Geschichten:Boronias dunkle Schatten – Nach dem Borondienst
Burg Devendoch, Baronie Devensberg, Markgrafschaft Rabenmark, 19. Ingerimm 1046 BF:
Nein, er würde nicht zu einem hingebungsvollen Besucher von Boronandachten und -predigten werden.
Doch diese Andacht war anders als zuletzt der Borondienst, dem er in Vinsalt beiwohnte. Er hatte mit niemanden drüber geredet, denn Träume sind eine Angelegenheit die man mit Herrn Boron oder seinen Dienern alleine ausmacht. In den vergangenen Monaten hatte er immer wieder mal einen schlechten Traum gehabt, aber spätestens ab Havena kamen diese viel häufiger und regelmäßiger auf. Auf der Fahrt von Gareth nach Rommilys steigerte sich das so, dass er in einer Nacht die damaligen Erlebnisse aus Rommilys erneut erlebte - als ob sie so gerade geschehen würden. Schweißgebadet wachte er in dieser Nacht auf und musste sich erst mehrfach umschauen, um sich zu vergewissern, dass er nicht in Gefahr sei.
Doch bei dieser Andacht - er spürte es, obwohl er ja noch nicht zu Bett gegangen war - fiel eine Last von ihm ab. Er war das erste Mal seit der Ankunft hier jetzt ausgeglichen. Etwas, was sicherlich nicht verkehrt war, denn die Verhandlungen waren ja weiterhin schwierig. Und das lag nicht an seinem Gegenpart. Denn auch wenn man sich verstand und schon als Freunde bezeichnete, wusste Erlan natürlich nur zu gut, dass auch der Reuther primär seine eigenen Ziele verfolgte. Hätte er diesen Gedanken ausgesprochen, hätte er ihn vielleicht korrigieren wollen: “primär die Ziele seines Reiches verfolgte”, aber je länger er darüber nachdachte, um so mehr dachte sich Erlan, dass der ursprüngliche Gedanke richtig war.
Aber das musste ja nicht schlecht sein, denn wenn jemand sich sowohl für seine eigenen Ziele als auch natürlich die Ziele des eigenen Reiches einsetzte, dann muss das kein Widerspruch sein. Viel eher glaubte Erlan Sirensteen inzwischen, dass es nicht verkehrt sei, die persönlichen Motive Einzelner gut zu kennen, um zu schauen, wie man diesen entsprechen kann - und das am besten im Sinne des Reiches. Mit dieser Taktik kam auch die eine oder andere Formulierung in den Vertrag von Mantrash’Mor, wie er sich gerade erinnerte.
”Comto, was denkt ihr? Ihr wirkt ein wenig weggetreten”, hörte er Reto sagen, nachdem sie die Andacht verlassen hatten. “Oh entschuldigt, ich war noch in Gedanken nach dieser Andacht. Was wolltet ihr wissen?”
Reto setzte noch einmal an: “Wir sollten vielleicht das eine oder andere Detail schon im Vorfeld besprechen. Ich schlage vor, wir schließen uns mehr oder weniger - in diesem Fall eher mehr - auffällig den anderen Besuchern der Andacht an, die doch jetzt auf dem Weg ins Gewölbe sind um einen Nachttrunk zu sich zu nehmen. Das sollten wir dann auch machen. Ansonsten befürchte ich, sind wir hier nicht unbedingt ungestört. Was denkt ihr, Comto?”
Erlan nickte bestätigend und so machten sie sich im Zuge des Kreises der Boronandächtigen auf dem Weg ins Burggewölbe.
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