Geschichten:Brieffreundschaften - (Wenig) Überraschende Erkenntnisse
Wallbrord von Löwenhaupt-Berg war dabei, sich bettfertig zu machen. Zwar war es noch nicht sonderlich spät, aber angesichts des Umstands, daß er morgen früh einen Zweikampf auf dem Hof der Löwenburg zu bestreiten hatte und ihm die jüngsten Ereignisse in den Trollzacken noch immer in den Knochen steckten, erschien ihm dies angeraten. Er wurde auch nicht jünger, wie er sich eingestehen mußte und die Zeiten, in denen er bis weit in die Nacht hinein feiern konnte und wollte, lagen auch schon viele Götterläufe zurück.
Erneut kreisten die Gedanken des Obristen um die Geschehnisse in der Baronie Trollnase. Wie wenig es doch bedurfte, um das fragile politische wie militärische Gleichgewicht der Region zu stören! Was mochte noch alles im Dunklen lauern, bevor es endlich galt, Haffax auf dem Schlachtfeld offen gegenüberzutreten?
Ein kräftiges Klopfen an der Zimmertür riß den Baron aus seinen Gedanken und ließ ihn zusammenzucken. Was war denn nun schon wieder?
"Herein!" rief Wallbrord unwirsch.
Ein junger Page betrat die Kammer und wandte sich verlegen an dessen Bewohner: "Verzeiht die ungelegene Störung, edler Herr! Aber ich habe eine dringende Nachricht für euch." und hielt mit diesen Worten dem Oberst ein versiegeltes Schreiben vor die Nase.
"Wann ist denn mal etwas nicht dringend?" murmelte der Baron mehr zu sich selbst, während er den Brief entgegennahm.
"Äh, was meintet Ihr, hoher Herr?" fragte der sichtlich irritiert wirkende Junge daraufhin.
"Nichts, nichts. Danke für Deine Mühe, Du kannst nun gehen."
Der Page nickte nur kurz zur Bestätigung und verließ dann schnellen Schrittes den Raum.
Kurze Zeit später hatte sich Wallbrord zu Bett begeben und wandte sich nun, gewissermaßen als Bettlektüre, der Depesche zu.
Aufmerksam las er die Zeilen Hauptfrau Streitbergers. Als er den Brief zur Seite legte, konnte sich der Baron trotz des ernsten Inhalts ein kurzes Schmunzeln nicht verkneifen. Die Offizierin hatte ja Recht, wenn sie sich über das gewissenlose Treiben des Perricumer Rates entrüstete. Verwunderlich war für den Oberst lediglich, daß ihr dies erst jetzt aufzufallen schien. Nur wenige Augenblicke später war das Schmunzeln jedoch einer verärgerten Miene gewichen. Die Umtriebe der Pfeffersäcke nahmen mittlerweile in der Tat Ausmaße an, die das fast schon als normal anzusehende Gemisch aus Korruption, Intriganz, Lügen und Machtgier weit überstiegen. Wenn das so weiterginge, brauchte die Stadt keinen Haffax, um vollends ins Chaos zu stürzen; das besorgten die ehrenwerten Ratsherren und -damen vorher schon selbst. Zunächst aber sollte er gleich morgen der Hauptfrau für ihren kundigen Bericht danken; es war gut zu wissen, daß es noch Leute gab, auf die er sich verlassen konnte und die ihren Kopf nicht nur als Halterung für ihre Ohren auf den Schultern trugen, dachte der Baron bei sich.
Zornig legte Wallbrord die Depesche zur Seite. Es mußte in Perricum etwas geschehen und das möglichst bald, möglichst umfassend und möglichst gründlich, ging es ihm durch den Kopf, bevor er in einen unruhigen Schlaf fiel.
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