Geschichten:Blattschuss und Abschluss

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Almira hatte den Beginn der Schlacht ebenso gleichmütig aufgenommen wie das einsetzende Chaos, das Stöhnen der Verwundeten oder die Schreie der Sterbenden. All dies kannte sie bereits seit Jahren, nein, seit Jahrzehnten. Mochten die Namen und Banner derjenigen, für oder gegen die man stritt auch wechseln - die folgenden Kämpfe verliefen dann doch fast immer nach dem gleichen Schema: Zu Beginn aufmunternde und anfeuernde Worte irgendwelcher hohen Tiere, dann "Hurra"-Gebrüll der einfachen Soldaten - wobei oftmals unklar blieb, ob dies aus ehrlicher Begeisterung heraus geschah, oder lediglich, um sich selbst Mut zu machen - gefolgt von einem Gemetzel, das sich nur selten an irgendwelchen zuvor am Kartentisch ausgedachten Schlachtplänen hielt - wenn es denn überhaupt welche gab. Man hatte dem alten Schlachtross allerlei Kommandos im großfürstlichen Heer angeboten, die Almira aber allesamt abgelehnt hatte. Sie sah ihre Rolle vielmehr darin, als Scharfschützin aus dem Hinterhalt zu wirken; so könnte sie vielmehr erreichen, denn als Befehligerin eines Banners von Grünschnäbeln, die fast allesamt ihre Enkel sein könnten, zumal sie auch nicht mehr die Agilste war, wie die Frau zähneknirschend zugeben musste. Geäußert hatte sie diesen Gedanken freilich nicht, wusste sie doch um die Ehrpusseligkeit der meisten Ritter. Als ob es einen Unterschied machte, ob man einem Armbrustbolzen in den Rücken oder eine Lanze in die Brust bekam! So sehr sie auch die Ziele des Fuchsrudels für gut und richtig hielt, sah Almira doch gerade in dessen Ritterlichkeit zuvörderst eine militärische Schwäche. Eine, von der sie wusste, dass das Heer der Kaiserin diese nach Kräften ausnutzen würde.

In aller Gemütsruhe hatte sich die Hauptfrau des Bombardenregiments eine erhöhte Position auf einer der Krypten gesucht - was sich alles andere als einfach gestaltete, war die Offizierin doch nicht mehr die Jüngste, vorsichtig ausgedrückt. Von hier oben hatte sie einen guten Überblick über das Schlachtfeld, das ihr ein grimmes Lächeln entlockte. Das Tal der Kaiser! Gäbe es einen besseren Ort, sich gegenseitig zu Boron zu schicken, als diese gewaltige Nekropole?
Ohne Hast machte Almira ihre Repetierarmbrust - ein Meisterwerk zwergischer Handwerkskunst - bereit und öffnete den mitgebrachten Beutel mit Bolzen. Jetzt galt es nur noch zu auszuharren, bis sich das eine oder andere lohnende Ziel zu seinem Unglück in die Nähe der Veteranin verirrte.
Und so wartete Almira geduldig, was sich in der Vergangenheit bisher immer als die richtige Entscheidung erwiesen hatte.
Ausgehend vom Lärm zu ihrer Linken und flüchtenden Infanteristen des großfürstlichen Heeres, schloss die Hauptfrau, dass sich das Kräfteverhältnis zugunsten der Kaiserlichen verschoben haben musste. Den Flüchtenden waren etwa ein knappes Dutzend Kämpfer, angeführt von einem Ritter zu Pferde, dicht auf den Fersen. Endlich!
Ruhig legte die Offizierin auf den vordersten Gegner an. Der Bolzen durchbohrte seinen Kopf und ließ ihn beinahe geräuschlos zusammenbrechen. Laden, Zielen, Schuss, Tod! Beinahe wie eine zwergische Maschine sandte Almira einen Bewaffneten nach dem anderen zu Boron, entweder mittels eines Kopfschusses oder eines Treffers in die Brust. Als die Kaiserlichen registrierten, dass sie offensichtlich in einen Hinterhalt geraten waren, standen nur noch drei von ihnen auf den Beinen, während der Ritter von seinem Pferde aus verwirrt in alle Richtungen schaute.
Die Veteranin des Bombardenregiments erhob sich nun und richtete das Wort an den Adligen. Vielleicht besaß der Mann ja noch genug Verstand, um zu erkennen, dass ein Rückzug die einzige Option darstellte, um das Leben seiner verbliebenen Leute sowie sein eigenes zu retten.

"Heda, stolzer Rittersmann! Entweder Du verschwindest mit Deinen Knechten schleunigst dorthin, wo Du her gekommen bist, oder Du kannst Dir hier schon mal ein Grab für euch aussuchen; die Auswahl ist ja recht groß."

Unbändige Wut flammte im Herzen des Adligen auf. Hatte dieses Miststück etwa allein feige aus dem Hinterhalt seine Truppe dezimiert? Und besaß nun gar die Frechheit, ihn zu verhöhnen?
"Ich bin Ritter Hal von Zackenberg, Erster Hausritter am Hofe meines-"

"Ach, noch ein Zackenberg! Zum letzten Mal: Verschwinde, oder Du kommst hier nie wieder weg!"

Hal musterte die offensichtlich schon recht alte Frau und überlegte, wo er sie schon einmal gesehen hatte, ohne aber darauf zu kommen. "Genug, Attentäterin! Ergib´ Dich auf der Stelle oder stirb!"

"Weder noch."

Das Gesicht des Ritters war nun zu einer wutverzerrten Fratze geworden.
"Dann ist Dein Schicksal besiegelt. Erledigt sie!"
Rasch rannten die drei verblieben Waffenknechte im Zickzack auf die Grabstätte zu, die sich Almira als Stellung auserkoren hatte.
'Idioten!', ging es der Frau durch den Kopf, während sie die ersten beiden Gegner mit gezielten Schüssen niederstreckte. Zickzack hin oder her, mit dem richtigen Vorhaltepunkt der Waffe waren auch solche Schwachköpfe leichte Ziele. Währenddessen hatte die letzte verbliebene Gegnerin die Krypta erreicht und kletterte die Wand hoch. Sie wollte sich gerade nach oben ziehen, als sie von der Schulterstütze der Armbrust an die Stirn getroffen wurde, zu Boden stürzte und sich an einem steinernen Boronsrad das Genick brach.

Für einen Moment war die Wut in Hals Gesicht völliger Verblüffung gewichen, bevor er sich wieder gefasst hatte.
"Na gut, dann bring´ es zu Ende, Metze! Wenn Du glaubst, dass ein Zackenberg feige vor einer ehrlosen Mörderin flieht, dann-"

Ptok.

Ein Armbrustbolzen hatte sich tief in die Schulter des Ritters gebohrt und diesen vom Pferd gerissen, welches daraufhin panisch davongaloppierte.
Etwas umständlich und langsam kletterte Almira von der Grabstätte hinab und begab sich zu dem verletzten Mann, nach dessen Tod ihr nicht der Sinn stand.
"Zunächst einmal bin ich keine Metze oder Attentäterin, sondern Schützin. Genauer gesagt Hauptfrau im Perricumer Bombardenregiment. Ich bin Almira Streitberger."

Ein schiefes Lächeln zeigte sich nun auf dem Antlitz des Verwundeten.
"Ich habe von Euch durch meinem Vetter Zivko gehört. Eine Schande, dass wir auf verschiedenen Seiten stehen. Und eine Schande, dass ich so töricht war, mich Euch gegenüber von meinem Stolz statt meines Verstandes leiten und andere", er schaute kurz zu den Leichen seiner einstigen Schar hinüber, "den Preis dafür zahlen zu lassen."

"Da seid ihr weder der Erste noch werdet ihr der Letzte sein, dessen seid gewiss. Aber genug der Plauderei, Eure Wunde muss dringend verbunden werden."
Die Offizierin wollte gerade ein einigermaßen sauberes Stück Stoff vom Wappenrock eines der Toten abreißen, als Hal erneut das Wort an sie richtete, diesmal allerdings deutlich leiser und mit stockender Stimme.

"Die Mühe könnt Ihr euch sparen, Streitberger. Beim Sturz von Pferd bin ich mit dem Rücken auf einen Stein gelandet und spüre seitdem meine Beine nicht mehr. Außerdem fühle ich das Blut, das den Rücken entlangläuft, leider mehr als deutlich. Ich denke, Ihr wisst, was das heißt. Ich bitte Euch daher noch um einen letzten Gefallen."
"Ich verstehe.", erwiderte Almira knapp, nickte Hal kurz zu und beendete dann mit einem schnellen Schnitt sein Leiden. Dann legte sie dem Toten sein Schwert auf die Brust und faltete dessen Hände um das Heft der Waffe.

Direkt danach wurden das Ende der Kämpfe und der Sieg der Kaiserlichen kundgetan.
Almira begab sich umgehend in Gefangenschaft und fragte den völlig verdatterten Korporal, der ihren Namen notierte:
"Hättet ihr Narren Euren Triumph nicht fünf Minuten früher verkünden können?"