Geschichten:Düstere Schatten - Tiefer Wald
Irgendwio tief im Reichsforst, Hesinde 1038 BF
Die verängstigten Bauern stürmten zurück in Richtung des Weilers, während die Edlen die Verfolgung in den tieferen Reichsforst antraten. Immer wieder scheuten die Pferde, doch die Spur verlor sich bald, als das gefügelte Schlangenwesen über die Baumwipfel emporgestiegen war. Es blieb den Reitern also nichts anderes übrig, als die Flugrichtung des Dämons weiter zu verfolgen, ohne zu wissen, ob er möglicherweise zwischendurch eine andere eingeschlagen haben mochte. Rondraja blickte sich missmutig um, denn die Bäume standen immer dichter und das Licht kam oft schon nicht mehr bis auf den Waldboden. Mehrfach musste die Gesellschaft absteigen, weil die Tiere keinen vernünftigen Halt mehr fanden. Aber einen Vorteil hatte es: Hier lag weniger Schnee, auch wenn es noch genauso kalt war, und der Wind konnte ebenfalls nicht so stark angreifen. Doch der Nebel schien sich bei fast jedem Schritt zu verdichten und erschwerte es ihnen zusätzlich, einen gangbaren Weg durch das Unterholz zu finden.
Ein Schrei, unbändig und nur wenig abseits, gar nicht weit entfernt, ließ sie aufhorchen. Das heftige Schlagen von Metall auf Holz und dumpfes Rufen ließ sie die Pferde zurücklassen. Die Grenzjäger spannten ihre Bögen, während Ardo, Rondraja und Carten ihre Schwerter zogen und voraus eilten. Trautmunde zückte ihr Nudelholz und schloss sich den mutigen Kriegern an. Nur etwa 50 Schritt von Nebel, dunklen Baumstämmen und dichten Brombeerhecken verborgen hatte eine weitere Gruppe Reiter eine Rast eingelegt gehabt, als ein großer Schatten über sie hinweggefegt war, dem sie nicht weit hatten folgen müssen. Das Feuer brannte noch, Pferde standen etwas abseits, als sie den Platz passierten. Noch einige Dutzend Schritt weiter fochten die ehemals Lagernden mit einigen in geschwärztes Eisen gewandete Krieger, auf deren Wappenrock eine schwarze Vogelklaue auf violettem Grund abgebildet war.
Ohne lange zu überlegen griffen sie für die Verursacher des Lagerfeuers in den Kampf ein. Ardo lenkte einen heftigen Schlag einer breitschultrigen Frau mit seinem Schild ab, während sein Vater seinen wuchtigen Angriff zu Ende führte und sie mit dem getroffenen Bein wegknickte. Rondraja eilte an ihnen vorbei, um dem Marschall den Rücken frei zu halten, weil neben ihm der Gallsteyner zusammengesunken am Boden lag und sein Knappe sich redlich mühte, diese Lücke zu füllen.
Mit Müh und Not konnten sie die finsteren Gesellen zurückschlagen, wobei ihnen die Pfeile der Grenzjäger den entscheidenden Vorteil einbrachten. Mehrere der dunklen Gestalten lagen nun tot am Boden, während die Greifenfurter sich sammelten und ihre Gefährten versorgten. Der Marschall indes kam zu Ardo und Rondraja. "Vielen Dank für Eure Hilfe. Doch was verschlägt Euch hier in den Reichsforst?" Die Furchen in seiner Stirn wurden noch tiefer als er Baron Ardo musterte. "Solltest du nicht auf dem Weg gen Perricum sein, mein Freund?" Der wiederum schaute den Marschall nun ebenso verwundert an. "Ich war in Perricum, Urion. Ich bin schon vor vielen Wochen zurückgekehrt. Ein kurzer Seitenblick fiel auf Rondraja und seinen Vater, der sich inzwischen zu dem Gespräch hinzugesellt hatte. "Im Gegenteil wunderten wir uns, was euch allen wohl geschehen sein mag, weil ihr nicht wieder nach Hause gekommen seid." Helmbrecht kam nun ebenfalls hinzu und blickte in die Runde. "Lasst uns das am warmen Feuer klären, wenn wir alle in großer Runde beisammen sitzen. Das scheint eine interessante Geschichte zu werden." Grinsend schaute er in die Runde, während Urion gedankenvoll nickte. "Gut, das gibt uns auch die Möglichkeit zur Wundversorgung." Rondraja blickte ebenfalls um sich. "Wenn es möglich ist, sollten wir auch die Gefangenen befragen. Irgendwer muss sie kommandieren und diesen Dämon geschickt haben." Allgemeines Staunen erfüllte die Gruppe des Marschalls. "Ein Dämon?"
Tatsächlich versammelten sich die greifenfurter Adligen und Ritter um die Feuerstelle, wobei die Travia-Geweihte darauf bestand, alle auf Verletzungen zu untersuchen und Verbände anzulegen. Bisher waren sie glimpflich davon gekommen und niemand hatte bleibende Schäden abbekommen. Einzig der Gallsteyner humpelte etwas und hielt sich den schmerzenden Kopf, der von einer unschönen Platzwunde geziert wurde, die er allerdings als Kratzer abtat. In möglichst kurzen Worten erzählte die junge Ritterin, weswegen die Greifin sie losgeschickt hatte und wie sie die Spuren in den Reichsforst verfolgt hatten. Dass der Beginn dieser Reise in etwa zeitgleich mit dem Verschwinden des Marschalls und seinen Gefährten lag, war noch weniger beunruhigend als die Tatsache, dass dieser Aufbruch bereits viele Monate her war. Urion und seine Begleiter hätten Stein und Bein geschworen, nicht länger als eine Woche einen Weg aus dem Wald gesucht zu haben, wobei sie scheinbar immer wieder im Kreis geritten waren und nicht weiter kamen.
Eine Befragung von Gefangenen stellte sich dagegen als schwierig heraus, denn von dem Dutzend Angreifer waren fünf gefallen, drei schwer verwundet und der Rest geflohen. Doch die drei noch Überlebenden waren alles andere als bereit irgendwelche Informationen preiszugeben. Einer hatte sich bei dem Versuch ihn zu befragen sogar selbst die Zunge abgebissen, während eine andere sich noch bevor sie gefesselt werden konnte, ihren eigenen Dolch in die Brust rammte und starb. Der letzte verbliebene Gefangene schaute sich angsterfüllt um. "Tötet mich! Lasst nicht zu, dass sie mich findet. Ich habe versagt! Lasst mich schnell sterben, bitte!"
Mehr war aus dem Mann kaum herauszubringen, außer dass SIE einen Namen hatte, den er noch flüsterte, bevor er sich selbst mit seinen Fesseln strangulierte. Horngram war ihnen nicht wirklich ein Begriff, aber der Mann hatte sie gewarnt. Der Dämon, den sie hatten fliegen sehen, war offensichtlich ihr Karakil, den sie als Reittier nutzte. Sie ruhten sich aus, so gut sie konnten, denn ihre Vermutung war, dass diese rachsüchtige Frau mit ihren übrigen Leuten einen erneuten Angriff auf das Lager starten würde, sobald sie davon erführe. Doch bis zum frühen Einbruch der Dunkelheit blieb es ruhig.