Geschichten:Aus dem Schatten zurück ins Licht - Schein und Sein
Königlich Neerbusch, Junkertum Eibenahain, Ende Praios 1035 BF
Edorian saß an seinem Schreibtisch und sinnierte über die vergangenen Ereignisse nach. Im Hintergrund stand Yann Bellentor vor einem Bücherregal und blätterte in einem der dicken Wälzer.
Leomar von Zweifelfels hatte tatsächlich Wort gehalten und Edorians Version von den Umständen des Todes vom Kronvogt bekräftigt. Es schmerzte Edorian Radobert die schlechte Nachricht zu überbringen, musste der junge Ritter doch auf einen Schlag mit dem Ableben seines Vaters, seiner Mutter und seiner Großmutter fertig werden. Mit der Fasade eines Diplomaten, wie es Edorian in heiklen Situationen zu tun pflegte, stand der eibenhainer Junker vor Radobert, wohl wissend das er für den Tod von Radoberts Vater verantwortlich war. Aber Edorian hatte keine Wahl gehabt.
Mit dem Tod von Derril von Waidbrod schien auch der Reichsforst wieder zurückzuweichen und den Weg aus dem Tal wieder langsam frei zu geben. Augenscheinlich verlor diese Art Schutzkreis der das Njertal umgab automatisch seine Wirkung sobald es keine Bedrohung für das Tal mehr gab. Die Abschwächung des Zaubers musste schon vor dem Eintreffen der Junker in dem Tal begonnen haben, denn sonst, so glaubte Edorian, hätte er die Gruppe niemals ins Njertal führen können. Eines jedoch fand er eigenartig, warum hatten die Sertiser Hexen das Kloster bereits verlassen als die waldsteiner Junker dort ankamen? Hatte sie irgendwas oder irgendjemand vertrieben? Denn offensichtlich waren sie unverrichteter Dinge abgezogen, denn das Horn des Sarion war noch nicht in ihrer Gewalt und darum ging es ihnen doch augenscheinlich. War es irgendwas aus der Grabkammer? Womöglich war es sogar das Eingreifen des Heiligen Sarion selbst?
Der eibenhainer Junker betrachtete das vor ihm liegende Horn, es musste schon unvorstellbar alt sein, doch was sollte er nun damit machen? Er konnte ja nicht einfach mit einer Horde Waldschrate durch die Lande ziehen – man würde ihn schlichtweg als Ketzer verbrennen, dafür würden die Weißensteiner schon sorgen. Nein, aber vielleicht war es möglich das Horn politisch zu nutzen... wenn er irgendwo einen schriftlichen Beweis finden würde, der das Horn mit der untergegangen Familie Eibenhain in Verbindung brächte, könnte er beweisen das er aus der Blutline des Heiligen Sarion stammt und mit einem Schlag wäre er den Makel eines Neuadligen los. Das würde sein Ansehen hier in Waldstein erheblich steigern. Edorian beschloss in den Archiven von Hirschfurt und Silz Nachforschungen anzustellen.
Ein Klopfen an der Tür riss Edorian aus seinen Gedanken. Sein Knappe Linnert trat ein.
„Der Gast aus der Reichsstadt Hirschfurt ist eingetroffen, Herr.“
„Ah wundervoll, hab Dank Linnert, führe ihn bitte rein!“
Der junge Mann trat ein und nahm auf dem ihm zugewiesenen Sessel Platz.
„Meister Sandwyk, schön Euch zu sehen... Ihr wisst warum ich Euch hier her bestellt habe?“
„Ähm ja, Ihr wollt dass ich die Ereignisse um den Tod des Kronvogtes auf Papier bringe.“ Der junge Schreiberling räusperte sich verlegen.
„Sehr richtig, ich habe Euren Artikel über Madas Wirken in Waldstein gelesen und ich muss sagen, er hat mir gut gefallen und da dachte ich es wäre nicht verkehrt Eure Dienste Eures guten Namens wegen in Anspruch zu nehmen.“
„Ihr Ehrt mich, Wohlgeboren.“ Der Schreiberling war sichtlich geschmeichelt.
„Ehre wem Ehre gebührt, Meister Sandwyk.“ Edorian schob dem jungen Mann ein Pergament zu, was dieser kurz überflog.
„Aber... das ist bereits ein Bericht über die Ereignisse.“
„Sehr richtig, von mir persönlich verfasst“, Edorian grinste seinen Gegenüber breit an, „Als ich meinte, Ihr sollt etwas für mich schreiben, meinte ich eigentlich UNTERschreiben! Setzt einfach Euren Namen drunter, ist doch ganz einfach.“
„Das kann ich nicht... ich kann doch nicht einen Bericht als den meinen ausgeben den ich nicht geschrieben habe“, empörte sich der Schreiberling.
„Ihr habe wohl nicht verstanden worum es hier geht, dieser Bericht wird an sämtliche Adelshöfe Waldsteins und seiner Nachbarn geschickt werden, auch wird er von Ausrufern an jedem Marktplatz verkündet werden... und Ihr werdet als Autor genannt werden.“ Edorian warf dem Schreiberling einen Beutel voll klingender Münzen zu. „Versteht mich nicht falsch, ich möchte auch weiterhin dass Ihr EURE Sicht der Dinge zu Papier bringt, aber hin und wieder möchte ich, dass Ihr MEINE Sicht der Dinge in die Welt tragt.“
„Warum veröffentlicht Ihr den Bericht nicht in Eurem Namen?“, fragte der Schreiberling kleinlaut.
„Wisst Ihr, aus meiner Feder würden die Ereignisse weniger...objektiv erscheinen. Zumal es sich für einen Mann meines Standes nicht geziemt über Maßen mit dem Federkiel zu hantieren, leider. Seid Ihr also einverstanden?“ Meister Sandwyk nickte.
Nachdem der Gast abgetreten war, wendete sich Yann zu dem eibenhainer Junker.
„Du tust wahrlich alles um diesen Bericht hesindegefällig an den Mann zu bringen.“
„Es geht darum den Ruhm und die Ehre der waldsteiner Junker zu mehren, da ist mir jedes Mittel recht. Mein Onkel hat mir zu meiner Vermählung eine Druckerpresse als Präsent dagebracht und ich beabsichtige sie für diese Zwecke zu nutzen.“ Edorian lächelte seinen Gegenüber jovial an.
„Bist du sicher dein Onkel heißt das gut? Auch Hesinde liebt die Wahrheit, nicht nur Praios.“
„Im Gegensatz zu Praios kennt Hesinde viele Wahrheiten und in diesem Bericht steht die meine.“