ihm reichte. Nebenbei warf er dem Jungen die Münzen in die Hand und entzifferte mühsam die krakelige Schrift, die schlechten Augen zusammenkneifend und dicht an der Nasenspitze. »Feyzal hat gefunden auf der Straße nach Anchopal nicht weit Birchaluk.«
Ich verfasse diesen Brief in Eile und auf einem [unleserlich, vermutlich: Ochsenkarren]. Sie sind hinter mir her. Aber ich bin ihnen entkommen. Es war ganz knapp, ich habe schon ihren faulen Atem im Nacken gespürt. Aber sie werden mich nicht fassen können, Paligan, Höll… [unleserliche Zeilen] habe Schutz. Sei aber auch Du auf der Hut, denn eine Stimme sagt mir, dass sie auch hinter dir her sind. Ich versuche sie abzuschütteln, und dann werde ich mich bei dir melden und dir genauer berichten, welche Ungeheuerlichkeiten, welche erschütternde Wahrheiten über die Welt, in der wir leben, ich in Khunchom erfahren habe. So vieles, das ich nicht verstehe. Aber eine Stimme sagt mir, dass ich Hilfe beim Einhorn finden werde.
[Abriss]
»Richtung Anchopal, sagtest du?« Helmbrecht von Steinfelde schaute den Mann eindringlich an. »Diese Information behalte für dich und erzähle es niemanden. Du bekommst von mir noch weitere fünf Silber, meide Khunchom besser in den nächsten Monden. Sollte es stimmen, und jemand ist hinter Hilbert von Hartsteen hinterher, wird er dich nicht so gut entlohnen, wie ich es tue.«
Erregt schaute er dem sich vor Dank tief buckelnden Mann hinterher. Der Vetter des Hartsteener Grafen schien knapp einer tatsächlichen Gefahr entkommen zu sein und war auf dem Weg, ja wohin war er eigentlich auf dem Weg? Wollte er etwas zurück nach Garetien? Oder war er auf der Suche nach etwas ganz anderem? Wen oder was meinte er mit Einhorn und wo vermeinte er es finden zu können?
Diese Fragen schwirrten in seinem Kopf herum, während er seine Sachen zusammen suchte, um sich auf die Reise in eine ungewisse Zukunft zu machen.
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