Geschichten:Bund von Ochs und Bär - Abgekartetes Spiel
Dramatis personae:
- Orelan von Leuenwald, Ritter zu Meilersgrund
- Firnhilde von Ruchin-Rathsamshausen, Ritterin von Schiefernbach
Praios 1034, Bärenau, vor den Festivitäten zum Bund zwischen Ochs und Bär
Noch immer konnte er nicht begreifen, warum ihn der Markvogt auf diese Repräsentationsreise schickte, während in der Kaisermark eine Söldnertruppe mordend und plündernd Angst und Schrecken verbreitete. Den Gipfel der Erniedrigung wurde ihm aufgesetzt, als er von einem Diener überbracht den Auftrag erhielt, eine Kiste edlen Weines aus Almada dem guten alten Freund des Markvogts, Irian von Rathsamshausen beziehungsweise seiner dort anwesenden Tochter Firnhilde von Ruchin-Rathsamshausen, zu überbringen. Soweit hatte er es also gebracht: Hofschranze und Bote.
Missmutig, aber vor allem fiebrig und kaum bei Kräften, ritt Orelan Leowyn von Leuenwald mit seinem Tross gegen Bärenau. Die durch eine unheilige Kreatur in der Schlacht in den Wolken geschlagene Wunde schmerzte jedes Jahr während der Namenlosen Tage aufs Neue. Noch immer steckte die Spitze einer schartigen, verfluchten Waffe in seinem Unterleib. Zudem schien sie seinen Körper zu vergiften, was heftige Fieberschübe nach sich zog und seine Kräfte raubte. Doch so schlimm wie dieses Jahr war es noch nie gewesen, dauerte doch das ganze weit in den Praios hinein.
In Bärenau angekommen konnte Orelan nicht einmal mehr von selbst vom Pferd steigen. Seine Begleiter zogen ihn vom Sattel und brachten ihn umgehend ins Quartier, wo sie ihn zwangen, sich für die nächste Zeit hinzulegen. Nach einer halben Flasche Gebranntem waren die Schmerzen zumindest so weit betäubt, dass er in einen halbwegs borongefälligen Schlaf versank.
Am nächsten Morgen brummte Orelan gehörig der Schädel. Doch der Schlaf hatte im gut getan. Er konnte immerhin wieder ohne Hilfe gehen. Und er wollte die Weinkiste so rasch als möglich loswerden. Also nahm er ein heisses Bad und liess sich von einem Barbier fachmännsich die Gesichtsbehaarung wegschaben. Ein Blick in den Spiegel bestätigte, dass er einer edlen Dame wie Firnhilde von Ruchin-Rathsamshausen die Aufwartung machen durfte.
Kurzentschlossen packte er die Holzkiste und machte sich auf die Suche nach der Empfängerin. Lange dauerte diese nicht. Das Wappen derer von Ruchin-Rathsamshausen ist im Reich gut bekannt. Vor dem staatlichen Zelt wartete eine Garde.
«Mein Name ist Orelan Leowyn von Leuenwald, Ritter von Meilersgrund. Ich wurde von Markvogt Barnhelm von Rabenmund gesandt, um der hohen Dame ein Präsent an ihren Vater zu überreichen.» und deutete dabei auf die Weinkiste.
Die Garde quittierte das Ansinnen mit dem Heben einer Augenbraue und bedeutete Orelan, draussen zu warten. Danach verschwand sie im Zelt.
Es verging eine geraume Zeit, bis Orelan endlich ins Zelt gebeten wurde. «Es tut mir leid, dass ich Euch so lange habe warten lassen, aber ich habe nicht so rasch mit Eurem Erscheinen gerechnet. Ich bin Firnhilde von Ruchin-Rathsamshausen, Ritterin von Schiefernbach.»
Orelan blickte in die bezaubernden blauen Augen einer für eine Ritterin ungewöhnlich kleinen Frau. Sie mochte nur etwas über 80 Finger gross sein. Sie trug ein eng anliegendes, himmelblaues Kleid, das ihre schlanke aber athletische Figur sehr gut zur Geltung brachte. Für einen langen Augenblick mochte Orelan seinen Blick nicht von ihr abwenden, erst ein verschmitztes Augenzwinkern Firnhildes rief ihm wieder zurück ins Gedächtnis, warum er hier war. «Verzeiht meine Ungehobeltheit, hohe Dame.» Galant nahm er ihre Hand, um einen sich geziemenden Handkuss anzudeuten.
«Ihr sagtet, Ihr würdet mich erwarten. Das ist aber kaum möglich, habe ich doch erst kurz vor meiner Abreise den Auftrag erhalten.» Orelan schaute sie fragend an.
Firnhilde errötete leicht. «Nun, um der Wahrheit Genüge zu tun, … ein Bote meines Vaters hat mich informiert, dass ein Ritter des Marktvogts eine Kiste mit Wein für ihn bringen würde.»
Barnhelm, ihr seid ein alter Fuchs, dachte Orelan, ihr wisst nur zu gut, welch Anblick einer holden Dame mich entzücken mag. «Nun, dann war unser Zusammentreffen also nicht rein zufällig. Da musste wohl ein Fuchs seine Hand im Spiel gehabt haben.»
«Ihr meint, meine Mutter hat dies alles arrangiert?»
«Eure Mutter? Wieso? Nein, ich kenne Eure Mutter nicht. Ich meine, nicht persönlich. Ich habe sie auf verschiedenen Empfängen am Kaiserhof gesehen. Aber wer weiss, vielleicht haben ja mehrere Parteien ihre Finger im Spiel.»
Darauf brachen beide in schallendes Gelächter aus, als ihnen endgültig gewahr wurde, dass sie nur als Marionetten in einem abgekarteten Spiel dienten. «Nun denn.» Orelan trocknete die Tränen in seinen Augenwinkeln. «Wir sollten …» Er hielt inne, als er den entgeisterten Blick von Firnhilde bemerkte.
«Hoher Herr, ihr blutet aus dem Mund!» Schnell holte sie ein Seidentuch aus ihrem Ärmel und tupfte das Blut ab. «Seid ihr krank?»
Orelan setzte ein gequältes Lächeln auf. «Während der Schlacht in den Wolken wurde ich schwer verwundet. Ein Untoter rammte eine dämonisch verfluchte Waffe in meinen Unterleib. Die Spitze brach ab und befindet sich heute noch in mir. Zu den Namenlosen Tagen scheint sie Kraft zu gewinnen und schwächt meinen Körper.»
«Aber warum holte kein Medicus die Spitze aus euch heraus?»
«Meine Verletzung war nicht lebensbedrohlich. Viele andere tapfere Recken brauchten die Hilfe dringender als ich. Zudem war es noch nie so schlimm wie dieses Jahr. Ach, ich vergass. Ich wollte Euch doch diese Kiste edeln Weines aus Almada überreichen. Wie ich hörte, ist Euer Vater ein wahrer Weinkenner.»
«Sein Ruf scheint ihm weit vorauszueilen, aus dem Schlund bis an den kaisermärkischen Hof.» Firnhilde setzte ein spitzbübisches Gesicht auf und kokettierte mit Orelan. Und es schien, als dass er sich ihrem Charme nicht entziehen konnte. Orelan dachte sich, warum er mit der Hohen Dame Bekanntschaft schliessen sollte. Barnhelm musste doch wissen, dass er zu unbedeutend war, als dass er ihr mit Aussicht auf Erfolg den Hof machen konnte.
Andererseits, durchfuhr es Orelan, hatte er in letzter Zeit derjenigen Person, der er alles zu verdanken hatte, was er war, zu wenig Vertrauen entgegen gebracht. Er war sich nun sicher, dass sie ihm zeigen wollte, dass es nun Zeit für ihn war, das gemachte Nest zu verlassen. Ja, er war zu träge und zu fett geworden, hatte er doch am Hof des Markvogts lange wie eine Made im Speck gelebt. Nach seiner Rückkehr würde er den Markvogt bitten, ihn aus seinen Diensten zu entlassen.
«Was ist mit Euch? Ihr seid so abwesend. Seid Ihr meiner Gesellschaft überdrüssig?» begehrte Firnhilde zu wissen.
«Nein, nein. Im Gegenteil!» hob Orelan beschwichtigend an. «Ihr seid eine bezaubernde Dame von hohem Stand. Euer künftiger Gemahl darf sich glücklich schätzen.»
«Werden wir uns wiedersehen?»
«Wer weiss, wann sich unsere Wege wieder kreuzen. Vielleicht treffen wir beim Turnier aufeinander.»
«Ihr werdet doch nicht allen Ernstes in eurem Zustand am Turnier teilnehmen. Das ist kein Spiel! Ihr könntet getötet werden.»
«Ich weiss, dass ich so keine Chance haben werde. Aber so leicht werde ich mich nicht geschlagen geben. Die Gegner sollen sich ruhig die Zähne an mir ausbeissen. Und wenn ich wieder bei Kräften bin, werden sie meine ganze Kampfeskraft zu spüren bekommen. Es schadet nichts, die Gegnerschaft erst einmal im Unklaren zu lassen. Gehabt euch wohl, hohe Dame.»
«Wartet!» Firnhilde drehte sich um und verschwand hinter dem Wandschirm. Als sie zurückkam, übergab sie ihm ein naturfarbenes Seidentuch, in welches kunstvoll ihr Monogramm eingestickt war. «Als Erinnerung an unsere Begegnung. Mögen die Götter unsere Wege wieder einmal zusammenführen.»
Orelan nahm das Seidentuch entgegen und versorgte es vorsichtig in seinem Handschuh. «Ich bin sicher, dass sie das werden.» Orelan nahm nochmals galant ihre Hand, führte sie zu seinem Mund und wandte sich von dannen.