Geschichten:Blutiger Auftakt der Ingerimmsturnei 1042 BF
Von Anfang an hatte ich kein gutes Gefühl. Ich weiß noch, dass ich so ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern spürte, als Leugrimma gemeinsam mit Delana, der Knappin von Ritter Jast Carolan, das Zelt zwischen jene von Aurentian von Siebenthal und Lodion von Spölen aufbauten. Delana hatte ich nur mitgenommen, weil ich Jast Carolan noch einen gefallen schuldete, und meine eigene Knappin - nun ja, den Torbelsteinern schuldeten wir auch noch etwas, irgendwie. Wäre vielleicht eher Dregos Aufgabe gewesen, die Familie für den auf Onkel Danos‘ Schwertzug gefallenen Knappen zu entschädigen, aber wenn der Grafenhof schon voll ist. „Mal sehen, wozu es gut ist“, sagt Vater immer. Für mich ist es eh Zeit gewesen, endlich einmal eine Knappin auszubilden, auch wenn ich vielleicht länger gezögert hätte, wenn ich gewusst hätte, dass Tsa mich segnen würde.
Das gehört auch zu den Merkwürdigkeiten dieses Jahreswechsels: So viele Jahre habe ich trotz meiner Lust am Leben und der ganzen Vorsicht, die ich immer an den Tag (oder die Nacht) gelegt habe, kein Kind empfangen. Doch nun, nach diesem Winter voller Vergnügungen in Perricum, war es geschehen: Im Travia werde ich Mutter werden! Ich freute mich schon auf den ersten Abend der Turnierwoche in Eslamsgrund. Ich war mit Lechmin nach dem Vespergötterdienst verabredet, um unsere Geschichten über das Schwangersein auszutauschen. Ich wusste nicht, wer der Vater meines Kindes war, Lechmin wollte es nicht sagen. Aber wir waren beide etwa gleichzeitig schwanger geworden und wollten über Morgenübelkeit bis hin zu unseren neuesten mütterlichen Anwandlungen beim Anblick kleiner Kinder tratschen. Vater findet, werdende Mütter sollten Rücksicht auf das Ungeborene nehmen, aber solange ich nur im fünften Monat bin, sehe ich keine Notwendigkeit, mein Leben jetzt schon einzuschränken, das kommt alles früh genug. Mütterliche Gefühle musste ich gegenüber meiner ungeschickten Knappin auch ständig unterdrücken. Sie sollte etwas lernen, nicht von mir sanft und ohne anzustoßen durch das erste große Turnier der Saison getragen werden.
Meine Nachbarn waren von sich eingenommene Gockel, alle beide. Ich war froh, dass Vater mich aus dem Gespräch mit ihnen erlöste, indem er mich und die Knappen zur Vesper abholte. Ich war sicher, dass Siebenthal und Spölen sich das Maul zerreißen würden, kaum wäre ich weg. Ich hatte erwähnt, dass ich schwanger war - dumm von mir. Lechmin war da klüger, sie hatte es bisher kaum einem erzählt. Und zu sehen war sowieso noch nichts, bei ihrer schmalen Statur.
Zur Vesper durften die Turniersieger der letzten Jahre vorne stehen und den Segen der Herrin als Erste empfangen. Lechmin hatte letztes Jahr gewonnen und dem Jahr ihren Namen gegeben. Die anderen beiden Kinder von Ritter Danos werden das nie schaffen. Drego kann nicht gut turnierreiten und Ederlinde hat es meines Wissens nie versucht. Alara von Drostenberg war genauso wieder angereist wie die unvermeidlichen Glaubert von Eschenrod und Nimmgalf von Hirschfurten. Zuammen mit dem Grünen Ritter Fredegast waren sie die einzigen Mehrfachsieger der Ingerimmsturnei und hatten dem Turnierjahr ihre Namen schon mehr als einmal verliehen. Praioslob von Eychgras und Bartel von Stolzenfurt standen direkt hinter ihnen und hatten gewiss nur eines im Sinn: ebenfalls ein zweites Mal zu siegen.
Es würde keinem von ihnen gelingen. Und hätten sie geahnt, wie das Turnier ausgehen würden, sie wären wohl nicht einmal angetreten.
Nach dem Götterdienst wurde es im großen Zeltlager lustig. Vor allem das Großfürstliche Fuchsrudel sorgte für Stimmung. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll, den Jüngling Sigman wie einen Großfürsten zu behandeln, und ganz sicher nehme ich an, dass der eine oder die andre in seinem Gefolge sich vor allem Aufstiegschancen versprechen. Aber wie es auch sei - die Fuchsritter sind immer voll dabei, enthusiastisch bei der Sache und meistens gut gelaunt. Manchmal frage ich mich, ob der Rote Malwarth morgens Wein ausschenkt oder das Rudel irgendetwas rauchen lässt.
Wäre ich einmal beim Fuchsrudel geblieben, aber auf der Suche nach Lechmin bin ich über meinen Perricumer Nachbarn Aurentian von Siebenthal gestolpert, der mich die ganze Zeit verfolgte und regelrecht anmachte. Offenbar hielt er mich für leicht zu haben (was vielleicht stimmen mag, aber nicht leicht für jeden). Als ich endlich zwischen ein paar Schlunder und Gemmenrittern um Adalissa von Desmetal kam, konnte ich dem Siebenthaler entwischen. Wie mir Leugrimma später erzählte, soll er es später bei der Fuchsritterin Elissa vom Berg versucht haben, die ja wirklich sehr schön ist. Sie habe ihn nicht nur abgewiesen, sondern sogar eine schallende Ohrfeige gegeben, deretwegen es nach dem Turnier zum Duell kommen sollte, aber dazu konnte es dann ja nicht mehr kommen.
Am Morgen waren wir schon früh auf den Beinen. Lechmin und ich hatten auf Bier und Wein verzichtet und nur Kräutersud gesippt, so dass es mir leicht fiel, mit der Sonne aufzustehen. Aber viele Turnierteilnehmer waren nicht so klug gewesen (vielleicht auch, weil sie nicht so schwanger waren), denn ich sah so manchen Bummschädel, der in kaltes Wasser getaucht wurde.
Wir versammelten uns alle vor dem Zelt der Turnierheroldin Morena von Ockerbeck, wo die Auslosung der Turnierpaarungen für die ersten Lanzengänge vorbereitet wurden. Ich traf hier auf die restlichen Reichsforster, die erst in der Nacht angekommen waren. Rondradan von Pfortenstein, der seit den letzten Schlachten überall nur noch dunkle Schatten sieht, verstärkte mein ungutes Gefühl für diewses Turneir noch mit seiner Reiseschilderung. Er war mit Helidora von Treleneck-Sturmfels, Berndrich von Katterquell, Orlan von Scheupelburg und Jost von Mohnfeld angereist. „Jost von Mohnfeld?“, hatte ich nachgefragt, weil ich ja weiß, dass Jost weder Ritter ist noch interessiert an Turnieren. Geschweige denn jung genug. „Ja, Jost““, hatte Rondradan geantwortet. Der Tropf habe eigentlich nach Ragath gewollt, um seine Nichte zu treffen. Aber dann hätten sie in Ebergau einer Hinrichtung beigewohnt, bei der alle schief gegangen wäre. Der Strick für die fette Räuberin, die das gehenkt wurde, sei gleich zweimal gerissen, bis sie endlich ordentlich am Galgen getanzt hätte. Ungewöhnlich, dachte ich mir, aber auf der anderen Seite: Hinrichtungen waren nicht mehr ganz so selten, seitdem Drego Graf war und der finstere Emmeran von Erlenfall Landrichter. Ein schlimmes Zeichen sei das gewesen, brummte Rondradan, da sei es dann kein Wunder gewesen, dass der alte Jost sich in Ebergau so den Magen verdorben hätte. Der sei gar nicht mehr reisefähig, so schlecht ginge es ihm. Noch ein schlechtes Omen, raunte Rondrdan, aber da wurden die ersten Paarungen ausgelost.
Ich bekam es mit der blutjungen Brindia von Stolzenfurt zu tun, Bartels Tochter, von der es zurecht heißt, die sei nicht ganz richtig im Kopf. Bösartiger kleiner Dämon. Ich habe sie dennoch im ersten Gang aus dem Sattel geholt. Ich lasse mich doch nicht von einer Anfängerin foppen, und sei sie noch so ein hinterhältiges Biest. Lechmin warf gleich in der ersten Runde Glaubert von Eschenrod aus dem Rennen, was die Sensationslust auf dem Turnier anreizte und die Stimmung aufheizte.
Aber dann war mein Nachbar Spölen an der Reihe und trat gegen die Ritterin :Garetien:Selinde von Kravetz an. Da direkt nach den beiden der Lanzengang von Nimmgalf gegen den Schlundgauer Pfalzgrafen anstand, sahen dieser eher uninteressanten Paarung dennoch die meisten zu. Und deshalb waren auch alle dabei, als Spölen vom Pferd gestoßen wurde, sich blöd im Steigbügel verhedderte und so lange mitgeschleift wurde, bis sein Ross sich den Huf vertrat und stürzte. Auf den armen Ritter Spölen, dessen Knochen fast so laut knackten wie er schrie. Die Feldschere und der Heilmagier bemühten sich richtig lange und mit all ihrer Kunst um sein Leben, doch vergebens. Lodion von Spölen starb. Und weil sich alles, was heilen konnte, gerade um ihn kümmerte, starb auch der unselige Jost von Mohnfeld, der sich ganz allein im Lager der Reichsfoster buchstäblich die Seele aus dem Leib kotzte.
Ich flog wahrhaftig in der zweiten Runde am Nachmittag aus dem Turnier, wobei ich gegen Rado von Treuenbrück nur nach Punkten unterlag. Und das ist keineswegs ehrenrührig. Wie immer war mein Vater völlig übertrieben froh, dass ich heil aus dem Turnier gekommen bin. Das wird mit den Jahren immer schlimmer, seit der Schwangerschaft erst recht. Am Abend hatte ich ordentlich zu tun - immerhin war ich ja Spölens Nachbarin auf dem Zeltplatz und wurde von Alrik und Sturmfels ausgefragt, ob ich mehr über „die arme Sau“ wüsste.
Und das war erst der Anfang dieses unseligen Turniers!
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