Geschichten:Besuch der Alten Dame – Im Palastgarten
Schloss Reichsgarten, Landjunkertum Reichsgard, Baronie Herdentor, Peraine 1040 BF:
Nachdem die schwarze Kutsche die ehernen Mauern und das mächtige Tor hinter sich gelassen hatte, entfaltete die palastartige Anlage ihre ganze Pracht. Weiß gekalkte Wände mit bunten Ornamenten versehen, Palmen die Schatten spendeten, der Duft von frischen Arangen und exotische Vögel, nicht zuletzt die majestätisch anzusehenden Pfauen, die durch die weitläufigen Palastgärten stolzierten. Rymiona von Aimar-Gor war sichtlich froh die verderbte und stinkende Reichsstadt Perricum hinter sich gelassen zu haben.
Vor dem Hauptgebäude des Palastes wartete bereits mit strengen Blick die Hauptfrau der Garde Ashina von Turatal und eine Hand voll gut gerüsteter Gardisten, sowie die beiden Zofen Yandora von Zolipantessa und Danaris von Meidersee. Hatte sich die Sicherheitslage nach der Nebachotenkrise und dem Einfall von Haffax auch verbessert, war doch besonders hier in den beiden neuen Baronien Wachsamkeit das höchste Gebot.
Auch wenn sie das erste Mal diese Anlage betrat, fühlte sich sogleich alles vertraut an. Wie in einem verschwommenen Traumbild aus ihrer Kindheit. Und letztendlich waren es Bilder aus der Vergangenheit, die in Rymiona hoch kamen und mit starken Gefühlen verbunden waren. Gefühlen wie Wehmut und Heimweh. Nein, dieser sonnendurchflutete Palast war für sie kein Paradies, denn er erinnerte sie an das Leben das sie einst führte – in ihrer Heimat Aranien, die sie seit nunmehr 42 Götterläufen nicht mehr betreten hatte. Vermutlich fühlte sie sich deshalb in Gareth so wohl, denn dort war es so anders, dort erinnert sie nichts an ihr vergangenes Leben, das nun mehr nur noch als ein nebeliger Schleier an ihr vorbeizog. Nach hinten zu schauen und das Vergangene zu betrauern, das war ihre Sache nicht. Ihr Blick war stets nach vorne gerichtet.
Diener führten die Edeldame mit ihren beiden Zofen Mandaia von Agur und Laitha von Zolipantessa durch einen mit bunten Mosaiken geschmückten Innenhof und weiter durch einen repräsentativen Empfangssaal auf eine ausladende Terrasse. Von hier hatte man einen atemberaubenden Blick auf den Golf von Perricum. Hier wartete bereits die Gastgeberin mit ihrem Gefolge, darunter Melandra von Palmyr-Donas, Yaela von Rabenstock und zwei Herren.
Sulamith Eorcaïdos von Aimar-Gor kam ihren Gästen freudestrahlend entgegen und begrüßte ihre Tante aus der fernen Kaiserstadt mit einer innigen Umarmung. Melandra von Palmyr-Donas, ebenfalls eine Nichte der aransichen Hochadligen, tat es ihr gleich.
„Liebste Tante, schön dich endlich in meinem neuen Heim begrüßen zu dürfen. Ich hoffe dein Aufenthalt in der Reichsstadt war nicht zu kräftezehrend.“
„Für eine alte Frau wie mich ist alles kräftezehrend, mein Kind. Aber ich möchte nicht klagen, es verlief alles zufriedenstellend. So nun muss ich mich aber hinsetzten, meine alten Knochen brauchen etwas Ruhe.“
Sogleich brachten Diener einen weich gepolsterten und über und über mit Stickereien verzierten Diwan herbei. Eine Pagin schenkte der ehemaligen Landvögtin von Palmyramis edlen perricumer Roten ein. Doch war diese scheinbar etwas aufgeregt und ließ das filigran gearbeitete Gefäß leicht überschwappen.
„Bei Rahja, Mädchen, das ist genug, wir sind nicht in einer perricumer Taverne.“
„Verzeiht, Edelhochgeboren.“
„Es besteht keine Notwendigkeit zu sprechen, Kind! Gibt es hier Datteln? Hol mir welche!
Die Pagin tat wie ihr befohlen und entfernte sich.
„Wie ich sehe hast du dich bereits gut hier eingelebt, mein Kind. Das Brendiltaler Ross ist überall an den Fassaden bereits verschwunden und musste dem roten Malmer unseres ach so edlen Hauses weichen.“
„Stets nach vorne blicken und nicht zurück, das hast du mich gelehrt, Tante.“
„Wohl gesprochen mein Kind und genau deswegen bin ich hier. Aber mehr dazu später. Wo bleiben eigentlich meine Datteln?
Die Pagin kam eilig angerannt und reichte dem hohen Gast ein silbernes Tablett mit den süßen Früchten.
„Wo hast du sie her, Kind? Khunchom? Wie auch immer. Wer sind eigentlich deine illustren Gäste?“
„Darf ich vorstellen, der Landjunker Loran von Efferdsand, sowie der Edle Cassim von Agur.“ Die beiden Herren erhoben sich sogleich, verbeugten sich und gaben der edlen Dame einen Handkuss.
„Agur … der Vater meiner Zofe. Lang ist es her, fast hätte ich Euch nicht erkannt. Das sonnige Perricum scheint Euch gut zu tun.“
„Habt Dank, Edelhochgeboren, das wohl.“
„Mandaia, komm und begrüße deinen Vater, ihr habt euch ja eine halbe Ewigkeit nicht gesehen.“
Als ob die junge Zofe nur auf diesen Moment gewartet hätte, stürmte sie auf ihren Vater zu und fiel ihm in die Arme. Zufrieden und mit warmen Blick schaute Rymiona zu ihrer Untergebenen.
„Es geht nichts über die Familie, mein Kind, vergiss das nie!“ Die alternde Edeldame wendete sich nun wieder den anderen Gesprächspartner zu. „Wie ist denn nun die Lage nach der Zerschlagung Brendiltals? Wie mir scheint, hat der Seneschall meine liebe Nichte und Euch, verehrter Loran, als Aufpasser für die beiden neuen, ungestümen Barone ins Feld geführt.“
„Ihr meint sicherlich den Marktgrafen, Edelhochgeboren!“ Der alternde Schönling spitzte seine Lippen und nippte an seinem Tässchen aus feinsten Unauer Porzellan, gefüllt mit erlesenen Kakao aus Meridiana.
„Habt Ihr in den letzten Götterläufen auf Jilaskan verbracht, Wohlgeboren? Selbst wir im fernen Gareth wissen, dass sich der Markgraf nicht mit den Niederungen der perricumer Politik befasst. Er hat andere, höhere Aufgaben. Er ist ein Mann des Reiches. Wer hier wirklich die Fäden zieht, dürfte doch wohl klar sein.“
Loran schaute etwas pikiert. Fast könnte man annehmen, der Edelmann wollte noch etwas erwidern, doch es folgte nur Stille von Seiten des Landjunkers von Efferdsblick.
„Der neue Brendiltaler ist noch schwer einzuschätzen, er galt als harter Hund vor und während der Nebachotenkrise, doch scheint er sich nun gewandelt zu haben, er wirkt gemäßigter. Doch wir werden ihn im Auge behalten!“ Sulamith führte ihre Tasse mit der ihr innewohnenden Grazie formvollendet an ihre Lippen.
„Perricum ist wahrlich unterhaltsam, die Schlange vom Darpat wird Baron in den Bergen, der garetische Gockel herrscht nun in Hasenhain und der brendiltaler Bastard bekommt das Land der Pferde.“ Rymiona war sichtlich amüsiert.
„Zumindest einen Teil davon“, warf Melandra ebenso belustigt ein.
„Perricum steht vor Veränderungen. Der Brendiltaler Bastard hat sogar keinen Einspruch gegen den Vorschlag des Rates der Stadt Brendiltal eingelegt. Nun hat dort eine Frau den Ratsvorsitz inne. Rosenheim hat er gar einer Raulschen verliehen und auf dem Reshimianer-Gut sitzt nun ein Alxertis.“
„Es wird auch Zeit das bei uns Nebachoten die Frauen aus dem Schatten der Männer treten und die Zügel der Macht übernehmen. Ach was sag ich, nicht nur bei den Nebachoten.“ Die Stimme von Yaela von Rabenstock wirkte für ihre Verhältnisse ungewohnt nachdrücklich.
„Wohl gesprochen mein Kind“, pflichtete Rymiona der Nebachotin bei.
„Ich kenne die neue Stadtvögtin Madalena Feqzaïl gut und schätze sie sehr. Sie wird sich erfolgreich gegen zu viel Einfluss von Seiten des Bastardes zu erwehren wissen, da bin ich mir sicher.“ In Sulamiths Stimme klang ehrliche Sympathie mit.
„Eurem Haus steht doch auch ein Mann vor, oder irre ich mich?“ Loran von Efferdsand lächelte Rymiona süffisant an.
„Reto ist ein Schwertschlucker durch und durch und Euch damit nicht unähnlich wie man hört, verehrtester Loran. Das weibliche Wesen, wie auch das der Herren seines Schlages, ist zum herrschen geboren.“
„Aranisches Selbstverständnis durch und durch.“ Nun war es Melandra die Loran süffisant anlächelte.
„Kinder, wie die Zeit vergeht, meine alten Knochen brauchen nun etwas Bewegung.“ Rymiona winkte einen Diener herbei um ihr aufzuhelfen. „Sulamith meine Teure, bitte begleite mich ein paar Schritte.“