Geschichten:Borons Ritter - Gedanken der Vergangenheit
Fasar, eine dunkle Kammer in ‘’Beni Etilia’’, dem Haupthaus der Marbiden, 28. Rahja 1046 BF
Wolfhelm von Hardenstatt saß im Schneidersitz vor einem kleinen Tischchen das mit einer weißen Rabenfigur sowie einigen Rauchschalen, in denen Kräuter und Öle verbrannt wurden, dekoriert war. Er hatte seine Kleidung mit einer schwarzen Kutte, ähnlich denen der Marbiden und Boroni, getauscht. Lediglich die fehlenden Stickereien verrieten einem Gegenüber, dass mitnichten ein Geweihter vor ihm stünde, sondern vielmehr ein Akoluth oder Novize.
Der Raum wurde lediglich schwach durch zwei kleine Wachskerzen, die auf dem Tisch standen, beleuchtet und tauchten ihn in ein unheimliches Zwielicht. Fenster gab es nicht und die einzige Öffnung war eine schwere Holztür, die sich nur eineinhalb Schritte hinter Wolfhelms Rücken in die Schatten schmiegte. Eine kleine Kiste, in der linken Ecke neben der Türe, diente als Aufbewahrungsort für Wolfhelms Habseligkeiten (wie beispielsweise sein Schwert). Ansonsten war der Raum, mit Ausnahme des Sitzkissens, vollständig leer.
Zhulamin ai Fasar höchstselbst hatte dem Ritter diese Zelle zugeteilt als er gemeinsam mit Ulfried von Gaulsfurt an die Türe des Ordenshaus geklopft hatte. Wolfhelm hatte sofort eine Verbindung zur Vorsteherin der Marbiden verspürt und auch sie schien diese gefühlt zu haben. Sie waren direkt vertraut miteinander umgegangen und Zhulamin hatte sich einige Zeit genommen die beiden Ankömmlinge herumzuführen und ihre Fragen zu beantworten.
Ulfried hatte vorgeschlagen, dass sie auf ihrem Weg nach Rashdul in Fasar Rast machen sollten, auf dass Wolfhelm dem Wesen Marbos näherkommen würde. Ein hervorragender Plan, wie der Ältere der Beiden feststellen musste. Die wenigen Tage, die er hier bereits verweilte, waren von Meditation geprägt und Wolfhelm merkte wie die Nähe zu Marbo an diesem Ort die Auseinandersetzung mit dem Wesen Marbos und letztlich auch seines erleichterte. Er setzte sich das erste Mal seit Götterläufen, wenn nicht sogar überhaupt, mit seiner Vergangenheit und seinem Erlebten auseinander.
Dies bemerkte neben seinem Begleiter auch Ihre Exzellenz, weshalb diese nicht überrascht war, als Wolfhelm mit der Bitte an sie herangetreten war, die Namenlosen Tage in Fasar verbringen zu dürfen. Auch Ulfried schien mit dieser Entscheidung zufrieden, mochte Fasar zwar eine Stadt voller Meuchler sein, war er überzeugt davon, zumindest im Ordenshaus der Marbiden besser aufgehoben zu sein als irgendwo in der freien Natur.
Wolfhelms Gedanken waberten, dem Rauch aus den Schalen es gleichtun, umher, formten Gestalten, Gesichter, Gegenstände und Szenen, um dann so unvermittelt zu verschwinden, wie sie gekommen waren. Er sah vor seinem geistigen Auge Szenen seiner Vergangenheit, Personen, die ihm lieb und teuer waren oder die er auch nur kurz kannte, an sich vorbeiziehen.
Das Gesicht seiner Mutter, sorgenvoll in die Ferne blickend, auf ein Lebenszeichen ihres Sohn wartend, bangend ihn am selben Ort verloren zu haben, wo sie auch schon ihren Mann verloren hatte.
Er sah Isabella am Bett seiner Mutter knien, das Gesicht rot vor Trauer und die Züge voller Ungewissheit ob der Zukunft. Würde Wolfhelm von der Trollpforte zurückkehren? Wie würde sie den Verlust ihrer Schwiegermutter auffangen?
Er sah sich selbst, wie er sich in den Reihen des Heeres der Zwölfgöttlichen Lande dem widernatürlichen Feind entgegenstellte, wie er um sein Leben kämpfte, wie Kameraden und Freundinnen starben. Es laugte ihn aus dieses viele Leid zu sehen, die Gewalt, der Tod. Doch seine Gedanken ruhten nicht, rasten weiter und ließen ihn auch seine anderen großen Lebensabschnitte durchleben.
Er sah sich auf den Silkwiesen, sah seinen Vater und wie sie Seite an Seite an der Trollpforte gegen Oger stritten. Sah sich in jungen Jahren als Knappe, Page und dann begannen sich die Gedanken abermals zu verändern. Er erlebte die Szenen nicht mehr aus der Perspektive desjenigen, der sie erlebte, sondern als jemand, der daneben stand. Ein unbeteiligter, stiller Zuschauer der Vergangenheit.
