Geschichten:Ausgeschwärmt – Tsa
Dämonenbrache, Golgari-Schrein, 30. Boron, am Mittag
„Wie lange liegt sie schon so da?“, fragte Nurinai die kleine Pagin und versuchte ihre Sorge so gut es ging zu verbergen.
„Seit Ihr weg seid“, erwiderte das Mädchen, „Seit dem liegt sie so da.“
Ailsa lag auf auf einer Decke auf dem Boden im Inneren des Boron-Schreines. Über sie war eine weitere Decke und ihre dicke, schwarze Cappa gebreitet. Einzig ihr Gesicht war zu sehen. Ein blasses, aschfahles Gesicht, bewegungslos und starr. So kannte man sie nicht.
„Hm“, machte die Geweihte da, nachdem sie ihre Schwester noch einmal genau angeschaut hatte. Scanlail blickte sie fragend an.
„Und sie ist nicht aufgewacht oder dergleichen?“, fuhr Nurinai fort.
„Nein“, Lorine schüttelte ihren Kopf. Tränen glitzerten in ihren Augen. „Aufgewacht ist sie nicht. Sie war ganz fiebrig, hat im Schlaf gesprochen, aber ganz wirr und undeutlich, dass ich es gar nicht verstanden habe. Ich hab ihr ein paar Tage Wickel mit Donf gemacht, damit ist ihr Fieber weggegangen.“
„Hm“, machte die Geweihte da erneut.
„Sie kommt doch wieder, ihro Gnaden Nurinai? Tut sie doch, oder?“, mit ihren großen blauen Augen schauten sie die Geweihte an.
„Was soll das denn heißen?“, echauffierte sich die Skaldin, „Was, bei allen Zwölfen, meinst Du mit ‚sie kommt doch wieder‘?“
„Ich habe gehört... also...“, druckste das Mädchen nun herum, „... dass nicht alle zurück... kehren. Manchen... ja manchen schickt der Herr Boron eine Vision und sie ist so... so stark und... und führt sie so weite weg, dass... dass sie nie wieder... nie wieder... zurück finden... ins Leben.“
Da schluckte Scanlail schwer. „Das denkst Du Dir doch geraden nur aus“, schimpfte sie da, „Nurinai, sag mir, dass sie sich das nur ausdenkt!“
Die Geweihte schenkte ihrer Schwester einen langen, vielsagenden Blick, ehe sie erwiderte: „So etwas hat es schon gegeben.“
Die Skaldin machte ihren Mund auf, wollte etwas erwidern, irgendetwas, aber sie wusste einfach nicht was, so sehr sie sich auch mühte, ihr fiel einfach nichts ein, weswegen sie ihn einfach wieder zuklappte und ihre Schwester auffordern anblickte.
„Aber...“, hob diese nun an, „... das kommt so selten vor. Wirklich ausgesprochen selten. Und... und abgesehen davon hat Ailsa… deine Pagenmutter... also die hat ja...“
„... die hat noch so vielen in ihre hübschen Ärsche zu treten – diesem merkwürdigen Abt vom Hesinde-Kloster oder dem Síofra oder dem Marktvogt höchstpersönlich, wobei zugegeben nicht alle von denen einen hübschen Arsch haben, aber zum Reintreten reicht auch ein hässlicher – Du siehst also, die kommt auf jeden Fall zurück! Ganz sicher sogar. Du glaubst doch nicht wirklich, dass sie sich das entgehen lässt, oder?“, griff Scanlail die Worte ihrer Schwester auf und untermalte diese gegenüber der Pagin mit einem energischen Nicken.
Nurinai lachte: „Besser hätte ich es auch nicht formulieren können, thorwalsche Rose.“
Lorine überzeugte das allerdings nicht so wirklich: „Und warum ist sie dann bisher noch nicht zurück gekommen?“
„Weil... weil...“, suchte Scanlail nach Worten, „Weil es manchmal eben dauert. Manchmal ist das eben so.“
Zweifelnd blickte das Mädchen die Geweihte an und Nurinai nickte lächelnd: „Sie hat recht. Manchmal dauert es eben ein wenig. So eine Vision ist kräftezehrend und manche brauchen länger um sich davon zu erholen als andere. Ailsa mag eine Ritterin sein, sie kann ihre Orknase und auch das Schwert hervorragend führen, auch mit Saufeder und Lanze vermag sie umzugehen, aber das Geschenk, dass mein Herr ihr nun gemacht hat, das ist etwas vollkommen Neues für sie. Gib ihr etwas Zeit, Lorinchen. Sie wird keine von uns verlassen. Keine.“
Da rang sich die Pagin ein Lächeln ab und versuchte aufmunternd drein zu blicken: „Ich habe immer zum Herrn Boron gebetet. Und auch zur heiligen Etilia.“ Sie nickte energisch. „Können wir jetzt auch beten? Zusammen?“
Die Geweihte nickte: „Klar.“
Sie setzten sich um die noch immer bewusstlose Reichsritterin, hielten sich an den Händen und die Geweihte wandte sich an die Götter oder viel mehr an eine ganz besondere Göttin: „Ewig Junge, Du, mit der alles beginnt, Du, die uns ins Leben führt, führe auch unsere Schwester wieder ins Leben zurück.“