Geschichten:Ausritt im Morgengrauen

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'29. PER 1043 BF Irgendwo zwischen Karseitz und Gramfelden

Der erste Lichtschein des Morgens schlich sich leise über das Land, als Korwin vor dem Stall stand. Die Pferde schnaubten in der kühlen Luft, während die Schatten der Nacht langsam wichen. Heute sollte ein Ausritt beginnen – ein Treffen, das mehr durch Blicke und stille Gedanken als durch Worte geführt werden würde.

In der kühlen Dämmerung begegneten sich Korwin und Ugdane. Es war das erste Mal, dass sie sich nach jener Nacht wieder sahen. Beide wirkten zurückhaltend, die Erinnerung in ihren Augen und Gedanken verankert, ohne dass ein Wort den Raum füllte.

Ugdane, mit ihrer gutmütigen und zugleich grobschlächtigen Art, schwang sich auf ihr Pferd. Ihr Lächeln, sanft und fast scheu, schien zu verraten, dass sie die Stille genauso schätzte wie den neuen Tag. Ihre Augen blickten kurz zu Korwin, suchten etwas, das sie nicht in Worten ausdrücken konnte, und kehrten dann wieder zu den vertrauten Rundungen des Morgens zurück.

Korwin setzte sich auf sein Pferd und ließ seinen Blick immer wieder in Richtung Ugdane schweifen. Hinter der rauen Fassade verbarg sich ein Mann, der oft allein durch die kalten Hallen seines Lehens wandelte. In seinem Innern regte sich die leise Frage: Wie wäre es, diese Einsamkeit zu durchbrechen, die stummen Gemäuer mit Leben und Wärme zu füllen? Der Gedanke ließ ihn innehalten – ein stiller Traum, der in den Blicken mit Ugdane mitschwang.

Der Ausritt begann in einer fast ehrfürchtigen Stille. Die Pferde trugen sie über schmale Waldpfade, vorbei an Feldern, die im ersten Licht des Tages glitzerten, als ob jedes Blatt und jeder Grashalm ein geheimes Versprechen barg. Kein Wort wurde gewechselt – die Sprache der Blicke und der flüchtigen Gesten übernahm das Ruder. In diesem Schweigen lag die Last unausgesprochener Gedanken, ein Austausch, der mehr sagte als Worte es je könnten.

Während sie durch die unberührte Landschaft ritten, verlor sich Korwin in seinen eigenen Überlegungen. Die leeren Räume der Gramwacht, die immer nur das Echo seiner Schritte kannten, könnten von einem sanften Lachen und dem leisen Austausch geteilter Blicke erfüllt werden. Er malte sich aus, wie die kalten Mauern von einer Wärme durchdrungen würden, die nicht von den stürmischen Winden der Einsamkeit und dem Schrecken der Brache verweht wurde – eine Wärme, die in der stillen Gegenwart eines Menschen lag, der seine Gedanken verstand, ohne dass sie ausgesprochen werden mussten.

Auch Ugdane war in Gedanken versunken. Ihre Blicke schweiften oft zu Korwin, als suchte sie in seinem stummen Blick Antworten auf Fragen, die sie selbst nicht laut aussprach. In ihrem Innern regte sich die Hoffnung, dass der neue Tag mehr bringen könnte als nur die Erinnerung an vergangene Nächte. Es war ein stilles Erwarten, das sich in den flüchtigen Blicken widerspiegelte, ein leiser Dialog, den nur die Augen führten.

Die Stunden vergingen in einem Rhythmus, der durch das sanfte Wiehern der Pferde und das Rascheln der Blätter vorgegeben wurde. Schließlich führte der Weg sie zu einer abgelegenen Lichtung, umgeben von hohen Bäumen und wild wuchernden Blumen, die in der Morgensonne funkelten. Hier schien die Zeit kurz innezuhalten, als ob die Natur selbst den Augenblick ehrte, in dem Worte überflüssig wurden und nur die Blicke zählten.

An diesem stillen Ort hielt Korwin an. Vorsichtig lenkte er sein Pferd an den Rand der Lichtung, stieg ab und ließ seine schweren Stiefel im weichen Gras versinken. Er trat vor, als ob er in einen neuen Raum trat – einen Raum, in dem all die ungesagten Worte endlich ihren Ausdruck finden konnten. Ugdane folgte ihm noch immer auf dem Pferde sitzend, ihr Blick traf seinen, ein stummes Einverständnis in dem Schweigen.

Inmitten der stillen Schönheit sammelte Korwin seinen Mut. Er trat einen Schritt näher, ging auf die Knie. In den Augen Ugdanes spiegelte sich das stille Versprechen eines neuen Anfangs. Ohne dass viele Worte den Raum füllten, atmete er tief ein und begann vorzutragen. Die Melodie war rau und ungeschliffen, kaum mehr als ein improvisierter Rhythmus fast wie das Quaken eines Frosches der direkt aus seinem Innern entsprang. Er wusste, dass er kein Meister der Dichtkunst war, aber in diesem Augenblick zählten nur die einfachen Worte, die er aussprach.

Er sang:


„Du mein Licht, so hold und rein,

In deinem Blick liegt mein Heim.

Deine Nähe stillt die Einsamkeit,

Erfüllt mein Herz mit warmer Zeit.

Mit dir will ich durch Sturm und Nacht,

alle Einsamkeit vertreiben, ohne Klagen.“


Die schlichten Worte klangen in der klaren Luft, getragen vom leisen Wispern des Windes und dem sanften Rauschen der Blätter. Für einen flüchtigen Moment schien selbst die Natur innehaltend zuzuhören. Ugdane stand still, ihr Blick suchte den seinen – ein stummes Einverständnis, das mehr sagte als jedes Wort. In ihren Augen spiegelte sich eine leise Rührung, ein zarter Funken, der in dem einfachen Gesang aufleuchtete.

Während die letzten Töne verklingend in der Weite verhallten, stand eine Stille zwischen ihnen, die mehr ausdrückte als jede Erklärung. Korwin, noch immer von seinen eigenen Gedanken erfüllt, blickte in Ugdanes Augen und spürte in diesem stummen Austausch die Möglichkeit eines Neuanfangs. Die leeren Gänge der Wacht erschienen ihm plötzlich weniger kalt, weniger verlassen – als ob die schlichte Präsenz eines anderen die Einsamkeit zu durchbrechen vermochte.

Die Sonne stieg weiter, ihre Strahlen legten sich sanft auf die Lichtung und tauchten alles in ein warmes, goldenes Licht. In diesem Moment war es nicht nötig etwas zu sagen. Alles, was zählte, waren die Blicke, die leisen Gesten und der einfache Gesang, der in der klaren Morgenluft nachklang. "Sehen wir uns wieder holder Rittersmann?" fragte Ugdane. "Auf jedem Fall" antwortete er kurz. Dann ritten beide von dannen.

So endete der Ausritt an jenem abgelegenen Ort – nicht mit lauten Worten oder gestählten Versprechen, sondern mit Blicken, die mehr sagten als jede Sprache. Ugdanes Augen funkelten im Licht des neuen Tages, und in diesem stillen Austausch lag die leise Hoffnung, dass die Einsamkeit der steinernen Hallen bald einem herzlichen Beisammensein weichen könnte.

In der Stille der Lichtung, während die letzten Töne des einfachen Gesangs verklangen, war alles gesagt – ein stilles Versprechen eines Weges, den beide in ihren Blicken zu erkunden begannen, ohne dass ein einziges Wort die Stille brach.


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Texte der Hauptreihe:
29. Per 1043 BF 07:00:00 Uhr
Ausritt im Morgengrauen


Kapitel 1

Wut im Kerzenschein
Autor: Gramfelden