Geschichten:Besuch der Alten Dame – Am Hof zu Dürsten-Darrenfurt
Schloss Darrenfurt, Baronie Dürsten-Darrenfurt, Peraine 1040 BF:
Es war bereits Abend geworden, die offiziellen Audienzen und Hinterzimmertreffen waren nun vorüber und die Hofbeamten und Würdenträger konnten zu angenehmeren Teil ihres Daseins übergehen. Dies galt freilich auch für den jungen Baron Thorondir von Dürsten. So versammelten sich die Höflinge in den edel ausstaffierten Räumlichkeiten des schmucken Schlosses Darrenfurt.
Hier wie dort herrschte eine spielerisch-ausgelassene Stimmung. So vertrieben einige ihre Zeit mit Spielen, wie Boltan oder Rote und Weiße Kamele. Die greise Kammerherrin Morina von Borstenfeld, die wegen ihrer schlohweißen Haare und krächzenden Stimme auch 'Hexe von Darrenfurt' genannt wurde, legte auf Wunsch die Inrah-Karten und verunsicherte die Schaulustigen mit düsteren Weissagungen. Andere lauschten andächtig den Darbietungen der Spielleute oder ließen sich von den Gauklern in ihren Bann ziehen - eine der Lieblingsbeschäftigungen der jungen Knappin Baha von Darrenfurt. Wieder andere vergnügten sich mit höfischen Tänzen – wie etwa Baroness Thiomara von Darben-Dürsten, die Schwester des Barons.
In einem weichen, ausladenden Sessel saß Rymiona von Aimar-Gor und musterte amüsiert das muntere Treiben um sie herum. Neben ihr hatte die Kastellanin von Darrenfurt, eine angeheiratete Nichte Rymionas, platz genommen.
„Wo sind denn deine liebreizenden Zofen?“, entfuhr es Saleva von Waraqis eher beiläufig und nestelte dabei umständlich an ihrem üppigen Dekolletee herum um alles wieder 'in Form' zu bringen.
„Die Guten haben auch mal etwas Zerstreuung verdient.“ Rymiona lächelte vielsagend. „Mandaia wird euch Perricumern schon zeigen, wie vollendet wir in Gareth höfische Tänze zelebrieren.“
„Obacht, liebe Tante, hier in Perricum ist alles etwas leidenschaftlicher als in Gareth.“ Die aristokratischen Gesichtszüge der rundlichen Frau zeigten ein unerwartet anmutiges Lächeln.
„Laitha wird schon aufpassen, dass keiner der Herren oder Damen dabei zu aufdringlich wird.“ Rymiona wusste, sie konnte sich auf ihre Mädchen verlassen. Laitha hatte eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe, nichts würde ihr entgehen und Mandaia hatte die Fähigkeit nahezu beiläufig Information von ihren Tanzpartnern und -partnerinnen zu entlocken.
„Du kannst Stolz auf deine Tochter Emeralda sein. Meine Großnichte entwickelt sich vorbildlich am Perricumer Hof. Ich hatte die Gelegenheit mich davon höchstpersönlich zu überzeugen. Sie war Sulamith eine gute Schülerin. Ich hoffe, die neue erste Hofdame verdirbt nicht alles!“
„Diese Sturmfels ist unerträglich, sie ist eine Base vom neuen Baron von Herdentor wie man sich erzählt.“
„Vom Brendiltaler Bastard? Na sieh einer mal an. Wie es scheint, ist er unter den Rockzipfel der Sturmfelser geschlüpft. Bemerkenswert.“
„Dahinter steckt Wulfhelm von Sturmfels, der greise Großvater des Bastards.“ Saleva war ihre Wortwahl bezüglich des Alters des Sturmfelsers im Nachhinein etwas unangenehm, zählte doch Rymiona auch nicht mehr zu den jüngsten. „Der ist aber wiederum nur der lange Arm des Insel-Ochsen.“
„Ich werde bei deiner Wortwahl schon keinen Schlagfuss bekommen, mein Kind“ Die Edledame mit altaranischer Grandezza hatte Salevas Unbehaben durchaus bemerkt. „Aber du hast recht, die Ochsen grasen überall.“
Unvermittelt trat ein eher unscheinbar wirkender Mann mittleren Alters an die beiden Frauen heran.
„Edelhochgeboren, Darrenfurt hat durch Eure Präsenz an Strahlkraft gewonnen.“ Der Mann deutete eine Verbeugung an. Seine Stimme wirkte dabei übertrieben affektiert.
„An Strahlkraft gewonnen“, wiederholte Rymiona seine Worte, „na das ich das noch mal erleben darf, wo doch das Alter mich langsam dahin welken lässt. Wäre dieser Federkiel-Kämpfer nicht mein Großneffe, fast wäre ich geschmeichelt.“
„Es freut mich auch Euch wiederzusehen.“ Ein breites Grinsen zog sich quer durch sein Gesicht.
„Was hast du auf dem Herzen – außer eine alte Dame mit Schmeicheleien zu umgarnen?“
„Vater würde Euch gerne in der Bibliothek zu einem vertrauten Gespräch treffen.“
„Ein Falkner, der sich lieber in einer Bibliothek rum treibt. Darben-Dürsten … oder wie heißt das hier? Dürsten-Darrenfurt? Wie auch immer, es ist hier voller Überraschungen.“ Die ehemalige Landvögtin von Palmyramis lächelte sichtlich amüsiert. „Sag deinem Vater, er kann mich dort in einem halben Stundenglas erwarten.“
„Sehr wohl!“ Der Meister der Schreibstube verbeugte sich tief und entfernte sich.
Kaum war Nandiran von Altmark weg, näherte sich eine junge Frau. Ihr dunkelblondes, volles Haar war mit Bändern gebändigt. In ihrer linken Hand trug sie ein kleines Büchlein.
„Edelhochgeboren, verzeiht die Störung, mein Name ist Dana von Ruchin aus dem benachbarten Haselhain. Ich … .“
„Was lest Ihr da, mein Kind?“, unterbrach die Aimar-Gor die junge Frau und deutete auf das Büchlein. „Ah, 'Die zehn Räuber von Morganabad', ich hoffe die Lektüre ist nicht zu aufwühlend für Euch.“
„Ähm, nein, es ist wunderbar fesselnd geschrieben und zugleich so sinnlich, dass … verzeiht, ich schweife ab. Warum ich eigentlich hier bin, mein Herr, der Baron von Haselhain würde euch gerne treffen und an seinen Hof einladen.“
„Der garetische Gockel wünscht mich zu sprechen? Ich bin ja heute begehrter als der Bote des Lichts beim Jahresorakel. Nun gut, was ist es denn, was der Herr Baron mit mir zu besprechen wünscht?“
„Das“, die junge Frau stockte, „das kann ich Euch nicht sagen … es ist wohl von privater Natur.“
„Von privater Natur, sieh an.“ Rymiona wirkte ungehalten. „Ich werde die Einladung Eures Herrn Baron leider abschlagen müssen. Sein Hof liegt nicht auf meiner Reiseroute. Sollte sein Verlangen mit zu sehen dennoch so groß sein, dann soll er sich am nächsten Windstag in der Hauptstadt seiner Lande einfinden.“
„Sehr wohl, Edelhochgeboren, wo wird er Euch dort antreffen können?“
„Er wird mich finden, da bin ich mir sicher!“ Rymiona winkte genervt ab. „Und nun entschuldigt mich bitte, ich war gerade auf dem Weg in die Bibliothek.“
Das Gespräch mit Voltan von Altmark war sehr aufschlussreich gewesen – in vielerlei Hinsicht. Er hatte seine Position am Hofe gefestigt und genoss das Vertrauen des jungen Baron. Dies war für Rymiona äußerst erfreulich, aber dennoch ein Nebenschauplatz. Ihr Interesse richtete sich auf etwas anderes.
Rymiona blickte zu zwei miteinander tanzenden jungen Männern. Es waren Ramin Eorcaïdos von Aimar-Gor und Hamedan von Waraqis, beide Hausritter beim hiesigen Baron. Ramin galt als verwegener, aber dennoch ehrgeiziger junger Ritter – einer der großen Hoffnungen des Hauses Aimar-Gor in Perricum. Hamedan war ein Paradebeispiel eines eitlen, exotischen Draufgängers; ein überheblicher Verführer, dem man dennoch alles verzeihen würde, wenn man nur in seine dunkelbraunen Augen abtauchte. Die zaghaften, aber erwartungsvollen Blicke die die beiden austauschten, die vorsichtigen, gefühlvollen Berührungen der beiden Jungritter ließen Rymiona an ihre Jugend in Palmyrabad erinnern. Das Leben war so unbeschwert, so voller ungezügelter Leidenschaft. Sie hoffte inständig, die beiden würden sich diese Unbeschwertheit und aufrichtige Zuneigung bewahren können, oder zumindest so lange wie möglich auskosten. Denn Rymiona hatte bereits Pläne mit Ramin und sie war sich sicher, diese würden ihm nicht gefallen. Aber die Familienräson stand über allem, auch über dem persönlichen Begehren.
Rymiona wendete sich wieder ab. Es war ein langer Tag und es war an der Zeit für sie zu Ruhen.