Geschichten:Darpatische Möglichkeiten - Teil 2
Umland der Stadt Hartsteen
Wenig nur war bekannt über den großgewachsenen Mann mit dem wilden vollen Bart, der vor einigen Wochen wie aus dem Nichts aufgetaucht war und dem alten Peddar für seinen kleinen Hof unweit der Stadt Hartsteen eine Unsumme gezahlt und dann kurz darauf mit seiner jungen Braut, zwei Pferden und einem alten Esel dort eingezogen war.
Doch seitdem er da war, konnte das Landvolk mit Gerüchten nicht an sich halten: Viele behaupteten er sei gewiss kein Landmann, obwohl sein freundliches Gesicht wettergegerbt war und er Muskeln wie ein Bär besaß. Aber er schien gebildet zu sein und zudem keinerlei Anstalten zu machen irgendeine Art von Landwirtschaft zu betreiben. Dann hatte der alte Wegenroth von weitem gesehen- so zumindest behauptete er-, wie der Kerl drei tumbe Räuber mit einer gewaltigen Ochsenherde zuschanden gemacht hatte, als diese des Nachts in sein Haus einsteigen wollten. Am nächsten Tage hatte er die Söldlinge der Stadt holen und die armen zusammengedroschenen Kerle abholen lassen.
Der Mann war den Bewohnern des Hartsteener Umlandes ein Rätsel. Zumindest aber war allen klar: Aus dem Mittelreich kam DER bestimmt nicht. Man brauchte ihn mit seiner tiefen Basstimme ja nur einmal reden zu hören.
Eben jener Mann war es, der am frühen Morgen an der kleinen Weide, auf der die beiden Pferde und der Esel friedlich grasten, den Toten fand. Ein Mann, gekleidet in dunkle Gewandung, lag dort neben dem Weidezaun.
Ohne Angst - es war nun wahrlich nicht der erste Tote, den der Bärtige sah - schlenderte er zu der darliegenden Leiche.
"Ei Briederchen", sprach er in die Stille, "dat schauet ja nu jar nich jut aus mit dir. Was hamse denn mit dir jemacht?"
Eine Antwort erübrigte sich, denn der Armbrustbolzen, der die Wunde in den Hals gerissen hatte, steckte noch blutüberströmt.
"Sieh an, sie an." Der Mann betrachtete das Projektil. "Ein janz normaler Bolzen. Solch ein klejines Dingelchen, und schon hat ejin´n der jute Herr Boron beim Nickerchen. Wollen wa mal nachsehen, ob wa rausfinden wer du denn bist."
Der Tote hatte keinerlei Habseligkeiten bei sich außer einem kleinen ledernen Säckchen am Gürtel. Erstaunt pfiff der Bärtige durch die Zähne, als er den Inhalt zutage beförderte.
"Ei, ei! Einbrecherzeugs, Diederiche, Schlisselken, ein kleines Zängelein, Schnirchen. Ei, ei, ei. Warst aber kejin braver Bursch, wie´s schejint."
Seine Hände tasteten weiter in dem Beutelchen ... - und zogen ein gesiegeltes Schreiben hervor. "Hui. Dat is dat Siejel vom Jejisemar, wenn ich mich nich irre. Kamste aus Richtung Fejidewald, hm? Haste wohl jar den Jeraafen beklaut? Also den eenen Jeraafen. Und wer hat dich jeschckt den ejinen Jeraafen zu beklauen? Der andere Jeraaf?"
Bedächtig steckte sich der Bärtige das Schreiben in den Wams.
Dann tat er etwas seltsames: Mit bedächtigem Blick suchte er eine ganze Zeit lang hoch konzentriert den Boden der Umgegend ab, ging ein Stückchen von der Weide weg, kehrte schleißlich zum Toten zurück und strich sich nachdenklich durch den Bart.
"Seltsam. Warst nich zu Pferde unterwegs, Briederchen. Aber Pferde waren hier. Zwei Stick. Der Schitze wird wohl auch dabeijewesen sein. So ham se dich hier niederjeschossen. Und dann ist ejiner abjestiejen und zu dir jekommen. Schwere Reiterstiefel hat er anjehabt. Hat wohl jeschaut ob du beim Briederchen bist, Briederchen. Aber wieso hat er das Säckelchen nich mitjenommen. War ja deitlich jenug zu sehen... Wenn´s Jejisemars Leitchen waren, hätten so doch bestimmt das klejine Brjiefchen ham wollen, nich?
Hams aber hier jelassen. Hatten se´s eilich? Wohl nich, sonst wär der Schitze ja jeritten und nich hierrüber spatziert. Seltsam, Briederchen, seltsam. Ich hol wohl erstejinmal die Leitchen aus der Stadt, die bewaffneten. Sollen die sich drum kimmern wer de bist und was de jemacht hast."
Das gesiegelte Schreiben beließ er derweil im Wams.
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