Geschichten:Besuch in Erlenstamm
Am 2. Rahja 1046 war es endlich so weit. Nimmgalf war mit einer größeren Eskorte gen Erlenstamm aufgebrochen, um endlich Braut und Bräutigam mit einander bekannt zu machen. Barjed war kein besonders guter Reiter, aber er wollte es sich nicht anmerken lassen, dass er viel lieber mit der Kutsche gefahren wäre. Nimmgalfs Sohn Randolf, Tsaiane von Talbach sowie sein Neffe Firnwulf und Nimmgalfs Knappe Eberhardt von Zankenblatt waren ebenfalls Teil der Eskorte.
Auf Burg Erlenstamm wurde die Gruppe schon erwartet. Irnfrede war auf ihren neuen Gemahl schon überaus gespannt. Sie hatte ihr wichtigstes Burgpersonal im Halbkreis antreten lassen, und begrüßte ihre Familie überaus herzlich. Die erste Begegnung mit ihrem künftigen Gemahl verlief allerdings etwas reserviert und zurückhaltend. Außer ein paar höflichen Grußworten und einem dezenten Handkuss Barjeds fanden die beiden kaum zueinander, was Barjeds Leibdiener Cusimo mit gewisser Genugtuung bemerkte, ohne sich dieses jedoch anmerken zu lassen. Auch Randolf war etwas enttäuscht, er hätte von Barjed eine ewtas euphorischere Reaktion erwartet, schließlich sah Irnfrede wirklich hinreißend aus.
Wie auch schon im Tsa waren ihre Geschwister Racalla und Brinwulf aus Gareth angereist. Auch sie wollten ihren neuen Schwager kennen lernen, und entsprechend erfreut fiel die Begrüßung aus. Dieser gab sich höflich, jedoch auch ihnen gegenüber etwas reserviert. Er schien sich viel mehr für die örtliche Vegetation und den recht modernen Baustil der Burg zu interessieren, als für seine Braut, was diese ihm sichtlich übel nahm. Sie warf ihrer Schwester mehrfach einen fragenden Blick zu, doch diese konnte auch nur mit den Schultern zucken. Nimmgalf gab sich jedoch Mühe, die ersten Verstimmungen mit Charme und Witz zu überspielen und verkündete der Familie, dass er beim Abendessen eine große Ankündigung machen wollte.
Schließlich waren alle im festlich geschmückten Speisesaal versammelt und warteten schon gespannt auf Nimmgalfs Ankündigung, der als Oberhaupt der Familie am Kopfe der Tafel Platz genommen hatte. Noch bevor das Essen serviert wurde, stand Nimmgalf auf und erhob das Wort.
"Liebe Familie, liebe Freunde, ich freue mich, dass wir hier so zahlreich zusammenkommen konnten. Ein Abend im Kreise der engsten Familie ist für mich ganz besonders schön. Bevor wir nun auf das künftige Brautpaar anstoßen wollen, möchte ich Euch aber einen recht weitreichenden Entschluss mitteilen. Ich werde schon bald meine Turnierkarriere beenden." Nimmgalf lies seine Worte wirken, vor allem die Ritter Randolf, Firnwulf und Eberhardt blickten ihn etwas entgeistert an. "Ich weiß, was ihr sagen wollt, aber ich werde nun mal auch nicht jünger. Mit jedem weiteren Jahr steigt auch das Risiko einer Verletzung, und das wollt ihr sicher auch nicht. Es ist entschieden: das kommende Garether Kaiserturnier wird mein letztes Turnier sein. Und natürlich hoffe ich sehr, dass es mir dieses mal gelingen wird, die Tjoste zu gewinnen. Der einzige Triumph meiner langen Karriere, der mir bislang versagt geblieben ist." Sogleich waren laute Hochrufe zu hören. Den meisten der Anwesenden war nur allzu gut bewußt, dass dem Baron diese Entscheidung nicht leicht gefallen sein konnte. Umso mehr Achtung hatten sie davor.
"Du schaffst das schon, Vater!" sagte Randolf. "Es gibt in ganz Garetien keinen besseren Turnierreiter als dich."
"Lieb von dir, Junge! Aber es gibt schon einige, die durchaus an meine Fähigkeiten heranreichen, dazu noch etliche meisterliche Tjoster von außerhalb Garetiens, und sie werden alle auf dem Kaiserturnier zugegen sein. Viele davon sind jünger als ich. Es wird allso alles andere als einfach werden. Seid also nicht allzu enttäuscht, wenn es auch dieses mal nicht klappen wird!"
"Wir drücken dir jedenfalls alle die Daumen, Vater!" ergänzte Irnfrede.
"Und jetzt kommt das Beste: Ihr werdet mich alle nach Gareth begleiten. Ich habe schon eine ganze Etage für uns im Schwert und Panzer reserviert. Egal, wie es letztlich ausgeht, wir machen uns auf jeden Fall ein paar schöne Tage in der Kaiserstadt! Was sagt ihr?"
Die kommenden Minuten waren vom Jubel der Kinder und Freunde erfüllt. Man malte sich schon fantasiereich aus, was es dort alles Tolles zu erleben und zu entdecken gäbe. Sogar Barjed lächelte, ein Besuch in der Kaiserstadt schien durchaus etwas zu sein, was ihm gefallen würde. Und Nimmgalf hatte die stille Hoffnung, dass er in ihm doch noch ein wenig Turnierbegeisterung entfachen könnte.
Den weiteren Abend verbrachte man mit gemütlichem Plaudern und Brettspielen. Nachdem Irnfrede auch von ihrem Besuch in Perricum im letzten Jahr berichtet hatte, und in einem Nebensatz erwähnt hatte, dass dort wohl gerade eine große Perlenmeer-Expedition ausgerüstet wurde, hatte sie bei ihrem jüngeren Bruder Randolf großes Fernweh erweckt. Noch am selben Abend hatte er den Beschluss gefasst, sich dieser Expedition anschließen zu wollen. Natürlich war Nimmgalf zunächst strickt dagegen, da er gerade erst vor Kurzem den Ritterschlag erhalten hatte, und Nimmgalf ihn nun gerne eine Weile als Hausritter auf Burg Trollhammer behalten hätte, um ihn auch schon ein wenig von der Lehensführung beizubringen, schließlich würde er dereinst seine Baronie erben. Aber Randolf wollte von seinem Traum nicht abweichen. Immer wieder bat und bettelte er, dass Nimmgalf ihn doch für die Expedition freistellen solle. Am Ende gab Nimmgalf nach - schließlich sollte auch er etwas von Aventurien zu sehen bekommen, und das ging nun mal nur mit einer großen Reise. Überglücklich drückte Randolf seinen Vater und seine Geschwister zum Abschied. Schon am nächsten Tag machte er sich nach Perricum auf, in der Hoffnung noch einen Platz bei der Expedition ergattern zu können.