Geschichten:Da sind Räuber im Wald - Teil 1
Es war ein sonniger Morgen, als das Geräusch von Holz, das auf Holz traf den Hof von Burg Cresseneck erfüllte. Seitdem der Winter das Land wieder freigegeben hatte, waren der Junker Kordian und sein Vetter Angbold fast jeden Tag draußen und bereiteten die Zwillingssöhne ihrer Tante Firunia auf ihre Knappschaft vor, indem sie mit ihnen lockere Übungskämpfe mit Holzschwertern veranstalteten. Natürlich hatten die Jungen keine Chance, gegen die beiden jungen Ritter, aber sie sollten schon einmal auf das Leben als Knappen vorbereitet werden und ihren Kinderspeck verlieren.
"Du kannst dein Schwert auch zum parieren verwenden und nicht nur zum zuschlagen, Leomar", lachte Kordian seinem kleinen Vetter entgegen, der versuchte mit schnellen, ungelenken Schlägen die Verteidigung des stämmigen Mannes zu durchbrechen. "Und du darfst dich nicht ablenken lassen, Alrik", lachte Anbold und gab seinem Schützling mit dem Schwert einen Klaps auf dem Kopf, als dieser zu seinem Bruder hinüber geschaut hatte.
So gingen die Übungen weiter, bis von oben auf den Zinnen ein Ruf erscholl.
"Da kommen ein paar Leute. Bauern, denke ich." Kordian seufzte. "Nun gut. Für heute hattet ihr beiden sowieso genug." Er wandte sich an Angbold. "Komm Vetter. Lass uns sehen was die Bauern heute wollen." Angbold setzte ein schiefes Lächeln auf. "Wahrscheinlich wieder ein Fuchs, der ihre Hühner erschreckt."
Doch dass es diesmal anders war, erkannten die beiden Cressenecker an den Gesichtern der Bauern. Dieses Mal schienen sie wirklich entsetzt. Einer Frau standen sogar Tränen in den Augen. Angeführt hatte die Gruppe Gutbald Hofer, der Sohn einer Freibauern am östlichen Rand des Cressenecker Landes. Er räusperte sich nun und ergriff das Wort. "Euer Wohlgeboren, ich ... Es gab da einen kleinen Vorfall auf den Feldern dieses Mannes." Er zeigte auf einen der abgerissenen Leibeigenen, der scheu nickte. Kordian kannte zwar die Gesichter der meisten unfreien Bauern, die im Cressenecker Land lebten, aber ihre Namen konnte er sich dann doch nicht merken.
"Und was genau ist passiert?"
"Es war ein Händler, der auf dem Weg hierhin war. Er wurde überfallen und nun ja ... Einer der Bauern, der Sohn dieses Mannes ... Er sah dies und wollte dem armen Mann zur Hilfe kommen, doch nun ... Nun ruht er in Borons Reich."
Kordian wechselte mit Angbold einen besorgten Blick und wandte sich dann wieder an Gutbald." Und was geschah weiter? Wo sind diese Räuber nun und was war das für ein Händler?" "Er liegt verwundet in meinem Haus, euer Wohlgeboren. Er scheint recht vornehm zu sein und aus Gareth oder Ferdok zu kommen, aber leider ist er bewusstlos. Die Räuber haben sich seinen kleinen Karren geschnappt und sind damit gen Firun geflüchtet."
Kordian runzelte die Stirn. Wenn Händler nach Cresseneck oder in einen der nahen Orte kamen, waren es meist andere Bauern, die ihre Schnitzereien oder sonst etwas anboten. Ein richtiger Kaufmann, dazu noch einer mit einem einfachen Karren. Was wollte dieser Mann bloß hier?
Die Antwort gab Kordians junge Schwester Emer, die sich aus Neugier inzwischen näher an ihren Bruder begeben hatte. "Das muss der Händler mit dem Geschmeide aus Gareth gewesen sein.", entfuhr es ihr. Angbold und Kordian starrten sie beide an. "Geschmeide?" Kordian fand als erster die richtigen Worte. "Was meinst du?" "Nun ja, vor einigen Monden war ich doch mit Zerline und Gunnolf in Gareth und dort... Ach, dort hatten sie diesen ganzen wunderbaren Schmuck. Ganz anders als den, den du in Rubreth oder Luring bei den Händlern bekommst. Er wollte mir jedenfalls noch mehr zeigen, wenn seine Waren aus Perricum eingetroffen sein sollten. Und da habe ich ihn hierhin eingeladen. Und es ist auch äußerst günstig ge..." "Ich will gar nicht wissen, was der Kram gekostet hat!", schnitt Kordian ihr das Wort ab.
"Räuber ziehen nicht einfach mordend durch mein Land! Wie viele waren es?"
"Etwa zehn, euer Wohlgeboren. Aber es könnten sich mehr im Hintergrund gehalten haben."
Kordian schnaubte. "Mitten am helllichten Tage wagen sich diese Ratten aus ihren Löchern. Angbold! Such Erlan und sag ihm, dass er uns mit vier der Waffenknechte begleiten soll. Und ihr beiden", er sah zu Leomar und Alrik hinunter, "sattelt unsere Pferde. Das müsst ihr nämlich auch noch lernen." Die beiden Jungen machten sich mit säuerlichen Mienen davon.
Nach einer Weile ergriff Emer das Wort "Meinst du, dass sieben Mann reichen? Wenn es mehr als zehn sind ..." Kordian unterbrach sie, indem er ihr eine Hand auf die Schulter legte. "Es sind nur räuberische Ratten. Sie mögen scharfe Zähne haben, aber wenn sie erst einmal kalten Stahl zu spüren bekommen, werden sie verstummen. Du wirst nun jedenfalls Gutbald zum Hof seiner Familie begleiten und dich um diesen Händler kümmern. Vielleicht ist es ja gar nicht der, von dem du es vermutest." Emer nickte und schloss sich der Bauerngruppe um den jungen Gutbald an, der sie hochnäsig folgte. Kordian war sich jedoch ziemlich sicher, dass es dieser Schmuckhändler gewesen sein musste und sah seiner kleinen Schwester kopfschüttelnd hinterher. Sie war eine waschechte Hofdame geworden und wirkte im ländlichen Cresseneck damit völlig fehl am Platze. Kordian beschloss sie bei seiner Rückkehr für ihre geheim gehaltenen Schmuckausgaben zurechtzuweisen, aber nun hatte er erst einmal wichtigere Probleme.
Noch zur Mittagszeit machte sich die Gruppe auf, die aus ihm, seinem Vetter Angbold, dem Freien Erlan Vogelsang, der Anführer der Gardisten auf Cresseneck war, und vier Gardisten auf, um die Räuber zu verfolgen. Dabei folgten sie nicht der Straße, da die Räuber dies wahrscheinlich auch nicht getan hatten und erreichten noch am frühen Abend die Grenze zur Baronie Waldfang, wo sich das Pack irgendwo versteckt hielt.