Geschichten:Bündnistreue - Duell im Morgengrauen
Vor der Toren der Reichsstadt Perricum, Rondra 1044 BF:
Es war früh am Morgen, die Sonne erwachte bereits am östlichen Horizont und versprach den Perricumer Landen einen sommerlichen Tag. Mit grimmen Blick stand Leomar da, sein Schwert Seelensäufer in die Höhe gereckt. Nein, es sollte nicht das alte Schwert der Goldenen Au sein, dass heute eine blutige Ernte einfahren würde. Leomar war nur hier als Schiedsperson bei einem Duell auf das dritte Blut. Eine bläuliche Ader pochte auf seiner Stirn, denn er, obwohl er heute nicht kämpfen würde, konnte nur verlieren, denn die beiden Duellanten waren zwei seiner engsten Verbündeten. Wie konnte es nur so weit kommen?
Die Große Fehde hatte so ihre Schrecknisse hervorgebracht. Viel zu oft schienen die Götter ihre Augen vor den Gräueltaten einzelner verschlossen zu haben. Nicht wenige nutzten die Fehde, um alte Rechnungen zu begleichen und die Gunst der Stunde zu nutzen sich auf Kosten seines Nachbarn zu bereichern. Doch Leomar war, als königlicher Vogt von Neerbusch, zum Nichtstun verurteilt. Aber auch der Rest seiner Familie wirkte lethargisch. Familienoberhaupt Nartara von Zweifelfels‘ Fokus richtete sich auf das Herz des Mittwaldes und nicht auf das Herz des Königreiches. Die Zweifelfelser hatten im Verlauf der Fehde zwei reiche Güter in der Goldenen Au verloren, aber Nartara, die sogenannte 'Hexe im Kettenhemd', schritt nicht ein. Und niemand in der Familie wagte es ihr zu widersprechen. Noch nicht mal Leomar.
So musste der Träger Seelensäufers tatenlos zusehen, wie zwei seiner engsten Verbündeten von Freunden zu Feinden wurden. Die Allianz von Einhorn, Luchs und Doppelsäbel war in der Fehde zerbrochen. Immer lauter wispernde Stimmen von Verrat vergifteten das Bündnis. Ein Einigungsversuch an den geschichtsträchtigen Zwiefelsen, initiiert von Leomar, konnte den unvermeidlichen Bruch nicht verhindern. Nun standen sich die Familien Pfiffenstock und Schallenberg in einem Duell auf das dritte Blut gegenüber. Für Leomar und seine Familie war das eine große Katastrophe und doch konnte er nichts dagegen tun.
Felan von Schallenberg, ganz Edelmann und Alriksritter trat selbstverständlich selbst zum Schwertkampf seines Lebens – um nicht zu sagen seines Lebens – an. Selo von Pfiffenstock hingegen nahm von seinem Recht Gebrauch eine Ritterin an seiner statt für ihn kämpfen zu lassen, welche selbst Leomar bis kurz vor dem Duell nicht bekannt gewesen war. Erst kurz vor dem Duell hatte der Haselhainer das Geheimnis darum enthüllt und den vielen Zuschauenden, die aufgrund Selos „Bewerbung“ des Duells in Scharen angereist waren, präsentiert. Und nicht nur diese hatten zu schlucken, als sie der Duellantin gewahr wurden. Auch Felan von Schallenberg merkte man einen großen Respekt an, den er aber kurz darauf ritterlich mit eigenem Mut zu begegnen wusste. Denn für den Großgockel kämpfte niemand anders als die imposante, großgewachsene und furchteinflößende Ulminde von Karseitz, ihrerseits ebenfalls Fuchsritterin und berühmt und berüchtigt als rücksichtslose Turnierreiterin. Dies unterstrich noch die Rüstung, die Selo ihr hatte anlegen lassen. Ein martialisches Stück altertümlicher Schmiedekunst geziert mit großen Doppelsäbeln auf der Brust, angeblich eine der alten Rüstungen der Leibgarde des letzten Sultans von Nebachot, was einige der umstehenden Nebachoten in Rage brachte, die der Karseitzerin aber vorallem dem Baron wütende Blicke und Rufe zukommen ließen. Doch diese schienen sich kaum daran zu stören, der Baron verteilte nur spöttelnd-beschwichtigende Gesten und die Ritterin war mit ihrer Konzentration ganz auf den Kontrahenten gerichtet. Ihre Rüstung wurde ergänzt durch Arm- und Beinschienen mit dem Korgondsymbol darauf und einen Mantel der breit Selos höhnendes Wappen auf dem Rücken führte sowie mit einer Fibel gehalten wurde, welche ein Buch zeigte, das von einem Schwert durchbohrt wurde – das Wappen der Karseitz‘. Dem gegenüber ruhte tapfer in sich Felan von Schallenberg, der über den spöttelnden einleitenden Worten des Haselhainers gestanden und ruhig die rondrianischen und (fuchs)ritterlichen Tugenden beschworen hatte – ein krasser Gegensatz, der dennoch mit all seinen Beteiligten die Diversität des großfürstlichen Fuchsrudels zeigte. Der Aldenrieder Baron war angetreten in Garether Vollplatte, über die nur ein waldgrüner Überwurf mit dem darauf gestickten Familienwappen der Schallenbergs, dem steigenden, goldenen Luchs, drappiert war.
Das nach unten schnellende Schwert Seelensäufer markierte dann aber den Beginn des Kampfes. Mit Zornesfalten auf der Stirn wandte sich Leomar vom Kampfgeschehen ab. Egal wie der Kampf ausgehen würde, Leomar hatte verloren.
Nachdem sich die Kontrahenten kurz abgetastet hatten, ging Ulminde von Karseitz zu dem über was sie am besten konnte, der Offensive. Mit kräftigen und brachialen Schlägen deckte sie den Luchsritter und Baron von Aldenried ein. Dieser kam dadurch zu Anfang stark in Bredouille und an seinem Gesicht erkannte man den Wechsel zwischen Verbissenheit und bedrängtem Zweifel. Doch mit der Zeit wusste er die harten Schläge besser abzuwehren oder ihnen geschickt auszuweichen. Er geriet dadurch aber immer stärke in die Defensive und musste gar einige blutige Schnitte und ordentliche Dellen in der Rüstung hinnehmen. Man konnte nicht erkennen ob, er mittlerweile an der Forderung zu diesen Duell zweifelte, aber die Karseitz bedrängte ihn zusehends heftiger und jagde dem defensiven Felan mit immer heftigeren Schlägen hinterher. Erst nach einiger Zeit erkannte man darin die gewagte Strategie des Schallenbergers, nämlich sich die Karseitz in der altertümlichen Rüstung und mit dem schweren Anderthalbhänder verausgaben zu lassen, so dass ihr großer Vorteil schwinden würde. Zwar gab es dadurch immer wieder die ein oder andere brenzlige Situation für Felan und auch er kam ins Schwitzen bzw. kassierte noch 1-2 weitere ordentliche Hiebe, doch letztlich schien sein Plan aufzugehen. Nach einiger Zeit konnte er sich aus der Defensive herauskämpfen und auch das ein oder andere Manöver und erste kleine Treffer setzen, obwohl einige blutige Wunden und die Dellen in der Rüstung in behinderten und der Schweiß in seinen Augen brannte. Der Aldenrieder sah mitgenommen aus, doch die Quirligkeit des Barons und das eigene Nachlassen brachten die großgewachsene Ulminde in Rage, die gerade noch einmal, völlig aus der Puste, in brachialer Wut zuschlagen wollte, als sich aus der Ferne zwei Reiter näherten und direkt auf Leomar zuhielten. Der Kronvogt von Neerbusch wollte schon Schwert erheben, als er die Reiter erkannte. Es waren der Waldsteiner Kämmerer Albin von Storchenhain und sein Adjutant Sindor Falkenschlag. Was im Namen des Mittwaldes hatten Waldsteiner Ministeriale hier in Perricum verloren? Die beiden jungen Männer stiegen ab und eilten auf Leomar zu.
„Hochgeboren, auf ein Wort, es ist dringend“, keuchte Albin, der sichtlich außer Atem war.
„Kann das nicht warten, brummte Leomar ungehalten zurück, „ich bin hier mitten … .“
„Genau darum geht es.“
Albin trat an Leomar heran und begann hektisch auf diesen einzureden. Als er geendet hatte, wandte sich der Zweifelfelser ab, ergriff sein Schwert Seelensäufer und ließ es in die Höhe schnellen. „Dieses Duell ist unverzüglich zu beenden.“
Ungläubige und irritierte Blicke ruhten auf den Kronvogt von Neerbusch. Auch die der Kontrahenten, nachdem Ulmindes schwerer Anderthalbhänder knapp an dem sich in letzter Sekunde wegdrehenden Aldenrieder vorbeigezischt war und diesen auf ein Knie zwang um sich wegzuducken. Aber geistesgegenwertig und ganz der Ritter senkte ersofort das Schwert, vielleicht auch etwas froh, während die Karseitzerin tobte, verausgabt schnaufte vor Wut und sich nur so gerade noch beherrschen konnte. Aber besonders der Großgockel Selo stand da mit großen Augen und einem zuckenden Kopf, wie der einer Taube. Denn er fühlte sich einen Moment lang um sein Spektakel betrogen, für dass er die anderen Ereignisse hier in Perricum gänzlich in den Hintergrund gestellt hatte.
„Zweifelfels? Wie darf ich Euren Zweifel hier verstehen? Nicht das ich es nicht verstehen würde, wenn ihr Eurem Namen gerecht werden wollt, doch was treibt Euch dazu das vom Pinselohr selbst erkorene Schicksal zu beenden? Ich denke doch dafür habt Ihr einen absolut triftigen Grund? Dürstet es Euer Schwert gar selbst nach Parteinahme? Die Au muss trinken, ich verstehe, ich verstehe.“, rief der Haselhainer, hielt kurz inne und meinte dann: „Nein, eigentlich verstehe ich nicht…“ Erwartungsvoll blickte er seinem Freund und Verbündeten entgegen, deutlich verdutzt, aber auch seltsam erfreut über dieses vermeintliche und eigentümliche Scheitern seines „Plans“.
„Brüder“, Leomar blickte dabei nacheinander zu Felan und zu Selo, „ich habe soeben glaubwürdige Beweise überbracht bekommen, die den unrühmlichen Grund für den Zwist zwischen Luchs und Doppelsäbel zu erklären vermögen. Ich bitte die Oberhäupter der Familien Schallenberg und Pfiffenstock zu einer dringlichen Unterredung. Sollte dann immer noch auf einer Seite der Wunsch bestehen, das Duell fortzusetzen, dann soll das so sein.“
„HA!“ rief der Großnarr Selo da aus und blickte, den Kopf seltsam hin- und herwiegend, hinüber zum Schallenberger, dabei wusste der Haselhainer selbst nicht was er mit diesem Ausruf hatte sagen wollen. „Dann unterbrechen wir doch dieses Urteil in gebührlicher Weise mit einem Streitgespräch bei einem guten Perricumer Roten, einem Haselhainer Nusslikör und einem Pfiffi (Pfefferminzlikör), zum Runterspülen der bitter-süßen Neuigkeiten. Beste Ulminde, Ihr müsstet euren sprichwörtlichen Blutdurst noch erstmal damit alternativieren. So leid es mir tut, ihr seid bisher eine traumhafte Vertretung meinerseits, wir sollten eigentlich eine Person sein.“
Die Ritterin schien sogar nicht begeistert, betrachtete den Großgockel mit einer Mischung aus Verwirrung und sowas wie Abscheu, was hatte sie sich nur dabei gedacht? Aber gut bezahlt hatte er sie. So zuckte sie wütend mit den Schultern und warf dem Schallenberger gar noch einen beinahe verstehenden Blick hinzu. Doch war sie auch zu sehr Wettkämpferin, um sich das dieses Verständnis völlig einzugestehen. Dann wandten sich alle einem nahen Zelt in den Farben des Fuchsrudels hinzu, zur Enttäuschung und Verärgerung der Zuschauenden um sie herum. Felan selbst folgte als letztes, das Visier seines Schallers hochgeklappt, skeptisch ein weiteres unziemliches Narrenstück des Haselhainers erwartend.
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