Geschichten:Bis dass dein Tod uns scheidet Teil 12
Burg Trollhammer, Baronie Hirschfurten, Reichsforst
Es war der Abend des 25. Praios. Nimmgalf und Aidaloê hatten die letzten Tage damit verbracht, sich in dem schönen alten Städtchen Samlor ein wenig zu akklimatisieren. Die heißen Thermen und die freundlichen Bewohner luden förmlich zum längeren Verweilen ein. Der junge Baron war froh, hier eine so traviagefällige Aufnahme gefunden zu haben.
Er hatte jeden Tag zur Herrin Peraine gebetet, dass sie seinen Onkel Radulf bald genesen lassen möge und just am heutigen Tage hatte ihn ein Bote erreicht, der ihm mitgeteilt hatte, dass sein Onkel ihn und seine hübsche Begleiterin am heutigen Abend empfangen würde.
Nimmgalf wusste immer noch nicht so recht, was der Oheim eigentlich von ihm wollte. In den letzten Jahren hatten sie sich kaum gesehen, die Familienbande waren nicht besonders dick. Er wusste nur aus der Vergangenheit, dass er sich einmal aufs Heftigste mit seinem längst verstorbenen Vater Mevis überworfen hatte, den Grund dafür hatte er aber nie erfahren.
Wie auch immer, sein Onkel war das Oberhaupt des Hauses Hirschfurten und wenn er ihn rief, hatte er zu folgen, das war er dem alten Radulf schuldig.
Ein Bediensteter führte die beiden durch das gewaltige Burgpalas zu den Privatgemächern des alten Barons. Nimmgalf staunte nicht schlecht ob der opulenten Einrichtung der Burg Trollhammer. So pompös hatte er sie gar nicht mehr in Erinnerung. Dagegen war seine eigene Burg Leihenbutt eher klein geraten. Offenbar stammte vieles noch aus uralter Zeit, als das Haus Hirschfurten über große Teile Garetiens herrschte. Ehrfurchtsvoll durchquerten sie die Hallen und Flure. Als sie an einer großen zweiflügeligen Türe ankamen, bedeutete ihnen der Diener einzutreten. Sie kamen der Aufforderung nach, und die Tür wurde hinter ihnen geschlossen.
Drinnen lag der Baron Radulf von Hirschfurten in seinem großen Bett, ein Medicus und eine Schwester sorgten sich um sein Wohlergehen.
Nimmgalf erschrak ein wenig, er hatte seinen Onkel immer als großen kräftigen Mann mit dichtem Rauschebart in Erinnerung, doch die Gestalt, die dort im Bett lag, war von Alter und Krankheit ausgezehrt, dass es schon fast wehtat, ihn so danieder liegen zu sehen.
Der alte Mann blickte ihn eine Weile an. Nimmgalf fürchtete schon, er würde ihn nicht erkennen, doch dann lächelte er. „Nimmgalf, mein Junge, komm doch etwas näher heran.“
Nimmgalf verbeugte sich kurz und begrüßte ihn: „Die Zwölfe zum Gruße, Onkel, die gütige Herrin Peraine vor! Dies hier ist die Junkerin Aidaloê Rondriga von Gorsingen, die so freundlich war, mich auf der Reise zu Euch zu begleiten.“ Aidaloê begrüßte ihn mit einem leichten Knicks.
Der alte Baron lächelte etwas gequält. „Schön, dass Du doch noch hergekommen bist, bevor mich der Herr Boron an seine Pforten holt.“
„Aber Onkel, so solltet Ihr nicht reden!“, warf Nimmgalf ein, doch der Alte winkte ab.
„Meine Tage auf Dere sind gezählt, Nimmgalf!“ sagte er traurig. „Aber ich mag nicht klagen, ich hatte ein schönes Leben, wenn man mal von den schlimmen Ereignissen der Vergangenheit absieht.“
Nimmgalf zog eine Augenbraue hoch. Radulf fuhr fort: „Ach je, warum nur haben die Götter uns dies angetan, warum straften sie uns so hart?“
„Wer vermag dies schon zu sagen?“, warf Nimmgalf oberflächlich ein.
„Mein Junge, ich frage mich oft: wenn ich einmal nicht mehr sein werde, wer soll dann die hohen Ansprüche unseres Hauses aufrechterhalten?“
„Nun, Euer Sohn Sindolf wird Euch sicher ein guter Nachfolger sein.“
Die Miene des alten Mannes verfinsterte sich. Er musste laut husten. Der Medicus warf Nimmgalf einen vorwurfsvollen Blick zu, doch dieser verstand nicht, was los war. Radulf fuhr ihn an: „Wage es nicht noch einmal mich auf so grausame Art und Weise zu verhöhnen!“
„Aber Oheim, was habe ich denn so Schlimmes gesagt?“
„Du weißt doch ganz genau, dass meine beiden Söhne in Wehrheim und Gareth bei dieser unseligen Attacke des Hofmagiers ums Leben kamen.“
Nimmgalf wurde bleich. Er musste sich hinsetzen. „Bei den Göttern, ich hatte ja keine Ahnung! Also sind Sindolf und Helmar tot? Aber... aber wieso...?“
„Ich hatte dir doch einen Brief schreiben lassen. Hast du ihn nicht bekommen?“
„Einen Brief? Nein, meine Frau...Simiona hat sich immer um Schreibkram gekümm... hm, so langsam wird mir einiges klar. Sie wollte scheinbar nicht, dass ich vom Tod meiner beiden Cousins erfahre! Oh, diese Hinterhältigkeit! Diese falsche Schlange! Warum habe ich nur nicht früher schon gemerkt, welch falsches Spiel sie mit mir spielt?“
„Also wusstest Du es noch gar nicht? Ich habe keinen Nachfolger – zumindest jetzt noch nicht!“
„Das tut mir so leid für Euch und für unsere Familie, Onkel, Ihr habt mein allerherzlichstes Beileid!“
„Danke, aber dafür kann ich mir auch nichts kaufen. Höre mir gut zu, mein Junge: ich habe mit großem Stolz beobachtet, wie Du dich in den letzten Jahren entwickelt hast. Stets hast Du die Ehre unseres Hauses hochgehalten und so es nötig war auch verteidigt sowohl in der Tjoste als auch auf dem Felde der Ehre. Dafür danke ich dir. Ich könnte mir keinen besseren Nachfolger vorstellen, als Dich, Nimmgalf. Auch wenn ich mit deinem Vater im Streit geschieden bin, und wenn Du bei der Wahl deiner Frau scheinbar kein allzu glückliches Händchen hattest – was mich nicht sehr verwundert, wenn mein Bruder Ungolf da seine Hände im Spiel hatte - in Dich setzte ich mein vollstes Vertrauen!“
Nimmgalf lief es heiß und kalt zugleich über den Rücken. Zum ersten Mal seit langer Zeit war er einfach sprachlos. ER sollte das Oberhaupt des Hauses Hirschfurten werden und seinen Onkel Radulf beerben? Das musste er erst einmal verarbeiten. Er atmete tief ein und wieder aus. Immer wieder.
„Onkel, ich...ich weiß nicht was ich sagen soll. Es ist mir eine Ehre, Eurem Wunsch zu entsprechen.“ Auch Aidaloê lächelte und wünschte sich insgeheim, dass sie dabei an seiner Seite stehen könnte.
„Aber einen großen Wunsch habe ich noch, Nimmgalf! Wirst Du ihn mir erfüllen?“ Aber natürlich Onkel, was soll ich tun?“
Der Alte holte tief Luft. Dann begann er zu sprechen: „Die Zeiten haben sich gewandelt. Das ehemals herrschende Haus im Reich ist vergangen. Aber es gibt da jemanden, der das Reich wieder zu neuem Ruhme führen wird, und ich will, dass du dich ihm anschließt.“
Nimmgalf blickte ihn fragend an: „Und wer soll das sein? Der Nordmärker etwa?“
Radulf deutete ihm an, etwas näher zu kommen, was Nimmgalf auch tat. „Nein, Nimmgalf! Ich rede von Kaiser Answin von Rabenmund!“
Nimmgalf wich etwas zurück. „Ihr beliebt zu scherzen, Onkel!“
Radulfs Miene wurde grimmiger. „Nein, da irrst Du dich, Junge! Ich weiß aus sicheren Quellen, dass Answin zurückkehren wird! Er wird...“ eine Hustenattacke beendete seine Rede vorzeitig.
Nimmgalf blickte Aidaloê etwas ratlos an. Dann wandte er sich wieder seinem Onkel zu: „Aber... aber Answin ist ein Usurpator! Er hat sich damals zum Kaiser aufgeschwungen, als das Reich eine seiner dunkelsten Stunden erlebte. Und jetzt soll er wieder herrschen? Das kann doch nicht euer Ernst sein, Onkel!“
„Wer bist Du, dass Du dies zu beurteilen vermagst? Was damals an die Öffentlichkeit drang, ist nur das, was man das tumbe Volk glauben machen wollte. Mein Bruder und ich haben da ganz andere Erkenntnisse gewonnen. Was meinst Du, warum Ungolf damals als Erztruchsess abgesetzt wurde, und auf die Randersburg zurückgeschickt wurde? Er wurde ihnen zu unbequem. Und lange Zeit hat er gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Die damals regierten sind nun nicht mehr. Brin, Emer, Dexter, Cuanu, Haffax, Waldemar und Raidri, sie alle sind aus dem Spiel ausgeschieden – auf die ein oder andere Art und Weise. Nun werden die Herrschaftsverhältnisse neu verteilt. Und wer weise ist, der setzt im Spiel der Mächtigen auf Answin. Er ist ein fähiger und mächtiger Herrscher, das war er damals und das wird er wieder sein, mit den richtigen Leuten an seiner Seite. Das Haus von Gareth hat seine besten Zeiten hinter sich, der junge Selindian hat nicht das Zeug zu herrschen, doch Answin wird unser Reich zu neuer Größe führen. Deshalb ist mein Wunsch, dass Du ihn so gut es geht unterstützen sollst. Wirst du das tun? Für mich und für unser Haus und die Familie?“
Nimmgalf atmete schwer. Niemals hätte er damit gerechnet, hier und heute solche Dinge zu erfahren. Sein ganzes Leben würde sich dadurch ändern. Aber wer wüsste schon zu sagen, was die Zukunft noch bringen würde? Er stand ohnehin kurz vor einem Neubeginn, und dies hier könnte tatsächlich die Karten neu mischen - nicht nur im Kampf gegen seine Frau um seine Baronie, sondern auch um die Zukunft des ganzen Kaiserreiches. Aidaloê drückte seine Hand, so als ob sie ihm sagen wollte: „Was immer Du tust, ich stehe an deiner Seite!“
Nimmgalf blickte sie hoffnungsvoll an, dann wandte er sich wieder seinem kranken Onkel zu. „Ich werde darüber nachdenken, Onkel! Doch bitte gebt mir noch ein wenig Bedenkzeit. Ich…ich kann es Euch jetzt einfach noch nicht zusagen!“
Radulf blickte ihn eine Weile schweigend an. „Ich wünschte, Du hättest die Entschlossenheit deiner Mutter geerbt. Doch ebenso wie dein Vater zögerst du, wenn Entscheidungen getroffen werden müssen. Denke über meine Worte nach, Nimmgalf, und dann triff deine Entscheidung. Aber entscheide dich klug, denn es geht um deine Zukunft! Nun geh, die Diener werden euch ein Quartier zuweisen.“
„Danke Onkel, mögen die Götter Euch noch so lange wie möglich bei uns belassen.“ Der alte Baron drehte sich zur Seite, und Nimmgalf und Aidaloê verließen sein Gemach.
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