Geschichten:Ausgeschwärmt – Rahja und ein Pferd mehr

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Rosskuppel, Anfang Hesinde 1042

Aufgereiht standen die Pferde da. Große und kleine, helle und dunkle, gescheckte und einfarbige, gepflegte und vernachlässigte, alte und junge, kranke und gesunde, schöne und hässliche. Dazwischen geschäftiges Treiben. Menschen, die sich überall hindurch- und vorbeizwängten. Händler, die durcheinander brüllten und versuchten ihre Tiere als die schönsten und besten und klügsten und kräftigsten und...

„Die Zwölfe mit Euch, Hohe Damen“, stürmte auch schon einer der Händler auf sie zu, „Wie kann ich euch behilflich sein?“

„Wir suchen ein Pferd“, erwiderte Ailsa leicht spöttisch.

„Da seid ihr bei mir, Hohe Dame, genau richtig. Bei mir gibt es nicht nur die schönsten, sondern auch die besten...“

„Ach, du alter Lügner!“, brüllte der Händler von nebenan, „Du hast nur alte, abgehalfterte Mähren und verlangst dann noch einen geradezu unverschämten Preis. Ich aber, ich hab die besten Pferde ganz Gareths und das zu einem unschlagbaren Preis!“

„Und bei mir, bei mir gibt es die besten Pferde des ganzen Mittelreiches!“, überbot der erste den zweiten Händler, „Nur das beste vom Besten und das hat eben seinen Preis. Schließlich verkaufe ich keine Ackergäule...“

„Und wie würdest du die Mähren da drüben nennen? Die taugen doch höchstens noch für den Abdecker...“

„Für den Abdecker? Hast du dir deine Pferde mal angeschaut? Die riechen doch jetzt schon als wären sie to...“

Da fiel der Blick des ersten Händler auf die Geweihte: „... oh, Euer Gnaden...“

„Wir brauchen ein Pferd für sie“, erhob nun Scanlail ihre Stimme und deutete auf Lorine, weil die aber hinter Nurinai auf Mors saß, sagte der erste Händler: „Ah, ein Pferd für Euer Gnaden, ich verstehe...“

Da verdrehte die Skaldin die Augen: „Nein, kein Pferd für Ihro Gnaden. Für das Mädchen, wir brauchen eines für das Mädchen.“ Die Händler guckten einen Augenblick etwas verdutzt drein, bis sie schlussendlich Lorine ausmachten. „Ihr Pony wurde von einer Chimäre in der Brache gefressen.“ Da verzog die kleine Pagin ihr Gesicht und ließ ein paar Tränchen über die Wangen kullern, die sie dann aber peinlich berührt wieder wegwischte. „Und weil sie ohne ihr Pferd ihr Noviziat bei der Boron-Kirche nicht fortsetzten kann...“

Nurinai wollte gerade widersprechen, da fügte die Skaldin eilig hinzu: „Ihro Gnaden hat im Übrigen ein Schweigegelübde abgelegt. Sie soll früher nämlich richtig geschwätzig gewesen sein...“ Da warf die Geweihte ihrer Schwester einen äußerst bösen Blick zu. Scanlail konterte diesen mit einem kecken Lächeln. „... und eine geschwätzige Boron-Geweihte, das gehört sich nun wirklich nicht!“

„Wir brauchen ein Jungpferd“, mischte sich Ailsa ein, „Noch nicht zugeritten. Eine Nordmähne, ein Svellttaler Kaltblut, ein Tobimora-Falbe, ein Tralloper- oder ein Norburger-Riese.“

Und während die Ritterin und ihre Pagin sich unter den Pferden umschaute, feilschte Scanlail mit den Händlern um einen angemessenen Preis, obgleich noch gar nicht sicher war, ob sie denn überhaupt ein Pferd kaufen würden.

„... DUKATEN? SEID IHR DES WAHNSINNS? SO VIEL FÜR EIN EINZIGES PFERD, DAS MAN NOCH NICHT EINMAL REITEN...“

„Such dir eines aus“, raunte die Ritterin ihrer kleinen Pagin zu und schob diese durch die Pferde.

Da guckte das Mädchen sie etwas verunsichert an: „Ich darf mir... mir eins aussuchen?“

„Klar“, erwiderte die Ritterin schulterzuckend, „Ich hab mir Beithir auch ausgesucht oder... er hat sich vielmehr mich ausgesucht.“

„... DIE MAG GELD HABEN. DIE HABEN JA AUCH EINE GOLDENE KUPPEL, ABER HABT IHR SCHON MAL VOM REICHTUM DER BORON-KIRCHE...“

„Die thorwalsche Rose nimmt das wirklich sehr ernst...“, stellte Ailsa fest, „So langsam glaube ich ja selbst, dass du ein Noviziat bei der Boron-Kirche antrittst...“

Da winkte das Mädchen ab: „Ich bin doch noch nicht mal zwölf!“

„Aber das wissen die doch nicht!“, erwiderte die Ritterin langsam nickend, „Und glaub mir, wenn Scanlail auf einen einredet, dann glaubt man am Ende alles und sei es auch, dass sie die rechte Hand der Kaiserin ist!“

„Was ist mit dem Braunen da?“, fragte die Pagin zögernd.

„... SOLLTET FROH SEIN, WENN WIR EUCH EINEN EURER GÄULE ABNEHMEN, DER FRISST EUCH IM NÄCHSTEN WINTER SCHON MAL NICHT DIE HAARE...“

„Und der Schwarze da drüben?“, deutet das Mädchen auf ein anderes Pferd.

„Du meinst den noch schwarzen Schimmel?“

„... UND NICHT ZUGERITTEN IST SO EIN GAUL IM NÄCHSTEN FRÜHLING GEWISS AUCH NICHT MEHR WERT ALS JETZT. UND JETZT DA...“

„Und der braune Schecke da drüben?“, fragte das Mädchen, „Der sieht nett aus...“

„... IHR SOLLTET ALSO FROH SEIN, EINES EURER TIERE LOS ZU WERDEN...“

Und weil Scanlail die beiden Händler nicht nur gegeneinander ausgespielt, sondern sie auch in Grund und Boden gefeilscht hatte, nahmen sie nicht nur eines, sondern gleich zwei Pferde mit: Die braun gescheckte Nordmähne Umbra und den noch kaum ausgeschimmelten Tralloper Sípéir. Und Lorine dachte nur: ‚Schöne Göttin, was hast Du uns mit Deinen Pferden nur für schöne Geschöpfe zum Geschenk gemacht. So schöne und liebreizende Geschöpfe.‘

„Es war uns eine Ehre mit euch Geschäfte zu machen“, bedankte sich die Skaldin mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen, „Ihr habt ein gutes Werk getan. Die Götter werden es euch danken.“

Zerknirscht guckten die beiden Händler drein. Eingeschlagen auf den geradezu unverschämt niedrigen Preis für die Tiere hatten sie bereits, doch jetzt wurde ihnen wohl erst bewusst, was sie da soeben getan hatten...

„Nun, Ihro Gnaden“, wandte sich Scanlail an die Geweihte, die ihre Geldkatze zückte und den Händlern die vereinbarten Münzen in die Hand abzählte und als sie versuchte einige Münze zusätzlich dazu zu schummeln, rief die Skaldin: „Halt! Das reicht.“ Und erklärend fügte sie zu den beiden Händlern hinzu: „Rechnen kann Ihro Gnaden auch nicht sonderlich.“ Die Skaldin verdreht die Augen. „Aber...“ , nun nickte sie energisch, „... im Tote verscharren ist sie hervorragend...“


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Texte der Hauptreihe:
K1. Praios
K2. Firun
K3. Rondra
K4. Boron
K5. Efferd
K9. Travia
K10. Hesinde
K11. Tsa
K12. Phex
K14. Etilia
Autor: Orknase