Geschichten:Aus dem Schatten getreten
Ihre Augen mussten nicht lange suchen bis sie ihn und sein rabenschwarz gelocktes Haar ausgemacht hatte. Er saß am selben Tisch wie immer, nah an der Tür und mit dem Blick in den Raum. Er war in ein einfaches helles Hemd und einer dunklen blauen Hose gekleidet. Sein Auftreten hatte kaum etwas besonderes oder gar etwas, was ihn von den anderen abhob. Und dennoch konnte sie die Augen nicht von ihm lassen.
Sie muss einen Moment zu lange gestarrt haben, denn sein spitzes Gesicht hatte sich ihr zugewandt und er blickte ihr, über seine Karten hinweg, direkt in die Augen. Gekonnt lächelte und zwinkerte sie ihm zu.
Seit Mittag saß er hier und spielte. Es bereitete ihm immer wieder aufs neue Freude hier zu sitzen und zu spielen. Doch heute war ein besonderer Tag. Er musste es auskosten, denn wer weiß, wie lange er keine würdigen Mitspieler finden würde. Und so nahm er die Karten entgegen; Phex und Ritter des Humus. Welch Ironie, dachte er und hinderte sich gekonnt am Grinsen während er an den Brief von vor einigen Wochen zurückdachte. Er war gesiegelt gewesen, von der Kaisermark und morgen wird der Tag sein, an dem sich einiges ändern wird. Und die Zeit ist seit dem eintreffen des Briefes schnell verfolgen. Er hatte so viel zu tun gehabt: Er war bei so vielen Menschen und bei so vielen Treffen, Bällen und Festivitäten gewesen, wie nur möglich. Und nun konnte er guten Gewissens den letzten Tag in Gareth im „rollenden Taler“ verbringen.
Nachdem er einige Male Einsätze erhöhte, andere Male passte oder mitging und gegessen hatte, saß er nun mit einem beachtlichen Haufen von Münzen am Tisch und die Spieler wechselten sich. Jetzt saßen, ihm gut bekannte, Herren und Frauen am Tisch. Es war eine Art Stammsitzrunde, denn jede Woche um diese Zeit, zu Abend, trafen sie sich hier um zu spielen.
Die Karten waren eben ausgeteilt, die vertraute Begrüßungsrunde zu ende, als er etwas spürte. Er hob seinen Kopf langsam und warf einen Blick auf das, was ihn hatte aufblicken lassen. Es war Jadwine, sie starrte ihn an. Einen Moment betrachtete er sie. Sie war hübsch anzusehen und lächelte ihm zu. Vor einigen Jahren wäre er darauf noch eingegangen und er hätte eine weitere Nacht voller bedeutungsloser, wenn auch befriedigender, Leidenschaft gehabt. Es war nicht unbedingt sein Alter welches ihm davon abhielt. Auch wenn er sich sicher war, dass wenn er in Weiden früh vermählt worden wäre, sie seine Tochter hätte seien können. Es war ihm einfach nicht danach und das schon seit einigen Monden.
Mit einem gewinnenden Lächeln warf er einige Münzen auf den großen Haufen von Münzen, welcher sich auf der Mitte des Tisches gebildet hatte. Der Abend war fortgeschritten, sein Mahl hatte er bereits vor Stunden verzehrt, und nur noch er und Gregor besaßen Münzen und Karten. Manch einer war bereits gegangen, doch Elida und Voltan saßen noch bei ihrer Runde und sahen ihnen zu. Sie wetteten gerne um ihre letzten Münzen, welcher das Rennen um den Pott machen wrde, wenn sie bereits raus waren.
Die vierte Karte auf dem Tisch wurde aufgedeckt und Gerwin wusste, dass seine Karten ihm keinen Sieg mehr bereiten könnten. Allerdings vermochte es eine gute Finte. Und so strich er sich bewusst über seinen kurzen Kinnbart. Gregor sah ihn an. Gerwin hielt den Blick gesenkt, als wolle er sein gutes Blatt verbergen. „Du hast mehr Glück als Verstand Erwin!“, donnerte Gregor schließlich raus, lies dabei seine Karten fallen und nahm seine verbleibenden Münzen um zumindest jene zu retten. Gerwin lag ebenfalls seine Karten weg, lachte und sammelte den großen Haufen ein: „Phex sei dank mein Freund! Komm, ich lade euch alle noch auf einen Humpen Bier ein. Oder möchtest du lieber ein Glas Wein?“
Die Nacht war mild und ein kühler Luftzug ließ die wenigen Wolken schnell dahin ziehen. Und so spazierte er durch das von Mond und Sternenlicht durchflutete Gareth. Und ließ seine Gedanken abschweifen, während er sich von all den liebgewonnen Plätzen verabschiedete. Und so führte ihn sein Weg nicht nur durch die guten Viertel oder gar nur durch die „bekannten“ Straßen. Er erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem er in Gareth angekommen war...
„Die Zwölfe zum Gruße! Was ist euer Begehr? Was führt euch in die Stadt?, rief ihm einer der Stadtwachen unter dem strömenden Regen entgegen. Gerwin war kalt, er war durchnässt und auch seine Kapuze brachte ihm nichts mehr. Was wollte er eigentlich in der Stadt? Das fing er sich nun auch an zu Fragen. Er wollte nur woanders hin, weg aus Weiden, weg von Baliho. Und so hatte er sich einfach ein Pferd geschnappt und ist die Reichsstraße nach Süden geritten. Viel gutes hatte er vom Süden gehört; wie warm er sei, es gäbe keine Orks und die Menschen seien nicht so rau. Und nicht zu vergessen im Süden sollen die Menschen das Leben genießen und die Frauen sollen so schön sein. Die Stadtwachen warteten immer noch auf seine Antwort. „Wer seid ihr? Wo ist euer Vater?“ Dies kränkte Gerwin zutiefst. Ihm war bewusst gewesen, dass er nicht aussah als wäre er 16, aber immerhin saß er hier auf einem Pferd und war zudem vollkommen durchnässt: „Mein Name ist Erwin, Erwin Fuxfell“, log er. Doch war es nah an seinem eigenen. Zudem hatte er ihn bereits über die letzten Wochen verwendet und so fühlte er sich schon sehr wohl mit diesem Namen. „Eine familiäre Angelegenheit führt mich hier her. „Und nein, ich bin bereits Alt genug, sodass mein Vater mich nicht begleiten müsste. Zudem ist er bereits verstorben.“ Jetzt hör aber auf mit den Lügen. Ob Vater wirklich tot ist weißt du doch gar nicht. Nach einem kurzen Augenblick, in welchem sie ihn nochmals beäugten und Gerwin ihnen entgegen grinste, ließen sie ihn ein.
„He da!“, rief ein Junge ihm entgegen und riss ihn aus seiner Träumerei, „Dass hier ist eine Zollstraße! Geld her!“
Gerwin schaute sich um. Es waren fünf Jungs, sie konnten nicht älter als fünfzehn sein. Sie waren mit Knüppeln und Messern bewaffnet, doch diese Nacht würde er sich nicht solcher profanen Dinge bedienen. „Mach schon!“, rief der Junge ihm nun zu. Doch Gerwin erwiderte nur: „Ihr wisst nicht wer ich bin.“ Die Kinder schauten sich verwirrt an, doch dann trat der größte von ihnen, größer noch als Gerwin, vor, rotzte auf Gerwins teure Stiefel und sagte nur: „Ist mir egal, Geld her!“ Gerwin grinste ihn nur an. Dieser verdammte Dreckskerl hat es doch tatsächlich gewagt auf meine Schuhe zu rotzen. Aber er ist auch nur ein unwissendes und dummes Kind. Und so machte er lediglich eine seltsame Geste mit seiner Hand: „Bestellt eurem Meister schöne Grüße. Und nun macht, dass ihr davon kommt, bevor ich mich vergesse.“ Der große Junge schien zuerst verwirrt, dann mit dem Blick zu den anderen ließen sie die Waffen senken: „Verzeiht“, kam es Kleinlaut und schüchtern aus ihnen hervor bevor sie in der Nacht verschwunden waren.
Er hatte die Zeit vollkommen vergessen. Die ersten Strahlen der Sonne fielen bereits auf die Stadt herab, als er sich durch die Straßen und Geheimwege zu seinem Stadthaus eilte. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen erreichte er sein Haus. Vorsichtig blickte er sich noch einmal um bevor er die Tür öffnete und darin verschwand.
„Wieso müsst ihr euch denn auch immer diese schwarze Farbe in die Haare schmieren?“, jammerte eine ältere beleibte Dame mit ergrauendem Haar, während sie sich daran machte das Haar von Gerwin mit Seife auszuwaschen. „Ach Emer“, erwiderte Gerwin, während er auf sein Vinsalter Ei blickte, „Ist alles bereit für den Aufbruch? Ist Gräfin Fuxfell schon hergebracht worden? Und hast du dich doch dazu entschieden mitzukommen?“ Emer musste lachen und erst als sie sich wieder gefangen hatte antwortete sie: „Ja, es ist alles bereit. Eure Kisten sind verladen worden. Und Gräfin Fuxfell wartet bereits darauf von euch gesattelt zu werden. Jedoch werde ich hier bleiben. Für eine so alte Frau wie mich ist das Reisen nichts, noch dazu an einen solch gefährlichen Ort. Aber ich werde hier bleiben, das Haus im Schuss halten und wenn ihr einen Stadtbesuch plant, so wird hier euer Bett und etwas zu Essen auf euch warten.“ Es war klar gewesen, dass sie nicht mitkommen würde, dennoch hatte er ein wenig Hoffnung gehabt. Denn Emer tat sehr gute Arbeit und ihr Essen war wunderbar, vor allem weil sie sich mit der horasichen Küche sehr gut auskannte.
Zufrieden blickte er mit seinen hellen blauen, fast graublauen Augen in den Spiegel und konnte in seinem nun blonden Haar keine Spur der schwarzen Farbe mehr ausmachen
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Am Anfang steht der Schmerz | ▻ |