Geschichten:Begegnungen - Stärke - aber wie? (Teil 1)
Haselhain, Hassal’han Ammayin, Ende Boron 1037 BF
Der Morgen nach der Ratsversammlung war sehr diesig, doch hinderte dies Lyn nicht daran, ihre morgendlichen Waffenübungen durchzuführen. Zuviel ging ihr durch den Kopf und die fast schon ritualisierten Schlagfolgen halfen ihr, ihre Gedanken zu ordnen.
Als sie mit den Übungen fertig war, wusste sie, dass das Gespräch welches sie zu führen hatte nicht leichter wurde indem sie es aufschob und so begab sie sich zu dem Zimmer, welches als Schreib- und Arbeitszimmer für Selo hergerichtet worden war. Sie klopfte laut und vernehmlich ehe sie die schwere Eichentür öffnete.
Da hinter saß ein sichtlich vertiefter Selo zwischen Stapeln von Papieren, Büchern und anderen Zeitzeugnissen in seinem noch nicht vollständig eingerichteten Zimmer. Doch das schien den wie immer gut gekleideten Mann nicht zu stören und Lyn musste ob der vorsichtigen aber deutlich erkennbaren Annäherungen an die perricumsche und nebachotische Mode schmunzeln, sah es doch noch etwas unbeholfen aus.
Lyn trat ein und mit einem "Die Götter zum Morgengruße" auf Selo zu. Sie war in Lederhose und praktische Tunika gekleidet, legte sie doch ohne offizielle Anlässe keinen Wert auf gehobene Kleidung. Nachdem er überrascht, fast erschrocken, ihren Gruß erwidert hatte kam sie ohne Umschweife auf den Grund ihres hierseins zu sprechen indem sie sagte "Habt ihr einen Moment Zeit für mich, ich denke wir sollten uns noch einmal über die gestrige Besprechung unterhalten."
"Ja, natürlich. Setzt Euch doch.", sagte er stand auf, bemerkte seine eingeschlafenen Beine und wankte zu einem Sessel den er von einigen Papierrollen befreite und bot Lyn den nun freien Platz an. Er selber zog sich einen weiteren Sessel heran, strich sich die Kleidung glatt und richtete in gelernter Routine, Haupt- und Barthaar etwas zurecht. "Sprecht doch, ich denke wir sind auf einem guten Weg."
Lyn nahm Platz und betrachtete Selo kurz nachdenklich. Dann meinte sie "Da stimme ich Euch zumindest teilweise zu. Ihr habt es immerhin geschafft, die Anwesenden davon zu überzeugen, dass Euch Euer schwieriger Stand hier durchaus bewusst ist und ihr nicht ohne gewisse Vorbereitung auftretet."
"Und der andere Teil wäre?", Selos Antwort klangt etwas schnippisch, aber seine beinahe frechen Augen freuten sich offensichtlich auf einen spannenden Disput. Wie gleich und doch verschieden er und Simold waren...
Lyn lag es fern mit ihrer Meinung hinter dem Berg zu halten, das war noch nie ihre Art gewesen und sie hatte nicht vor, das gegenüber Selo zu ändern. Und so antwortete sie mit fester Stimme, ihm direkt in die Augen blickend "Ich teile Eure Meinung was eine politische Verbindung Siyandors angeht in keinster Weise."
Entgegen ihrer Erwartung hellte sich sein Blick freundlich auf: "Das habe ich euch gestern bereits angesehen. Ihr habt nicht gerade das was man ein Boltangesicht nennt." Er freute sich anscheinend diebisch ohne ihr aber das Gefühl zu geben sich über sie lustig zu machen. "Und warum nicht?"
Das Amusement von Selo nahm Lyn kaum zur Kenntnis, so sehr war sie von ihren eigenen Gedanken diesbezüglich gefangen. Das Gesicht Ra'ouls tauchte vor ihrem inneren Auge auf als sie schlicht und einfach sagte "Weil es der falsche Weg ist."
Selo merkte abermals, dass Lyn keine der typischen Menschen bei Hofe war und schlenderte erstmal herüber zu den bereitstehenden Getränken, goß sich etwas ein, ihr etwas und fragte dabei fast beiläufig: "Und was ist Eurer Meinung nach der richtige Weg?"
Die Albernierin war noch nie jemand gewesen, der lange um etwas herum redete und so antwortete sie ohne Umschweife : "Den Respekt der anderen Familien erlangt man hier nicht durch Eheschließung, sondern durch Taten. Mir ist bewusst, dass dies im Mittelreich anders ist. Dort werden wichtige politische Bündnisse über Ehen geschlossen. Aber hier werden allein Taten zählen. Und der Versuch eines Bündnisses über eine Ehe kann schnell als Schwäche angesehen werden."
Selo überlegte lange und wegte offensichtlich Argumente in seinem Kopf ab, sein Blick war nachdenklich. Er kam anscheinend zu keinem wirklichen Schluß und stellte deshalb erneut eine Gegenfrage: "Eine ähnliche Andeutung machte Ramaro bei der gestrigen Sitzung ja ebenfalls. Aber selbst wenn ich Euch recht geben würde, was wäre die Alternative? Wie kann ein Baron wie Siyandor Stärke zeigen? Denn dass dies unablässig ist ist doch wohl unser beider Einschätzung, oder? Nominell ist Siyandor Baron, Al'Hatim und Fürst der Ammayin, doch Ihr hättet in Morganabad sein sollen...Siyandor braucht JETZT ein Zeichen der Stärke und enge Verbündete. Denn aus meiner Sicht wird ein Konflikt kommen und dann heisst es seine Freunde zu kennen und gebunden zu haben, wir werden hier nicht mit allen Gutfreund sein, diese Zeit ist mit Simold gestorben...Ein sehr schlechter Zeitpunkt." Selo ließ den Kopf leicht hängen, Lyn bermerkte wie in das Gesprochene selbst bedrückte aber er vollkommen davon überzeugt war.
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