Geschichten:Borons Ritter - Knappenschaft
Burg Etilienwacht, Baronie Weißbarûn, Ende Rondra 1046 BF
Gnädige Marbo, Freundin der Menschen, lass‘ meine Gedanken zur Ruhe kommen. Nimm Furcht und Sorge und schenke mir Frieden.
- aus dem Schwarzen Buch, Gebet zur Ruhe
Gehetzt, wie ein wildes Tier, so hatte Wolfhelm sich gefühlt, ehe er hierhergekommen war. Er war damals noch in der Nacht aufgebrochen, hatte einen Brief für seine Frau hinterlassen und sich von seinem Waffenknecht verabschiedet. Sein Bruder würde solange die Amtsgeschäfte führen – wenn denn wirklich etwas anfallen würde.
Wie lang er für die Reise gebraucht hatte, wusste er nicht mehr. Zeit war zu etwas ungreifbarem für ihn geworden. Dies gesagt, fand er dennoch keine Ruhe, immer wenn er sich hingesetzt hatte, wenn er nur kurz an einen Ort innehalten wollte, brach in ihm eine Unruhe aus. Jede Faser seines Seins schien aufspringen zu wollen, weiter, weiter immer weiter!
So verweilte er nur kurz an derselben Stelle, zog fast ziellos umher, verlor den Weg, um ihn dann doch wieder zu finden. Schließlich hatte er es an sein Ziel geschafft. Die Burg hatte sich kaum merklich vom Massiv des Raschtullswall abgehoben und erst als er näherkam, fiel das Licht des Madamals auf das einstige Kloster. Die hohen Mauern und Türme wirkten auf ihn einladend und abweisend zugleich. Wie die Gemäuer wohl im Tageslicht aussahen? Eine Frage, die er sich schon öfters gestellt hatte, schienen ihm die Tage, an denen er durch die Strahlen der Sonne wandelte, doch unendlich weit weg.
Schließlich hatte er das Tor erreicht und um Einlass gebeten. Zu seiner damaligen Verwunderung hatten ihn bereits zwei Ritter erwartet und in Empfang genommen. Ohne ein Ton zu sagen hatten sich die drei verstanden, er gab sein Schwert ab und wurde zur Hausherrin gebracht.
Ohne viele Worte stellte sich der alte Ritter vor, wer er war, was er wurde und weshalb er hier war. Die wesentlich ältere Ritterin hatte nur genickt und den beiden jüngeren Rittern mit einer Handbewegung bedeutet zu gehen. Nachdem die beiden Alten im Raum verblieben waren hatten sie sich lange schweigend gegenübergestanden. Wolfhelm hatte es fast nicht ausgehalten, solange still stehen zu bleiben, er hatte das unbestimmte Verlangen gehabt nach vorne zu schnellen und sein Gegenüber in Stücke zu reißen. Doch er hatte sich beherrscht, was mehr Kraft gekostet hatte, als er sich zugestehen wollte.
Danach wurde ihm eine fensterlose Zelle im Gewölbe der Burg zugewiesen. Lediglich eine Pritsche und ein einfacher Holztisch sowie ein Hocker waren darin enthalten. Keine drei Schritt lang und gerade mal zwei Schritt breit war das Loch, indem er seit seiner Ankunft sein Dasein fristete.
Lange Zeit hatte er hier im Stillen gesessen, die Ruhe und Bewegungslosigkeit hatte ihn beinahe wahnsinnig werden lassen. Doch eines Tages (oder war es nachts?) war ein Mann vor seiner Zelle erschienen. Er hatte sich als Bishdalian von Bleichenwang vorgestellt, der Hofkaplan. Er hatte Wolfhelm erklärt, dass es nur einen Ausweg für ihn gab. Er musste die Gnade Borons erfahren und hoffen, dass dieser ihn aus den Fängen des Rattenkinds befreien würde.
Der Geweihte war danach öfters vor der Zelle erschienen, hatte mit Wolfhelm gemeinsam geschwiegen oder Pasagen aus dem Schwarzen Buch vorgelesen. Irgendwann hatten sie angefangen gemeinsam zu beten wobei Bishdalian dann Weirauchschalen entzündet hatte.
Wolfhelm stand in einfachen Gewändern in dem dunklen Saal. Nur wenige Kohlebecken spendeten etwas Licht, während die Kohlestücke langsam vor sich hin glommen. Weihrauch hing in der Luft.
Vor ihm stand Boriane von Bleichenwang, angetan in schwarzen Gewändern, die mit borongefälligen Stickereien verziert waren.
Sie alle standen vor einem erhöhten Altar aus schwarzem Basalt. Ein einfaches Boronsrad stand mittig auf der Platte und vor diesem standen zwei Turibula, welche den Weihrauch verströmten. Zwei schwarze Kerzen standen in schmucklosen Ständern und spendeten gerade genug Licht, um die Altarplatte einigermaßen zu erleuchten. Ein silberner Kelch, an dessen Rand kleine Boronsräder und Sanduhren eingraviert worden waren, stand zwischen den Turibula.
„Dieser hier, der vor Euch tritt, bittet um Aufnahme in Euren Kreis!“, durchschnitt die leise aber doch deutlich vernehmbare Stimme Wolfhelms die Stille des Saals, während er auf beide Knie niedersank.
Schweigend nickte die Ritterin und drehte sich zu dem Altar um. Kurz verharrte sie, ging dann ebenfalls auf beide Knie nieder. Abermals verharrte sie kurz, erhob sich dann, griff den Kelch und drehte sich zu Wolfhelm um.
„Wenn der Ewige und seine Tochter Euch annehmen, so will ich es ihnen gleichtun und Euch als meinen Knappen annehmen“. Sprach Boriane in einem flüsternden Tonfall, der eher einem Hauchen glich.
Der Angesprochene nahm den Kelch entgegen, blickte kurz auf die dunkle Flüssigkeit, setzte dann zum Trinken an und nahm einen großen Schluck. Wärme fing an ihn zu durchströmen, sein ganzer Körper begann zu kribbeln, es wirkte, als ob zwei Mächte in ihm zu ringen begannen. Langsam aber sicher füllte sich die Leere, die tief in seinem Sein Einzug gehalten hatte und er schloss die Augen mit einem Lächeln. Endlich verspürte er wieder Wärme.