Geschichten:Aus dem Schatten zurück ins Licht - Dunkle Geheimnisse

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Kloster Neerquell, Mitte Praios 1035 BF:

Die Junker einigten sich darauf sich aufzuteilen. Eine Gruppe unter der Führung von Waldreich Firudan von Rossreut machte sich auf Bitten Irians auf um im abgelegenen Gut Mistelheim nach dem Rechten zu sehen, hatte man vor dort doch auch schon lange keine Nachricht mehr vernommen. Die Zweite unter Ugdalf von Eynweiher wollte die nähere Umgebung erkunden. Die dritte Gruppe schließlich, bestehend aus Leomar von Zweifelfels, Gumbrecht von Waldtreuffelingen, Anshelm von Weißenstein, Helmbrecht Firumir von Rossreut, Edorian von Feenwasser und Radobert von Waidbrod, verließ die schützenden Mauern der Hochnjerburg gen Nordosten, um die berichteten Vorkommnisse im Kloster der lieblichen Schwestern zu untersuchen. Nartara Rondratreu von Zweifelfels und Iserion verblieben derweilen auf der Burg um die Not der Bewohner etwas zu lindern, waren einige doch in einen schlechten gesundheitlichen Zustand.

So schwärmten die Niederadligen also aus. Besonders Radobert von Waidbrod war sein Tatendrang ins Gesicht geschrieben, hatte er doch seinen Vater seit vielen Götterläufen nicht mehr gesehen... und schlimmer noch, beim letzten Treffen waren sie im Streit auseinander gegangen. Die Junker erreichten schließlich das Kloster und waren überrascht wie schockiert zugleich in was für einen schlechten Zustand das Gebäude war. Das Portal stand weit offen und eine der großen Flügeltüren hing halb aus den Angeln, außerdem waren einige Gebäude total ausgebrannt und zum Teil eingestürzt. Über dem Tor auf den Zinnen der Mauer hingen mahnend die Köpfe von drei Frauen, fein säuberlich auf Piken aufgespießt. Wie lange sie schon dort waren war schwer bestimmbar, waren sie doch schon stark verwest. Während die anderen mit gezogenen Schwertern durch das Tor gingen, blieb Radobert stehen und musterte einen Moment lang die aufgespießten Köpfe. Auf einem Mal lief er wie von einer Maraske gestochen los.

„Mutter, nein...“, Radobert blieb stehen und sank auf die Knie. Eine der drei Köpfe musste wohl seiner Mutter Livia von Waidbrod gehört haben, wie Edorian schlussfolgerte und wie er von Gumbrecht erfuhr, handelte es sich bei den anderen um Ritterin Ulmgard von Mistelhain und Lumine von Ährenstein, der Abtissin der Klosters und Großmutter Radoberts. Edorian fühlte mit dem jungen Ritter, keiner sollte seine Mutter und Großmutter so übel zugerichtet vorfinden.

Doch viel Zeit für Trauer blieb Radobert nicht, mussten die Junker doch weiter. Meister Irian hatte ihnen etwas von einer uralten Grabkammer im Kloster erzählt, vermutlich war sie ebenfalls das Ziel des Kronvogtes. Edorian kannte die alten Geschichten davon von seiner Großmutter. Die Legenden erzählten, dass das Kloster auf den Überresten der historischen Stadt Eibingen errichtet worden war und so sollen sich in geheimen Katakomben noch einige Zeugnisse aus der frühen Siedlungszeit befinden, so auch das von Irian erwähnte Grab von Sarion dem Töpfermeister, eben jener mystischen Person, der in den Dunklen Zeiten die Siedler dereinst in dieses Tal geführt hatte und, um sie vor den Orks zu beschützen, den Eingang des Tales mit Hilfe eines Rituals versiegelte. Noch heute wurde der Heilige Sarion von den Bewohnern als Schutzpatron verehrt. Waren die alten Legenden um den Schutzmechanismus etwa wahr? Wenn ja, war es etwas jemanden gelungen das vergessen geglaubte Ritual zu rekonstruieren und durchzuführen? Aber wer hätte ein Interesse daran?

Edorian bildete hinter Anshelm von Weißenstein die Nachhut als die adligen Herrschaften in das endlos erscheinende Kellergewölbe des Klosters herabstiegen. Es musste schon uralt sein, vermutlich älter als das Kloster selbst. An einer Nische blieb der eibenhainer Junker verwundert stehen, dort waren ihm unbekannte Schriftzeichen in die Wand gemeißelt, höchst faszinierend wie er fand. Auf einmal bemerkte Edorian einen schwachen Luftzug, als sei etwas an ihm vorbeigehuscht. Blitzschnell dreht er sich um und könnte gerade noch die Silhouette einer Frau in weiten Gewändern im matten Licht seiner Fackel erkennen. Sofort rannte Edorian dieser Gestalt hinterher, die in einem Nebengang abgebogen war, um die anderen zu informieren blieb keine Zeit, er hatte nur diese eine Chance. Die Gestalt der Frau war von einem matten Glühen umgeben. Was sollte das wohl zu bedeuten, handelte es sich um eine Geistererscheinung, fragte sich Edorian während er weiter hinter der Gestalt her lief, die nun in einem schmalen Treppenaufgang verschwunden war. Eilig stolperte der Junker die Stufen hinauf bis er eine große Kammer erreichte. Wenn ihm sein Orientierungssinn nicht täuschte so befand er sich nun im Westturm der Klosteranlage. Die immer noch matt glühende Gestalt stand mit dem Rücken zu Edorian vor einer Wand an der eine Art Baum zu wachsen schien. Bei genaueren Hinsehen stockte ihm fast der Atem, der Baum war kein gewöhnlicher Baum sondern... der Kronvogt. Derrils Beine wirkten hölzern und hatten im Boden Wurzeln geschlagen, aus seinen Armen wuchsen Zweige und Äste. Der Kronvogt schien sich bei lebendigen Leibe in einen Baum zu verwandeln. „Was bei den Niederhöllen...“, rief Edorian entsetzt und blickte fragend auf die Gestalt die er hierher gefolgt war. Als sich die sich zu ihm umdrehte, war er starr vor Schreck; Edorian blickte in das bleiche Geschicht seiner toten Gemahlin Liriella.

„Aber...“, stotterte er, „du...du bist doch tot...“

„Ja Geliebter, aber ich bin zurückgekehrt um dich zu leiten!“, und mit kalter Stimmer fuhr sie fort, „Töte den Kronvogt, er hat sich am Mittwald versündigt!“

Edorian schaute die geisterhafte Gestalt seine verstorbenen Gemahlin entgeistert an, dann wanderte sein Blick auf den Boden wo eine Axt lag.

„Sehr richtig, mein Geliebter, töte den Frevler!“

Wie von unsichtbarer Hand geführt nahm Edorian die Axt und schlug damit einmal auf den hölzernen Körper des Kronvogtes. Etwas Borke löste sich und Derril schien etwas zu röcheln. Bei den Göttern, dachte Edorian, ich muss dieser verfluchten Existenz ein Ende bereiten und hob die Axt zum nächsten Schlag. In diesem Augenblick flog einen nachtschwarze Krähe durch das schmale Turmfenster und noch eh sie den Boden erreichte verwandelte sie sich in ein kleines Mädchen – es war Tarya.

„Nein Vater, sie ist nicht meine Mutter“, rief sie Edorian zu der die Axt sofort polternd fallen ließ und sich erschrocken umdrehte.

„Tarya, du hier?“, noch ehe er mehr sagen konnte verzog sich das Gesicht Lariellas zu einer breit grinsenden Fratze und mit einem schrillen Kichern löste sich die Gestalt in Luft auf.

„Gut das du da bist“, Edorian lief zu seiner Tochter und drückte sie fest an sich, „fast hätte ich den Kronvogt getötet.“

Tarya befreite sich hektisch aus seiner Umarmung und schaute ihren Vater ernst an. „Nein, du musst ihn töten!“

„Aber ich verstehe nicht... du hast mich doch gerade davon abgehalten.“ Edorian war nun vollends verwirrt.

„Ich will das du es aus den richtigen Gründen tust, nicht für die Hexen... sondern für die Allmutter – und für die Menschen hier im Tal! Derril hat das Grabmahl des Heiligen Sarion – unseres Ahnen – gefunden, dafür muss er sterben. Nur sein Tod kann die anderen Menschen im Tal retten.“

„Ich verstehe nicht ganz...“ Edorian versuchte seine Gedanken zu ordnen.

„Die Sertiser Hexen haben das Kloster infiltriert und in der Grabkammer des Heiligen Sarion ein vergessen geglaubtes Ritual zur Versiegelung des Tals durchgeführt. Durch ein weiteres Ritual wollten sie das Horn des Sarion an sich binden, doch sie scheiterten. Dann haben sie den Kronvogt ins Kloster gelockt in dem sie seine Gemahlin mit dem Tode bedroht haben. Sie zwangen ihn das Ritual durchzuführen, um so die Bewohner des Njertals in Waldschrate verwandeln und das Horn des Sarion an ihn binden zu können.“

„Aber warum das alles?“

„Der Klang des Hornes ruft alle Waldschrate in Reichweite zum Träger des Horns, der dann über sie frei bestimmen kann. Derril war ihr Werkzeug.“

„Das ist es was die Hexen wollten, eine Art Armee von Waldschraten, die ihnen durch das Horn bedingungslos gehorchen müssten.“ Nun dämmerte es dem Junker.

„Ja, der erste Teil des Rituals hat auch funktioniert, die Menschen haben sich verwandelt, aber Derril konnte nicht über sie gebieten...sie konnten nicht wissen, dass der Träger vom Blute Sarions sein muss damit das Horn funktioniert. Da Derril für die Hexen nun nutzlos war, töten sie seine Gemahlin und ihr Gefolge.“

„Ah, die aufgespießten Köpfe“, erinnerte sich Edorian, „Aber warum wollten die Hexen, dass gerade ich Derril töte?“

„Du bist vom Blute Sarions und damit rechtmäßiger Träger des Horns. Nur Träger vom Blute Sarions ist es möglich das Horn anzuwenden.“

„Ah, die Hexen wollten also, dass ich ihr Handlanger werde, da ich den Wunsch meiner verstorbenen Gemahlin sicherlich Folge geleistet hätte.“ Langsam verstand Edorian das perfide Spiel. „Aber Tarya, woher weißt du das alles?“

„Die Allmutter schickt mir seit der Neuerung des Zwölftkreises Visionen... es hat etwas gedauert, aber nun habe ich sie verstanden. Die Hexen haben die Bewohner des Njertals verflucht und nur der Tod Derrils kann die Verwandlung in Waldschrate rückgängig machen... er muss sterben!“

Edorian schaute seine Tochter mit großen Augen an. Sie hatte sich sehr verändert seit er sie in die Obhut des Hüters des Hains der schlafenden Allmutter vom Walde gegeben hatte. „Nun gut, wir haben unsere Bestimmung zu erfüllen, so soll es also sein.“

Fest entschlossen schritt er wieder in Richtung des verwachsenen Körpers des Kronvogtes und blieb vor ihm stehen. Es war ihm als schaue Derril ihn mit leeren Augen an. Beherzt holte Edorian aus und schlug mit all seiner Kraft gegen den hölzernen Körper, wieder und wieder bis die blutgetränkte Borke nur so splitterte.

„Ha, wusste ich es doch, die Feenwasser sind alles Frevler!“ Edorian drehte sich verwundert um und blickte in die breit grinsende Visage von Anshelm von Weißenstein, der Tarya mit seinem Schwert im Schwitzkasten hielt. „Unser feiner Junker mordet kaltblütig den Kronvogt von Neerbusch, das ist das Ende eurer minderwertigen Existenz, Feenwasser!“

„Das werden wir noch sehen du elender Diener des Sonnengötzen!“ Tarya zückte ihren Dolch aus Vulkanglas und rammte ihn tief in den Oberschenkel des Weißensteiners, so dass er vor Schmerzen laut aufschrie und seinen Griff lockerte, was Tarya die Gelegenheit gab sich zu befreien. Blitzschnell nutzte Edorian diesen Moment und schleuderte die Axt in Richtung des Weißensteiners. Sie verfehlte ihr Ziel nicht, tief bohrte sich die Klinge in den Brustkorb und nach kurzem Röcheln hatte Anshelm sein Leben ausgehaucht. Edorian wendete sich nun wieder Derril zu, der ihn diesmal mit festen Blick anstarrte; Vergebung lag in seinen Augen. Ein finaler Schlag reichte und er war tot. Die aus seinem Körper sprießenden Äste und Blätter begannen bereits zu verwelken. Nun entdeckte Edorian auch das Horn des Sarion in der Baumkrone des Kronvogtes. Beherzt nahm er es an sich und verstaute es in seiner ledernen Tasche.

„Wie in der Prophezeiung“; rief Tarya aufgeregt, „ich habe gesehen das du zwei Menschenleben opfern würdest...“

„Hm, wir müssen das so aussehen lassen, als ob der Weißensteiner den Kronvogt getötet hätte und ich ihn dabei überrascht habe; nur leider zu spät kam... ich sage einfach er wäre verhext gewesen oder so.“ Edorian lief ein wenig hilflos zwischen den beiden Toten hin und her.

„Darf ich dabei behilflich sein?“ Im Türrahmen stand urplötzlich Leomar von Zweifelfels.

„Nicht noch einer“, knurrte Edorian ungehalten, „Wie lange seit ihr schon hier?“

„Lange genug! Feenwasser, Feenwasser, Feenwasser, in euch stecken so viele verborgene Talente... Mörder des Kronvogtes, Vater eines Druidenbalges... ich habe euch wahrlich unterschätzt.“

„Was wollt ihr tun?“, entgegnete Edorian grimmig, „Ihr habt keine weiteren Zeugen, es steht euer Wort gegen meines.“

„Aber aber Feenwasser, glaubt ihr ernsthaft irgendjemand würde EUCH Glauben schenken, bei eurem kurzen Stammbaum und eurer Vorliebe für den verfluchten Wald? Meine Familie lässt sich bis zur Zeit Rauls des Großen zurückführen.“ Leomar grinste breit.

„Aber aber Zweifelfels“, ätzte Edorian seinen Gegenüber an, „glaubt ihr ernsthaft das EUCH jemand Glauben schenken würde, einen Mann von eurer Vergangenheit? Ihr habt die Erzschurkin Simiona in Ämter und Würden gebracht, schon vergessen? Da helfen euch eure Ahnen auch nicht mehr.“

„Sie hat mich erpresst“, zischte Leomar verärgert. „Nun gut, wie ich sehe hätten wir beide etwas davon, wenn wir bei eurer Version der Geschichte blieben...der Weißensteiner war schließlich ein Parteigänger der Streitzigs.“

Edorian schaute den Zweifelfelser misstrauisch an. „Warum tut ihr das?“

„Das Brandlöschen hat mir gezeigt dass wir ähnliche Ansichten bezüglich des Grafenhofes und der Streitzigs teilen. Ich denke ich werde einen Mann mit euren Talenten sicher einmal gebrauchen können...man weiß ja nie... und mein Schweigen garantiert mir eure Loyalität, Feenwasser.“